Eilftes Kapitel

Der Demos von Bützow

[636] Wie hat die zarte Lüstlin sich schamlos nun

Hoch aufgeschürzet! triefet von Blut! Auch noch

Bewundert? Nicht allein der Unzucht,

Feil auch dem Raube, des Mords Gespielin!


singet mit begeisterter und entrüsteter Zunge der Herr Graf von Stolberg zu seiner Gidith von der neufränkischen Nation; ich aber singe anders im andern Ton von dem, was der Bürgermeister Hane seine »Bützower Nation« nannte.

»Wer kommt? Sechshundert Schock blutig geschundene Höllenteufel,[636] wer kommt? Klappe Er sein verruchtes Maul zu und rede Er deutlich: wer hat die Impudenz, mir mit solchem infamen Getrampel ins Haus zu rücken?«

»Die Depuntatschon, Herr Burgemeister! Scherpelz, Herr Burgemeister! Haase und Martens, Holzrichter, Compeer und hundert andere Lümmel, Herr Burgemeister. Sie haben mir aus dem Wege geschoben und hätten mir fast umgestülpet, Herr Burgemeister. Sie wollen ihre Gänse; und da sind sie! Und sie haben alle einen übern Dorst!«

Sie waren wirklich da. Daß die Treppe nicht unter ihnen zusammenbrach, war ein Mirakel. Daß sie die Türe nicht einschlugen, konnte noch immer als ein Zeichen von teutscher Herzensgüte und Respekt vor der hohen Obrigkeit angesehen werden. Sie kamen aus der kalten Winterluft in die wohlgewärmte Stube, und ein Nebel stieg von ihnen auf; sie brachten auch ihren eigenen Geruch mit sich, und nur Ludwig der Sechszehnte erlebte etwas Ähnliches im Œil de bœuf, als ihm statt seiner Hofleute das Volk daselbst seine Aufwartung machte. Im Hui waren wir in einen Winkel gedrängt, des Bürgermeisters imposante Würdigkeit war zusammengeschrumpfelt wie ein Blatt Papier auf einem Kohlenbecken; ich für meine Person konnte über einen soliden Ellenbogenstoß vor den Magen quittieren, unsere Aufmerksamkeit war in jeder Weise aufs beste geweckt, und aus dem Nebel trat, schwankend auf den Füßen, Scherpelz, der Sattler, und erhub das Wort für die andern.

Er war fürchterlich betrunken; aber da schon Scaliger sagt: »Non minus sapit Germanus ebrius quam sobrius«, ein besoffener Teutscher versteht immer noch ebensoviel als ein nüchterner, so tat sein Zustand seiner Eloquenz wenig Abbruch, und mit dem Daumen und Zeigefinger sich am Westenknopfe des Dirigenten haltend, begann er:

»Herr Bürgermeister – von wegen des Friedens und die Ruhe – von wegen die Gänsefreiheit und unsere Pravilegien und Freiheit und Gleichheit sind wir allhier und – bitten – um – um die Schlüssel zum – Pfandstall. Wir – hupp hupp – wir sind ruhige – Bürgersleute und haben Ihme lange genug Seinen Weg gelassen,[637] Herr Bürgermeister, und verhoffen, daß Er uns das in Schwerin bezeugen wird, und was – hupp hupp – die Franzosen sind, die hätten Ihme schon längsten und lange nach Meriten mitgespielt und Ihn allerwenigstens bei die Beine aufgehänget. Herr Burgemeister – hupp hupp – Er tut uns leid; aber unsere – Pravilegien und Gänse tun uns noch leider, und Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit sind auch was Schönes – hupp –, und was die Franzosen sind, und was meine Dochter ist, so bei die Mamsell Hornborstel dienet, und was die Mamsell Hornborstel ist, so ist das Büxen wie Jacke, und wir stehen alle auf unserm Rechte, und die Gänse müssen raus. Habe ich recht, Vadders?«

»Hast recht, Scherpelz! Ga tau! Drupp! Pack 'n un treck 'n. Rut mid de Gööse, rut mid de Slöttel!« schrie das Gefolge, und Scherpelz, ermuntert und erhoben durch die Approbation der Gevattern, fuhr fort:

»Und was die Franzosen sind, so sind das Mordkerls, und was sie können, das können wir auch – hupp hupp –, und was hier der Magistrat ist und die Ausschußbörgers, und was sonsten auf die armen Leute hinten auf sitzt, so sollen sie ja ihren Herrgott danken, daß wir hier mit die Güljottine noch nicht fertig und parat sind und daß sie mit 'n – hupp – zerschlagnen Buckel für diesmal davonkommen. – Herr Burgemeister, von wegen mir und meine Regin', was bei die Mamsell Hornborstel dient, weiß Er nun meine Meinung, und nun gebe Er in Güte Grävedünkeln und die Schlüssel zum Gänsestall heraus – will Er?«

»Warte Er nur – Scherpelz – warte Er nur bis heute abend!« keuchte der Bürgermeister im ohnmächtigen Grimm. »Das soll Er mir bezahlen Warte Er nur bis zum Abend!«

»Vadders, hei will nich! Na, denn man tau!« grunzte Scherpelz und taumelte zurück in die Arme der Genossen.

»Er will nicht! Er will nicht! Vivat die Gänsefreiheit!« schrie der Haufe, und an des Sattlers Stelle sprang Schmidt, der Schneider, der für seine Rede später beinahe ein halb Jahr lang im Zuchthause zu Dömitz auf Regierungskosten wohlverpfleget worden wäre, wenn nicht die hochgelahrte hallische Juristenfakultät[638] darzwischen sich geleget hätte. Er war ein gewanderter Mann, der in achtundachtzig teutschen Staaten Nadel und Schere recht habil geführt hatte, und vergnüglich war seine Rede anzuhören, und seine allergrößeste Schere hatte er auch mitgebracht und schnappte damit an den Haupt- und Kraftstellen so bedrohlich nach der bürgermeisterlichen Nase, daß dieselbe nur durch ein Wunder der ärgerlichsten Beschneidung und Verkürzung entschlüpfte. Was er aber sprach, das würde auch mich heute noch bei der Wiederholung auf Serenissimi allergnädigste Kosten nach Dömitz befördern, und prudenter schweige ich; denn wer kann sagen, ob die Herren zu Halle heute dieselbe Mildigkeit walten lassen würden?

»Warte Er nur, Schmidt – warte Er nur bis heute abend!« ächzte der Bürgermeister, um sich nur in einer Weise Luft zu machen. »Das soll Er mir büßen! Warte Er nur bis zum Abend. Oh, wir wollen euch Jakobiner, euch Bützowsche Halunken und Taugenichtse, euch versoffene Schlingel und vagabondierende Galgenstricke, euch heruntergekommenes Lumpengesindel schon beim Wickel nehmen. Verlasset euch darauf, ich kenne euch alle und will's euch nach Gebühr eintränken. Wartet nur bis heute abend.«

Höhnisch lachte und grölte die »Depuntatschon«, und jeder Gänsetumultuant und Stadtfriedenbrecher stieß dem andern mit Gegrunze den Ellenbogen in die Seite:

»Vadder, hei givvt de Slöttel nich rut! Hei deit et nich!«

»Nein!« schrie der Bürgermeister mit donnernder Stimme. »Nein, in drei Teufels Namen, nein und aber mals nein! Er gibt die Schlüssel nicht heraus. Was einspundieret ist, bleibt einspundieret; – kein Schwanz und keine Feder wird herausgelassen, und wenn das gesamte Pariser Sansculotten- und Bestienvolk im Anmarsch auf Bützow wäre. Grävedünkel, stelle Er sich auf vor dem Pfandstall und verteidige Er ihn wie ein Held mit Seinem Leben. Und jetzt marsch hinaus mit euch, ihr habt mir die Luft hier lange genug verpestifizieret. Vorwärts, hinaus, hinaus, die Trepp hinunter!«

Mit der Energie der Desperation raffte er sich auf und beschrieb mit beiden Fäusten einen weiten Kreis um sich; zurück[639] wich stolpernd und polternd der Demos von Bützow. Nachdem der Anstoß einmal gegeben war, hielt er auch nicht einmal mehr im Retirieren ein, sondern kam mit hellem Gekrach, im wilden Tumult, unter ohrenzersprengenden Vociferationes die Trepp hinab und auf der Gasse an.

»Freiheit! Gänsefreiheit! Gänsefreiheit! Gänsefreiheit! – –«

»Das überlebe ich nicht! Das hat Bützow noch nicht erlebt, solange es stehet!« jammerte der Dirigens mit gerungenen Händen. »Bis die Schweriner Husaren kommen, haben sie alles kurz und klein geschlagen. Horche Er nur, Gevatter, wie sie jetzt nach dem Kämmereiberechner schreien. Aber bei Gott, wenn sie dem einen gelinden Tort antäten, so sollt's mich nicht kränken; der allein hat uns doch den Kessel aufs Feuer geschoben.«

»Carnicculum principium causae!« sprach ich im allerschönsten Latein, welches ich für diese Gelegenheit zusammentreiben konnte, und da der Herr Bürgermeister mir weiter nichts zu sagen hatte, so ließ ich ihn in der Schwulität und nahm Abschied, um daheim meinem Magister im Loch die interessanten Details dieser angenehmen und bewegten Morgenunterhaltung mitzuteilen.

In den Gassen von Bützow aber sah es bedenklich aus: die gute Stadt Straßburg unter dem Regime des weiland frommen Hofpredigers Seiner Durchlaucht des Herzogs Karl von Württemberg, Eulogius Schneider, mochte so ausgesehen haben.

Der am sichersten aufgehobene Mensch in Bützow war der Magister Albus in seinem Hinterstübchen.

Quelle:
Wilhelm Raabe: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1964–1966, S. 636-640.
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