Acht und Funfzigstes Kapitel.

[170] Räthsel-Prophezey.


Ihr armen Menschen denen Heil von nöthen,

Ermuntert euch und merkt auf meine Reden!

Wenn uns zu glauben sicher ward vergönnt

Daß durch Gestirn am Himmelsfirmament

Des Menschen Geist von selber mag gedeihn

Zur Wissenschaft Zukunft zu prophezeyn,

Und wenn man kann durch göttliche Gewalt

Vom Dermaleinst erkennen die Gestalt,

Bis auch entfernter Jahre Lauf und Schick

Ermessen wird mit scharfem Geistesblick:

Thu ich wer Ohren hat, zu wissen Jeden

Daß nächsten Winter, ohne mehr Verspäten,

Ja eher noch, hie wo wir sind und stehn

Ein Menschenhäuflein wird zu Tag erstehen

Der Ruhe Feind, und ohne Sitzefleisch.[170]

Am hellen Tage ziehn sie mit Geräusch

Frey um und wiegeln alles Volk im Land

Zu Rotten auf, Partey und Widerstand.

Und wenn man ihnen glaubt und folgsam ist,

Hetzt dieß Geschlecht in offenbarem Zwist,

Was auch daraus entstehn mag und entstammen,

Die nächsten Freund und Vettern selbst zusamen.

Der kecke Sohn hält es für kleine Sünden

Sich wider seinen Vater zu verbünden:

Die Hohen selbst aus edelm Blut erzeugt,

Sehn von Vasallen sich bekämpft, verscheucht.

Gehorsam, Ehrerbietung, Dienerpflicht

Verlieren all ihr Ansehn und Gewicht:

Denn, ist ihr Wort, trifft jeden doch die Reih

Daß er erhöht, und dann erniedrigt sey.

Und wird ein solch Handiren seyn und Raufen,

Mishelligkeit und Hin- und -widerlaufen,

Daß keiner Zeiten wunderreiche Schrift

Von ähnlicher Verwirrung uns bericht.

Alsdann wird mancher ehrenwerthe Mann,

Weil er im Jugendmuth zu hitzig rann

Und solchem Trieb gefröhnet ungescheut,

Des Todes seyn nach kurzer Lebenszeit.

Und wird auch Keiner diesem Werk entsagen.

Wenn er erst einmal daran fand Behagen,

Bis er im Kampfgewühl mit Lärmen wild

Die Luft, das Land mit Schritten hat erfüllt.

Zu gleichen Theilen ehret man alsdann

Den Ehrvergeßnen und den Ehrenmann,

Weil alles wird am Glauben und Verlangen

Der tollen Meng und dummen Einfalt hangen;

Davon den Gröbsten man zum Richter macht.

Weh uns! welche grause Wassersfluth erwacht!

Fluth sag ich, und geschieht mit gutem Grund:

Denn diese Krankheit wird nicht eh gesund

Und wird davon die Erde nicht befreyt,

Bis Wasser jählings herschießt weit und breit,

Das mitten in des Handgemenges Hitze

Die Härtesten erweiche und besprütze:

Und das mit Fug, weil also kampfgewohnt[171]

Ihr blutig Herz auch nicht der Thiere schont.

Von armen Heerden und unschuldgem Vieh

Verworfne Därm und Sehnen bringen sie

Den Göttern nicht zum Opfer, sondern weihn

Sie irdischem gemeinen Dienst allein.

Nun mögt ihr selbst erachten wie fortan

Das Ganze wohl im Gleise mag bestahn,

Und welche Ruh bey also blindem Wüthen

Des runden Triebwerks Körper sey beschieden.

Die, denen er die höchste Huld erweist,

Die Reichsten bläun und martern ihn zumeist

Und werden allerweis und wegen ringen

Ihn einzufangen und ins Joch zu zwingen:

Bis daß der Arme, gar zu Fall gebracht,

Nicht Zuflucht weiß als Den der ihn gemacht.

Und was das Härteste zu seiner Pein:

Eh noch die Sonne wird im Westen seyn,

Wird sich Verfinstrung über ihn ergiessen,

Mehr denn bey Nacht und Sonnenfinsternissen,

Die ihm die Freyheit raubt auf Einen Schlag,

Und höchste Himmelsgunst, den heitern Tag,

Ihn mindestens zur Wüste wird entstellen.


Doch lang vor dieser Noth und Unglücksfällen

Wird ein so furchtbar Bidmen jedermann

Ganz öffentlich an ihm verspüret han,

Daß Aetna damals minder ward bewegt

Als er auf Titans Sohn sich niederlegt',

Auch die Erschüttrung von Inarime

So jähling zu erachten nimmermeh,

Als die Gebirge voller Aergerniß

Typhöus abhub und ins Wasser schmiß.


Also in wenig Augenblicken scheitert

Sein Glück, so wird er hin und her geschleudert,

Daß wer ihn kurz zuvor ins Garn gebracht,

Der Folgemann ihn drum nicht streitig macht.

Dann ist die gute güldne Zeit nicht fern,[172]

Da sich zu Ende neigt dieß lange Zerrn;

Denn vor den Wasserströmen nur gedacht

Wird jeder auf den Rückzug seyn bedacht.

Wiewohl, bevor sie auseinander gehn

Man offenbar in Lüften wird ersehn

Ein grosses Feuer hitziglich entzündet,

Davor der Spuk und Wasserschwall verschwindet.

Und wird von solchen Händeln seyn der Schluß,

Daß die Erwählten sich im Ueberfluß

Und Himmels-Manna alles Guten letzen,

Und daß man ausserdem sie reich mit Schätzen

Begabt; die Andern aber auf die letzt

Nackt auszieht, wie man recht und billig schätzt;

Damit, nach so gestillten Sturm und Drange

Ein jeder sein bescheiden Theil empfange.

Also gegeben. Ehret hoch den Mann

Er bis ans Ende treu beharren kann.


Nachdem dieß Denkmal zu End verlesen, erseufzt' Gargantua tief, und sprach zu den Versammelten: Es ist nicht von heut daß man die treuen Bekenner des evangelischen Glaubens verfolget. Aber selig wer sich nicht ärgert und, unzerstreuet und unverruckt durch seine fleischlichen Gelüsten, stetig dem Ziel und Zweck nachjagt, den Gott durch seinen lieben Sohn uns fürgesteckt hat. Darauf sprach der Mönch: Was meint ihr denn in euerm Sinn daß dieses Räthsel sagen und bedeuten woll? – Was anders, sprach Gargantua, als den Verfall und die Erhaltung göttlicher Wahrheit? – Nun beym Sankt Goderan, rief der Mönch, dieß stimmt zu meiner Auslegung schlecht: es ist des Propheten Merlin Stylus: thut ihr Allegorien und Verständniß drein so tief ihr wollt, und grübel die ganze Welt darüber so lang sie mag, ich, meines Theils, seh keinen andern Sinn[173] dahinter als eine Beschreibung des Ballenspiels unter verblümten Redensarten. Die das Volk aufwiegeln, das sind die Partien-Macher, welches gemeinlich gute Freund sind: und wenn sie die beyden Gäng gemacht, kommt der aus dem Spiele der darinn war, und der Andre hinein. Man glaubt dem Ersten welcher sagt ob der Ballen über oder unter der Schnur gegangen. Das Wasser ist der Schweiß. Die Schnüren der Racketten sind gemacht aus Hammel- und Ziegendärmen. Das runde Triebwerk ist der Ballen oder Fangball. Nach dem Spiel erfrischt man sich bei einem guten Feuer und ziehet frische Hemder an, zecht auch und banketiret gern, doch lustiger die gewonnen haben. Und geht dann hoch her.


Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 170-174.
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