Funfzehntes Kapitel.

[386] Panurgens Excüs, und erläuterte Mönchscabbal anlangend eingepökelt Rindfleisch.


Gott, sprach Panurg, helf allen Denen die gut sehn und kein Wörtlein hören. Ich seh euch wohl, hör aber nix,[386] und weiß nicht was ihr haben wollt. Der hungrige Magen hat keine Ohren. Mein Seel! ich tob', ich brüll vor Hunger wie ein Beseßner. Die Strapaz ging mir ein wenig übern Span. Wer heuer mich wieder ans Traumbett kriegt' müßt wahrlich schlauer als Meister Muck seyn. Marsch fort zum Imbiß, Bruder Jahn! Wenn ich erst tüchtig gefruhstuckt hätt und meinen Magen sattsam verheut und verhabert, wollt ich noch wohl wenns seyn müßt und Noth an Mann ging, das Mittagsbrod im Stich lassen – aber, nix zu Nacht! daß Donner unds Wetter! Es ist ein Irrthum, ist ein Scandal in der Natur! denn die Natur erschuf den Tag zu Müh und Arbeit, da jeder soll seinem Beruf und Handirung nachgehn: und daß es wohl gelingen möcht, hält sie uns selbst das Licht dazu, den hellen fröhligen Sonnenschein. Am Abend zeucht sies sacht zurück und sagt stillschweigend: lieben Kindlein, ihr seyd kreuzbrave Leut, habt itzund genug geschafft, die Nacht ist da; drum sollt ihr eure Arbeit nun wegthun und euch erquicken mit gutem Brod, mit gutem Wein, mit gutem Fleisch; darnach was wenigs euch verschnaufen und schlafen gehn, daß ihr morgen fruh wieder zur Arbeit frisch und fröhlig wie vor seyd. So machens auch die Falkonirer; wann sie den Vogel geäset haben, lassen sie ihn nicht plötzlich steigen auf seinen Fraß, sondern lassen ihn auf dem Stänglein fein däuen. Dieß verstund sehr wohl der wackre Papst der das Fasten erfand; er befahl es soll gefastet werden nicht länger als bis zur Vesper-Stund: der Rest des Tages war futterfrey. Vor Zeiten hielten nur wenig Leut des Mittags Imbiß (als etwann die Mönch und Chorherrn, denn sie han so nix weiter zu thun, alle Tag sind ihnen Feyertag, halten getreulich am Klostersprüchel: de missa ad mensam: denn sie warten auch nicht einmal bis der Abt da ist, mit Einhaun; sondern mumpfend, die Bein unterm Eßtisch und anders nicht, warten die Mönch auf ihren Abt solang ihm beliebt.) Zu Nacht hingegen aß alle Welt, ein Paar Hanswürst von Traum-Narren etwann ausgenommen. Und darnach heißt die Cena; Coena, was Allen gemein ist. Du weißts ja wohl, mein Bruder Jahn. Itzt marsch mein[387] Freund! komm mit in des drey Teufels Namen! Mein Magen billt vor Hunger schier wie ein wüthiger Hund. Wir wollen ihm brav Supp in den Rachen werfen daß er still schweig, wie die Sibyll dem Cerberus. Du liebst die Prim-Supp, ich halts mehr mit der Windhundssupp; nur muß ein Stuck vom gepökelten Ackersmann drinn schwimmen, zu neun Lektionen wohl gezogen.

Ich versteh, antwortet' Bruder Jahn, die Metapher ist aus dem claustralischen Kochtopf entnommen. Der Ackersmann ist der Ochs der ackert, oder geackert hat. Zu neun Lectionen, das heißt vollkommen gar gekocht. Denn die frommen Patres zu meiner Zeit, nach einem besonderen cabbalistischen Brauch der Alten (nicht geschrieben, sondern von Hand zu Hand verabreicht) machten früh wenn sie sich zu der Metten erhuben und vor dem Kirchgang, allerley lehrreiche Preambuln: kackten erstlich in Cacatorio, brunzelten in Brunzelio, kotzten in Kotzerio, husteten in Husturio melodisch, und träumten in Tromitorio, damit sie nichts Unreines mit zum Gottesdienst brächten. Wann dieß gethan, verfügten sie sich andächtiglich in ihr heiliges Betstüblein: so hieß nämlich in ihrem Rothwelsch die Kloster-Kuchel, und hielten da devotest an, daß itzund gleich der Ochs zum Imbiß der Herren Patres und Fratres unsers Herrn und Meisters, aus Feuer gestellt würd: machten selbst wohl auch öfters das Feuer unter den Topf. So mußten sie dann, wenn die Metten neun Lectiones hätt, notwendig auch früher aufstehn. Also ward ihr Hunger und Durst auch hitziger bey ihrem Pergaments-Gequarr, als wenn die Metten blos zu ein oder drey Lectionen wär abgeplärrt worden. Je früher sie, nach gedachter Kabbal, auf stunden, je eher kam der Ochs ans Feuer; je länger beym Feuer, je garer: je garer, je mürber, weicher und zärter war er: je minder griff er ihnen die Zähn an, je mehr erfreuet er den Gaumen, je minder druckt' er den Magen, je besser nährt' er die frommen Patres. Dieses aber war eben der Stifter alleiniger Zweck und erste Absicht, in Betracht sie nimmer[388] essen daß sie leben, sondern nur leben daß sie essen, und auf der Welt nichts weiter haben als ihr Leben. Itzt komm, Panurg.

Nunmehro hab ich Dich verstanden, sprach Panurg, mein sammtnes Cujonel, mein Kloster- und Kabbalen-Cujonel! Itzt geht mirs gar ans Kapital: Stamm, Zins und Umschlag schenk ich euch; begnüg mich mit den Kosten, weil du dieß sonderbare Kuchel-Hauptstück der Mönchskabbal so beredtsam elucidiret hast. Kommt, Karpalim, komm Bruder Jahn, mein Busenlatz! Bons dis, all meine edeln Herrn, für'n Durst hab ich genug geträumt. Itzt marsch!

Er war noch nicht zu End, als Epistemon mit lauter Stimm ausrief und sprach: Es ist bey den Menschen ein ganz gemein und alltäglich Ding daß sie der Andern Unglück merken, im voraus sehn, weissagen und wittern. Aber, o wie so selten geschieht daß einer sein eigen Unglück wittert, im voraus sieht, merkt oder weissagt! Und wie klüglich hat es Aesopus in seinen Mährlein uns fürgestellt, wo er sagt daß ein iglicher Mensch der in die Welt geboren würd, an seinem Hals ein Ränzel trüg, in dessen vorderem Täschlein die Sünden und Unglücksfäll der Andern wären, allzeit vor unsern Augen offen und kenntlich: im hintersten Täschlein aber wär unsre eigne Sünd und Unglück, die keiner jemals säh noch merkt' als wem des Himmels Huld dazu den rechten Aspekt verliehen hätt.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 386-389.
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