[151] Es ist Nacht. Eine Fremde von der Seite der Straße, tritt auf.
FREMDE.
Allheilige Nacht, du aller Müden Trösterin,
O Balsam du für jeden Schmerz und jede Noth:
An deine Brust, allliebende Mutter, flücht' ich mich,
Die Allvertriebene! Gönne du, ehrwürd'ge Nacht,
Das Fleckchen mir, auf welchem mein geächtet' Haupt
Sich ruhen darf, von allen Menschen ungesehn,
O hülle mich in deine schwarzen Schleier ein! –
Wohl, lustberauscht, auf seidnen Decken schlummert jetzt
Die man mit List auf meine Statte hat erhöht,
Und freventlich mit meinem Namen ruft man sie.
Ich aber muß, die Ächtgeborne, bettlergleich,
In Nacht verbergen meine königliche Stirn.
Sei denn, o Stein, mein Bette du! Auf nackten Stein
Gebettet ist, gleich seiner Königin, mein Volk.
Du aber, o Nacht, uns beiden sende, mir und ihm,
Der vor dir wandelt, blumenstreuend, deinen Sohn,
Den holden Traum: daß auf die Stirne beiden uns
Vergessenheit die mohnbeträuften Finger legt.
Setzt sich links im Vorgrunde unter die Säulen der Halle, schläft ein.
KILIAN aus der Mittelthüre, lauschend.
Schwarz ist die Nacht: die Sternlein alle sind verlöscht
Und selbst der Mond vor Keuschheit kniff die Augen ein,
Mir aber durch die Glieder rinnt es wonnevoll,
Gleich einem Kater, welcher auf die Freite schleicht.[151]
Denn hat sie nicht mit Liebesblicken mir gewinkt,
Ja, hat mit runden Worten deutlich mir gesagt,
Daß ich sie hier zum Stelldichein erwarten soll
Um Mitternacht? Schon aber zwölfe brummt's vom Thurm
Und auf der Lauer, liebedürstend, steh' ich hier –
Doch aber, o still! die Thüre, dünkt mich, hör' ich gehn –
GERMANIA aus der Thüre links.
Schwarz ist die Nacht: das Lämpchen dennoch löscht' ich aus,
Daß seine Flamme meine Flamme nicht verräth
Und in die Augen meinem alten Argus scheint.
Was aber gilt's, so werd' ich ihn heut auf ewig los
Und lasse mich entführen von dem Kilian!
Nicht aber, daß der Bursche mir so sehr gefällt:
Indessen so ist's doch etwas Neues auch einmal
Und hab' ich doch nicht länger Noth, mich zu kastein
Mit Redensarten, welch' ich selber nicht versteh'.
Doch aber o still! die Thüre, dünkt mich, hör' ich gehn – –
Tappt lauschend nach vorn.
SCHLAUKOPF im Nachtgewand, aus der Thüre rechts.
Schwarz ist die Nacht: doch schwärzer noch ist mein Gemüth,
Und von dem Lager finstre Sorgen scheuchen mich.
An ihrer Thüre horchen will ich, furchtbewegt,
Ob noch sich nicht die Stunde der Entscheidung naht,
Der ich mit Sehnsucht, zitternd doch, entgegenseh'.
Fast jetzt bereu' ich dieses allzuhohe Spiel,
Drin ich als Einsatz wage mein gesammtes Glück,
Die Würfel werfend über Alles oder nichts.
Ist es ein Kind, ein wirklich wohlgerathenes –
Doch aber o still! die Thüre, dünkt mich, hör' ich gehn –
DOCTOR aus der Mittelthür.
Schwarz ist die Nacht, zum Stehlen völlig wie gemacht –
Wär' ich ein Ochs und ließe sie vorübergehn
Und zöge nicht unsicherm Gewinn den sichern vor!
Bekommen ist gut; genommen haben besser noch.
Ein Kästchen neben dem Bett der Schwangern sah ich stehn,[152]
Mit Golde ganz und Edelsteinen angefüllt.
Was nützt das ihr? Für Frauenzimmer taugt das nicht.
Drum leis' anpochend in ihre Kammer schleich' ich mich
Und fasse den Puls und mit der anderen unterdeß –
Doch aber o still! die Thüre dünkt mich, hör' ich gehn –
Indem sie, Einer an dem Anderen horchend vorüberschleichen.
KILIAN.
Wo bleibt sie nur? Mir werden Zeit und Weile lang?
GERMANIA.
Wo bleibt er nur? Mir werden Zeit und Weile lang?
SCHLAUKOPF.
Rings Alles ist still: ob ich sie störe? klopf' ich an?
DOCTOR.
Rings Alles ist still: ob ich es wage? klopf' ich an?
KILIAN.
Was flüstert da?
GERMANIA.
Was flüstert da?
SCHLAUKOPF. DOCTOR auf verschiedenen Punkten, gleichzeitig.
Was flüstert da?!
KILIAN.
Pst!
GERMANIA.
Pst!
SCHLAUKOPF.
Pst!
DOCTOR.
Pst![153]
KILIAN.
Sie ist's –
GERMANIA.
Er ist's –
SCHLAUKOPF. DOCTOR.
Wer ist das nur?!
KILIAN.
Schritte, Tritte – weh mir grauset, mehr als Einer wispert hier!
GERMANIA.
Schritte, Tritte – o ich wollte längst von dannen wären wir!
SCHLAUKOPF.
Schritte, Tritte – naht vielleicht sich die Entbindungsstunde ihr?
DOCTOR.
Schritte, Tritte – ob ich weislich ohne Kästchen retirir'?
DIE FREMDE erwachend.
Schritte, Tritte, die mich wecken – weh, gewiß, man sucht nach mir!
KILIAN.
Frisch drauf und gewagt! Und ich rufe sie laut –
GERMANIA.
Frisch drauf und gewagt! So entwisch' ich allein –
SCHLAUKOPF.
Frisch drauf und gewagt! Ich erwarte, was kommt –
DOCTOR.
Frisch drauf und gewagt! Schon klopfen wir an –
DIE FREMDE.
Frisch drauf und gewagt! So bekenn' ich mich frei
Und nenne dem Feinde den Namen![154]
KILIAN.
Germania?!
GERMANIA.
Hier –
DIE FREMDE.
Hier –
KILIAN.
Wo?!
GERMANIA.
Hier –
DIE FREMDE.
Hier –
SCHLAUKOPF.
Germania, wie?!
DOCTOR.
Germania, was?!
GERMANIA.
Wer rufte mich? Hier –
DIE FREMDE.
Hier bin ich – wer ruft?
SCHLAUKOPF.
Dort ruft es und hier –
DOCTOR.
Hier ruft es und dort –
KILIAN.
Potz tausend noch eins, das halt' ich nicht aus,
Da bekomm' ich vor Schrecken ja Leibweh!
SCHLAUKOPF.
Lichter, Lichter!
DOCTOR.
Bringet Lichter![155]
KILIAN.
Daß ich doch im Bette wär'!
GERMANIA.
Soll ich bleiben?
DIE FREMDE.
Soll ich fliehen?
SCHLAUKOPF.
Lichter, Lichter!
DOCTOR.
Lichter her!
Zwei Gensd'armen treten auf: gleichzeitig aus dem Innern des Hauses die Sklaven mit Fackeln.
ERSTER GENSD'ARM.
Welch ein Schreien! welch Spektakeln! ziemt sich das um Mitternacht?
ZWEITER GENSD'ARM.
Ins Gefängniß! in den Kerker! Alle werden fortgebracht!
DIE SKLAVEN hereintretend.
Welche Stimmen! welch Getöse! Ist das Aufruhr? ist das Schlacht?
SCHLAUKOPF hat sich im Dunkeln der Fremden genähert, jetzt sie erkennend.
Ha, was seh' ich?!
DIE FREMDE ebenso.
Was erblick' ich?!
DIE GENSD'ARMEN.
Haltet Ruhe! habet Acht!
DIE FREMDE.
Mein Verfolger![156]
SCHLAUKOPF.
O zum Teufel!
DOCTOR.
Tolle Wirtschaft, tolle Nacht!
GERMANIA. KILIAN gleichzeitig, zu einander.
Ei, ich wollt', ich hätte lieber ohne dich mich fortgemacht!
DIE FREMDE.
Mein Verfolger!
SCHLAUKOPF.
O zum Teufel!
DIE SKLAVEN.
Ist das Aufruhr? Ist das Schlacht?
DIE GENSD'ARMEN.
Ins Gefängniß! in den Kerker! Alle werden fortgebracht!
SCHLAUKOPF für sich.
Wohlan, o Schlaukopf: schlauen Kopfs nun zeige dich
Und wende rückwärts, welcher dich bedroht, den Pfeil.
Zur äußerst ungelegnen Stunde kommt sie mir,
Verdorben längst, gestorben, dacht' ich, wäre sie –
Nun aber gilt's: nur Einer von Beiden rettet sich.
Laut.
Was aber ist's, o Vaterlandsvertheidiger,
Das ihr begehrt? und leget eure Hand an uns,
Den Königlich Geheimen Oberleibspion?
Erkennet mich und diese hier, Germania,
Die mir zum Wochenbette übergeben ward.
Doch Jene dort, die Fremde, schleppet hinweg sogleich
Und werft sie in das allerunterste Verließ,
Landstreicherin sie, muthwillige Lärmanstifterin,
Und eines fremden Namens maßet sie sich an –
DIE FREMDE.
Also zum Kläger selber wirst du an dir selbst!
Nicht ich, fürwahr: des Namens maßest du dich an,[157]
Ja, mit dem Namen, welcher mir allein gebührt,
Die freche Stirn der Buhlerin hast du geschmückt!
Germania nennst du Jene, welche zitternd dort
Sich hinter die Falten deines Kleids verbergen will?
Schmach euch ins Antlitz, deiner Buhlerin, wie dir:
Ich aber bin's, rechtmäßig ich, Germania –
GERMANIA zu Schlaukopf.
Siehst du wohl? Nun also hab' ich's, wasche dich und mich nun rein.
DOCTOR.
Wie? Germania die Zweite? Sollte das wohl möglich sein?
KILIAN.
Diese Magere? diese Schlanke? Die gefällt mir gar nicht, nein.
DIE SKLAVEN.
Ihrer Stimme süße Töne dringen uns in's Herz hinein –
ERSTER GENSD'ARM.
Ei, zum Teufel, was sind das für dumme Doppelgängerein?!
ZWEITER GENSD'ARM.
Doch dem Reglement zufolge, stecken wir sie beide ein.
SCHLAUKOPF bei Seite.
O verdammt, das Ding wird kitzlich! Wär' ich doch entfernt von hier!
Denn ein unerwünschter Ausgang der Verwicklung ahnet mir.
Meine Freunde selber zweifeln: und der wüthende Gensd'arm,
Raisonnirend, arretirend, macht fürwahr den Kopf mir warm.
Doch, was hilft es? Was den Göttern des Olymps das Fatum war,
Sind dem neunzehnten Jahrhundert die Gensd'armen offenbar:[158]
Darum vor den Eisenfressern hübsch gemüthlich schmieg' ich mich:
So, mit Schmiegen und mit Biegen, Frevlerin, besieg' ich dich!
Laut.
Allein so thut ein wenig nur die Augen auf:
Zu sehen braucht ihr diese da und jene nur,
So ist's da klärlich, welche hier die Rechte sei:
In Lumpen jene, diese jedoch im seidnen Rock:
Die abgemagert, hungerbleich, ein Schattenbild,
Verbannt zu Bettlern, selber eine Bettlerin,
Höchst stattlich diese, wohlgenährt, anmuthiglich,
In hoher Herren ehrender Festgenossenschaft,
Ja selbst gesegneten Leibes ist sie, wie ihr seht.
DIE FREMDE.
Wohl, spotte mein! In meine Wunden lege du
Die blutbefleckten, diebsgewandten Finger mir!
Auf meine Lumpen speie du und rühme dich,
Weil ich ein armes, heimathlos vertriebnes Weib:
Du weißt am besten, wessen Hand mein Blut vergoß
Und wer vom Haupt die Krone mir gerissen hat!
Ja, dir in's Antlitz unverholen sprech' ich's aus,
Daß dir zu Eis dein schwarzes Blut gerinnen soll:
Verrätherisch, aus eitler Liebedienerei,
Weil du ein Knecht der Willkür bist und ihrer Greul,
Darum aus meinem Erbe getrieben hast du mich
Und hast statt meiner deine Creatur gepflegt:
Werkzeug der Lust, ein preisgegeben feiles Weib,
Das blindlings folgte, willenlos und ohne Sinn.
Sie lag auf Daunen: harte Steine drückten mich;
Ihr bautest du Palläste: mir Gefängnisse;
Ihr schmeichelten deine Schergen: mich verfolgten sie
Und stießen in das Elend der Verbannung mich
Und setzten Fanggeld auf mein schuldlos reines Haupt:
Drauf aber, weil du selber fühltest, daß du nicht,
Und ob du auch verhundertfachtest deine List,
Doch völlig nicht blind machen könntest unser Volk
Und aus der Brust die süße Hoffnung reißen ihm
Auf bessre Zeiten: darum also rühmtest du,
Du selber dich, als brächtest du die neue Zeit,[159]
Und pflanztest fort in diesem abgebuhlten Leib
Die schnöde Sünde deines Stamms. Geschwängert, ja,
Doch nicht mit Gutem, nicht mit Segnungen hast du sie:
Nein, Drachen hast du ausgesät in ihren Leib,
Die fressend Feuer schleudern werden in die Welt:
Und glaube mir, ihr erstes Opfer wirst du selbst!
Dir aber sag' ich, Schattenkönigin, o du,
Die du mit Zittern meines Namens dich erfrechst:
Hinweg! verbirg dich! Räume du den Platz, der mir
Allein gebührt! Denn eure Herrscherin bin ich!
CHOR DER SKLAVEN sich gegen die Fremde verneigend.
Strophe.
Heil, fremde Frau!
Zwar im prangenden
Kleide nicht,
Noch im Königsgewand,
Du gehst im zerrissenen Linnen,
Bettlerhaft:
Aber sind nicht auch wir selber
Bettlergleich? und tragen Ketten
An der machtlosen Hand?
Antistrophe.
O wärest du
Die erwartete
Retterin!
Die erhabene du,
Jungfräuliche, künftige Mutter
Unsers Herrn:
Der das Joch uns wird zerschlagen
Und den Blitz der Freiheit wirft er
In die schlaftrunkne Welt!
Epode.
Die Purpurtropfen deiner Stirn
Sollen zu Rubinen werden!
Dir schlagen die Herzen, dir beugt sich das Knie:[160]
O als Königin du, wahrhaftige du,
O erscheine dem flehenden Volke!
ERSTER GENSD'ARM.
Allein von all' den Redensarten steht ja nichts
Im Reglement?
SCHLAUKOPF zu Germania.
Nun denn wohlan, mein Töchterchen!
Dies ist ein Kampf des Legitimitätsprincips,
In welchem es die Sicherheit der Throne gilt
Und wo man daher auch Schwangre nicht verschonen kann:
So zeige dich! und legitimire deinen Stamm,
Damit die Herrn Gensd'armen öffentlich gestehn,
Daß du allein, und keine sonst, die Ächte bist.
Heimlich.
Und thust du es nicht, gleich wird der Hals dir umgedreht.
GERMANIA.
Allein wie red' ich? Niemals hab' ich es gelernt.
SCHLAUKOPF.
Sei unbesorgt! Von hinten flüstern wir dir ein,
Ein völliges curriculum vitae, pass' nur auf!
Sonst, wie gesagt, dein letztes Stündchen läutet dir.
DOCTOR.
Ja, nun begreif' ich, Bruder Schlaukopf, in der That,
Weswegen du so ängstlich und in Sorgen warst –
ERSTER GENSD'ARM.
Nichts weiter geschwatzt! Ins Hundeloch! marsch, allesammt!
Ihr sollt schon sehn, was dieses heißt, der Polizei
In die Hände fallen –
ZWEITER GENSD'ARM.
Warte noch! Es macht mir Spaß,
Und hinterdrein das Arretiren bleibt ja doch.
SCHLAUKOPF bläst ein.
GERMANIA spricht.
In urältester Zeit, in des Lebens Beginn,
O idyllische Lust! patriarchisches Glück![161]
O ursprünglich germanische Kindheit!
In dem dämmernden Wald, am geschwätzigen Bach,
Lang lag ich gestreckt auf dem zottigen Fell,
Und ließ zum hochaufschäumenden Meth
Bucheckern und Eicheln mir schmecken.
SCHLAUKOPF, DOCTOR, KILIAN als Chor.
Bucheckern und Eicheln?! Das ist sie!
GERMANIA.
Zu den Pfaffen sodann in die Schule gebracht,
Auf das Crucifix dicht mit der Nase gedrückt,
Wie ward ich so christlich germanisch!
Abdarbend mir selbst auch den Bissen vom Maul,
Hab' Klöster dotirt, hab' Dome gebaut,
Ja im Büßergewand in Canossa stand
Ich und küßte dem Papst die Pantoffeln.
CHOR.
Dem Papst die Pantoffeln?! Das ist sie.
GERMANIA.
In den Orient drauf, o wie zog mich das Herz,
Wie im Opiumsrausch, sehnsuchtdurchglüht
Auf der heiligen Stätte zu rutschen!
Zwar indessen daheim ruinirten sie mich,
Brandschatzten mein Haus und stipitzten mein Gold,
Brach lag mein Feld, meine Hütte zerfiel;
Ich aber ertrug es geduldig.
CHOR.
Sie ertrug es geduldig?! Das ist sie!
GERMANIA.
Spät kehrt' ich zurück: ja, da war es geschehn,
Kein Dach, kein Fach! kein Haus, kein Hof!
Doch Gott half wieder dem Deutschen.
Für die Praxis ergriff ich die Theorie,
Nahm Tinte für Blut, Pergament statt Brod –[162]
Ja, ich wurde gelehrt! und ließ mich dabei
Nasstübern von Jedem, der wollte.
CHOR.
Nasstübern von Jedem?! Das ist sie!
GERMANIA.
Wohl Selbstlob ist mir verhaßt; doch dies,
Dies rühm' ich mir nach, daß nimmer ein Mensch
Zum Bedienten sich besser gepaßt hat!
Wie mein Herr mir nur pfeift, flugs bin ich zur Hand,
Kann Schildwacht stehn, apportire den Stock,
Und fahr' in das Bein, wenn mein Herr mir befiehlt:
Ich bin ein vollkommener Pudel.
CHOR.
Vollkommener Pudel?! Das ist sie!
GERMANIA.
Zwar manchmal wohl, durch die einsame Nacht,
Wie ein Nothschrei tönt's an mein schlummerndes Ohr,
Als wollt' es gewaltsam mich wecken.
Doch was scheert mich die Welt? die Historien was?
Bin ich satt und vergnügt, so hab' ich genug,
Und will, so es Gott und dem König gefällt,
Auch fernerhin ferne mich halten.
CHOR.
Auch fernerhin ferne?! Das ist sie!
GERMANIA.
Jetzt bin, wie ihr seht, ich gesegneten Leibs,
Auf Ministerbefehl: und glaubt ihr es nicht,
Auf dem Fleck gleich wird es sich zeigen.
So vertheidigt mich nun! und erkennet mich an,
Als die Einzige mich, Deutschthumsvollblut:
Und gewißlich sodann, euch dankbar zu sein,
Zum Gensd'armen erzieh' ich das Söhnlein.
CHOR.
Zum Gensd'armen das Söhnlein?! Das ist sie![163]
ERSTER GENSD'ARM beiseite, zum Zweiten.
Ein recht vernünft'ges Frauenzimmer scheint mir das –
SCHLAUKOPF.
Brav, meine Tochter! Unübertrefflich deklamirt!
Doch Jene dort, die Vagabondin, ist verstummt.
DIE FREMDE.
Ja wohl, verstummt! Ruhmredig nicht ist meine Art,
Auch hab' ich wenig, dessen ich mich rühmen kann,
Weil in der Zukunft einzig meine Saaten sind.
Dies aber freilich zugestehen will ich dir,
Daß sie ein Deutschland allerdings, ein ächtes, ist:
Regierungsdeutschland, officielles, Bundestags- –
Doch nicht des Volkes! dieses, wahrlich, kennt sie nicht,
Noch ihres Stammbaums fabelhafte Litanein.
Wohl, bleibet denn Ihr! zu Diesen aber wend' ich mich,
Gedrückten euch, Geknechteten! die ihr zweifelnd noch,
In Furcht und Hoffnung schwankend, mich umstehet –
ERSTER GENSD'ARM.
Halt!
Das ist ja Aufruhr! offenbare Rebellion!
Was Volk! was Knecht! dich aber knecht' ich alsobald
Und schleppe dich fort –
ZWEITER GENSD'ARM.
Die Andern aber nehme ich.
Getümmel.
DIE FREMDE.
Hilfe! Rettung! Wollt ihr dulden, daß ein Scherge mich berührt?
DIE SKLAVEN.
Unsre Hände sind gebunden –
GERMANIA.
Weh, wie wird mir![164]
DOCTOR.
Aufgeschnürt!
SCHLAUKOPF.
Doch was wird dies?
DOCTOR.
Wird sich zeigen! Junge oder Töchterlein.
GERMANIA.
Ach, es preßt mich!
DIE FREMDE.
Wollt ihr's dulden?
DIE GENSD'ARMEN.
In's Gefängniß, marsch hinein!
DOCTOR.
Ja, das kommt vom Deklamiren – heda, Kilian! halt den Kopf!
DIE SKLAVEN.
Unsre Hände sind gebunden –
SCHLAUKOPF.
Und mich hat die Furcht beim Schopf.
DIE GENSD'ARMEN.
Fort! hinweg!
GERMANIA.
Weh, welche Schmerzen!
KILIAN.
Wie sie beißt und wie sie kratzt –!
GERMANIA.
Welche Schmerzen! weh, ich platze!
SCHLAUKOPF.
Ei verwünscht –[165]
DOCTOR.
Der Bovist platzt –
Mit einer heftigen Explosion fährt die Germania in die Luft; Rauch und Nebel, aus welchem sich allmälig folgende Erscheinungen gestalten, die reihenweis, mit Gesang, um die Bühne ziehen.
CHOR DER MÖNCHE.
Nach Jerusalem,
Nach Jerusalem,
O wie wallt es sich bequem!
Liebe Brüder Pietisten:
Alle Menschen werden Christen:
Derowegen seht ihr ein,
Braucht der Christ kein Mensch zu sein –
Nach Jerusalem,
Nach Jerusalem,
O wie wallt es sich bequem!
DIE WIEDERGEBORENEN.
O heilig Mittelalter,
Nachtvogel, Abendfalter,
Wie herrlich zeigst du dich!
O schon in deinem Dämmer,
Wie wird es uns so jämmer-
So katzenjämmerlich!
CHOR DER RITTER auf hölzernen Pferdchen reitend.
Zwar am Hofe zu Ferrara,
Freilich wohl, da ging es prächtig:
Doch dem fröhlichen Trarara
Folgt ein Wehruf, mitternächtig.
Ja, wenn nicht die Schulden wären!
Bankerot! Administriren!
Und man kann nicht 'mal mit Ehren
Mehr ein Majorat fundiren.
CHOR DER GÄNSE schnatternd.
Ach daß der Schwanenorden
Nicht fertig ist geworden![166]
Schon sahen wir, um Hals und Brust,
Das Zauberband sich dehnen,
Schon selber uns, in stiller Lust,
Verglichen wir den Schwänen.
Ach aber, ach! der Traum zerrann,
Die Hoffnungen zerflattern,
Nur Gänse bleiben wir fortan,
Und müssen weiter schnattern:
Weh, daß der Schwanenorden
Nicht fertig ist geworden!
CHOR DER FREISINNIGEN.
Immer langsam voran,
Immer langsam voran,
Daß der preußische Fortschritt nachkommen kann!
Es ist ein vortreffliches Ding um den Geist,
Besonders wenn er sich hübsch still erweist –
Immer langsam voran,
Immer langsam voran,
Daß der preußische Fortschritt nachkommen kann!
DER KAISER VON CHINA kopfwackelnd, schweigend.
EIN NACHTWÄCHTER singt.
Alles schläft! wie still, wie friedlich!
Nicht ein Athem! Alles ruht!
Ja, mein Volk, so bist du niedlich,
Ja, mein Volk, so bist du gut!
Schlafe fort! Du darfst es wagen,
Dich beschirmt mein Angesicht!
Aber Eines laß dir sagen:
Schlaf', o Volk! doch – schnarche nicht!
DIE KOSAKEN im Galop, hinterdreinfahrend.
Hussah, hussah! Paschol, paschol!
Dem Kosaken die Erde gehören soll!
Juden und Heiden, Türken und Christen,
Alles im Grunde sind Panslavisten –[167]
Paschol, paschol! Hussah, hussah!
Und die russische Knute, die ist schon da!
Unter dem Einhauen der Kosaken, Getümmel, Weheruf verschwinden die Erscheinungen.
DIE SKLAVEN ihre Ketten zerbrechend, vor der Fremden niederstürzend.
So verschwindet der Spuk! so zerrinnet der Traum!
Von dem Arm losstreift sich die Kette!
Du selber, du bist's! Wir erkennen dich, ja!
Wahrhaftige du, der das Scepter gebührt,
O du Mutter, dereinst, jungfräuliche noch,
Doch Mutter des kommenden Königs!
DIE FREMDE als ächte Germania.
Jungfräulich, wohl! Und nirgend noch, wohin ich schau'
Den Bräutigam seh' ich, welchen die Orakel mir
Verkündeten – Bewerber genug, nur keinen Mann! –
Doch kommt er einst! Aus allertiefster Mitternacht,
Wo wir umsonst nach eines Sternbilds Troste spähn,
Die Sonne schwebt ja dennoch endlich himmelan.
Steig' denn empor, o holde Sonne meines Glücks,
Stern meiner Zukunft, angelobter Bräutigam,
Der an das Herz, Frohlockende mich, Glücksel'ge, schließt
Und einen Sohn und einen Rächer mir erweckt!
Woher du kommst, willkommen immer sollst du sein,
Ob du von Thronen niedersteigen wirst zu mir,
Ob du, ein Bettler, Mitternachts geschlichen kommst:
Ich kenne dich! Dich kennen lehret mich mein Herz
Und auf den Thron, an meine Seite, setz' ich dich! – –
So scheid' ich jetzt. Nicht wiedersehen sollt ihr mich,
Als bis ich komme, neben mir mein Herr und Freund,
In bräutlichem Festzug! Ihr indessen lebet wohl
Und seid des Tags, des vorbestimmten eingedenk!
Ab. Die Sklaven zerstreuen sich, man hört aus der Ferne die letzten Accorde ihres Chorgesangs.
Wird er erscheinen?
Wird er sich zeigen,[168]
Unser erwarteter,
Pfeilbewaffneter,
Rächender Gott?
O du Erwarteter,
O du Verheißener,
Freundlicher Bote zukünftiger Zeit!
O erschein', o erschein' uns, wir flehen dich an,
Dein wartet in Thränen, dein wartet die Welt:
O erscheine dem hoffenden Volke![169]
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