[439] Er aber sträubt sich, will nicht weichen,
Dann eben noch zum Tod bereit.
Auch jetzt von ihr kein Mitleidszeichen
(So hart ist oft die Weiblichkeit!).
Jedoch sein Starrsinn kann's nicht fassen,
Will nicht die Hoffnung sinken lassen,
Und dreist in kranker Leidenschaft
Entschließt er sich mit letzter Kraft,
Sein Herz ihr brieflich auszuschütten,
Obschon er sonst doch, wie bekannt,
Das Schreiben dumm und zwecklos fand;
Allein die Qual, die er gelitten,
Der Liebeswahnsinn riß ihn fort.
Hier steht's zu lesen, Wort für Wort:
»Ich weiß im voraus: dieser Brief
Voll bittren Wehleids wird Sie kränken.[439]
Sie werden niedrig von mir denken
Und zürnen – ach, ich fühl' es tief!
Was will ich auch? Wie darf ich wagen,
Den Schrein des Busens unbedacht
Hier aufzuschließen, statt zu fragen,
Wie sehr mich dies verächtlich macht!
Einst führte Zufall uns zusammen.
Ich sah Ihr Herz in keuschen Flammen
Für mich erglühn – und trat zurück,
Zu kühl, um Wünschen nachzugeben.
Ich wollte frei sein – eitles Streben! –
Und schlug es aus, das holde Glück.
Dann hat noch eines uns geschieden:
Freund Lenski starb durch meine Hand ...
Da hab' ich ohne Ruh' und Frieden
Mein Herz von allem, was mich band
Und was mir lieb war, losgerissen.
Nun sollte Freiheit, wie zum Spott,
Mir Glück ersetzen ... Großer Gott,
Wie furchtbar hab' ich büßen müssen!
Nein: immerwährend um Sie sein,
Beständig Ihren Reiz vor Augen,
Ihr Lächeln, Ihrer Anmut Schein
Mit heißer Inbrunst in sich saugen,
Durchdrungen sein von Ihrem Wert,
Zu Ihren Füßen niedergleiten
Und wunden Herzens, qualverzehrt
Erlöschen – das sind Seligkeiten![440]
Und mir versagt ... Auf Ihrer Spur
Zieh' ich wie blind umher und leide;
Mein Leben zählt nach Tagen nur,
Und ich verschwende noch, vergeude
Der flücht'gen Stunden kurze Frist,
Die schon an sich bloß Trübsal ist.
Drum muß, so hilflos ich verderbe,
Soll nicht zu früh mein Hauch vergehn,
Mir jeder Morgen, eh ich sterbe,
Gewißheit schenken, Sie zu sehn ...
Nur bangt mir, daß in meinen Klagen
Ihr Unmut schnöde List entdeckt,
Mein leiser Wunsch Ihr Mißbehagen,
Mein Seufzer Ihren Zorn erweckt!
O könnten Sie die Pein empfinden,
Wenn man, nach Liebe sehnsuchtsvoll
Verlangend, mit Verstandesgründen
Das heiße Blut beschwicht'gen soll –
Wenn Ihre Knie man umfassen,
Aufschluchzen möchte, allem Leid
In Tränen freien Lauf zu lassen,
Zu stammeln, was im Herzen schreit –
Und doch der strengen Form sich schicken
Und martern muß, in leichtem Ton
Zu plaudern, ja – zu allem Hohn –
Sie höflich lächelnd anzublicken! ...
Wohlan denn, sei es drum: mir schwand
Die letzte Kraft zu widerstreben;
An Ihrem Urteil hängt mein Leben,
Mein Schicksal ruht in Ihrer Hand!«
[441]
Buchempfehlung
Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.
48 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro