Dritter Auftritt

[187] Der alte Herr Gotthart. Ernst Gotthart.


HERR GOTTHART. So sage mir doch, mein Sohn, was fehlt dir denn nun schon wieder? Ich dachte, heute solltest du mir einmal recht lustig sein?

ERNST GOTTHART fällt auf die Knie und küßt dem Alten die Hände. Ach allerliebster Herr Vater! vergeben Sie es meiner Schwachheit, wofern ich mich an Ihnen versündiget habe!

HERR GOTTHART. Stehe auf, mein Sohn! steh auf! du weißt ja, daß ich dir einmal versprochen habe, alles zu vergessen und zu vergeben. Ich will aller der Dinge nicht mehr gedenken.

ERNST GOTTHART. Ach! freilich haben Sie mir wohl das Vergangene gütigst vergeben! allein heute habe ich mich wohl allzu gröblich an Ihnen versündiget, Herr Vater!

HERR GOTTHART. Heute?

ERNST GOTTHART. Ja, bei Tische.[187]

HERR GOTTHART. Bei Tische?

ERNST GOTTHART. Ja, Herr Vater: wofern es geschehen ist, so ist es bei Tische geschehen.

HERR GOTTHART. Womit denn? Du hast ja fast kein Wort geredet. Ich hätte es lieber gesehen, du wärest muntrer gewesen, als daß du so tiefsinnig dasitzest und keinen Laut von dir gibst.

ERNST GOTTHART. Mit Worten ist es auch nicht geschehen, Herr Vater!

HERR GOTTHART. Und womit denn?

ERNST GOTTHART. Mit Gebärden.

HERR GOTTHART. Ei! nicht doch! Ich habe dich fast die ganze Mahlzeit über angesehen und mich gewundert, daß dir das Gesicht immer in einerlei Falten geblieben ist.

ERNST GOTTHART. Auch der Mund, Herr Vater?

HERR GOTTHART. Ja, auch der Mund; außer wenn du einen Bissen gegessen hast: da muß man ihn ja wohl verzerren.

ERNST GOTTHART. Nun, gottlob! da fällt mir ein schwerer Stein vom Herzen! Meine ganze jetzige Unruhe, Herr Vater, rührte bloß daher, daß ich mir einbildete, ich hätte Ihnen über Tische ein schiefes Maul gemacht.

HERR GOTTHART stutzt und schüttelt den Kopf. Nun! das wäre freilich grob genug gewesen! Aber sage mir einmal, Ernst, wie kömmst du immer mehr auf solche Gedanken, da du doch, wie ich sehe, Furcht un Liebe gegen mich hast?

ERNST GOTTHART. Ach! liebster Herr Vater, vernünftig kann ich Ihnen darauf nicht antworten! solche närrische Einfälle kriege ich täglich mehr als tausend; und da hilft keine vernünftige Vorstellung.

HERR GOTTHART. Aber Ernst, solange du noch eine gesunde Vernunft hast, so kannst du ja wohl sehen, daß es lauter Possen sind.

ERNST GOTTHART. Ei! das sehe ich freilich wohl!

HERR GOTTHART. Und doch kannst du sie nicht aus dem Kopfe kriegen?

ERNST GOTTHART. Das ist eben meine ganze Krankheit. Ja, ich bin schon froh, wenn es nur so bleibt, daß die Vernunft nur noch im Gleichgewichte steht: denn wo meine Phantasie einmal stärker wird als die Vernunft, so bin ich hin![188]

HERR GOTTHART. Hast du denn das nicht den beiden Doktors geklagt? Was sagen die dazu?

ERNST GOTTHART. Ach! die guten Leute! die haben mich heute fast zu Tode damit gequälet, daß ich mir ein ruhiges und fröhliches Gemüt anschaffen soll.

HERR GOTTHART. Ja, das haben sie mir auch gesagt; und mich dünkt, das ist auch wohl der beste Rat. Denn, sie sagten, ihre Arzeneien schlügen sonst nichts an.

ERNST GOTTHART. Ja, so mögen sie nur lieber alle fortbleiben! Bedenken Sie es nur selbst, Herr Vater, ich soll ein fröhliches, ruhiges Gemüt haben, ehe sie mich kurieren können; und in der Schwermut besteht eben meine ganze Krankheit.

HERR GOTTHART. Aber, lieber Ernst, warum bist du nun schwermütig? Es fehlt dir ja in der Welt an nichts. Du mußt dir nur immer was Gutes vorstellen, und wenn du es auch gleich nicht hast.

ERNST GOTTHART. Und ich stelle mir gerade immer was Böses vor: was mir oft gar nicht einmal zustoßen kann. Darüber vergesse ich alles Gute, was ich wirklich besitze oder doch haben könnte.

HERR GOTTHART. Ei! das mußt du aber eben nicht tun.

ERNST GOTTHART. Ja, wie kann ich mir helfen? Eben als gestern ...


Quelle:
Die bürgerliche Gemeinschaftskultur der vierziger Jahre. Herausgegeben von Prof. Dr. Brüggemann, Leipzig 1933, S. 187-189.
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