Vier und Vierzigstes Kapitel.

[354] Wie die Priesterinn Bakbuk Panurgen der göttlichen Boutelge fürstellt'.


Da ließ die edle Priesterinn Bakbuk Panurgen bücken, den Brunnen-Rand küssen, dann wieder aufstehn, und ihn um den Brunnen drey Ithymbus tanzen. Als dieß vollbracht, befahl sie ihm sich mit dem Hintern an die Erd zwischen zwey Stühl sanft nieder zu setzen, die schon dazu in Bereitschaft stunden. Schlug dann ihr Ritualbuch auf, blies ihm ins linke Ohr, und ließ ihn folgendes Epilenion singen:
[354]

O Boutelge

Die verborgen

Hegt Geheimniß,

Du, auf welche

Ich mit Einem Ohr muß horchen,

Ohne Säumniß

Sag uns wie der Reim hieß,

Der das Herz erhebt.

In Dein himmlisch Naß begräbt

Bacchus welchem Indien bebt,

Alle Wahrheit. Weit entweichet,

Götter-Saft, von Dir verscheuchet,

Alles Lügen, alles Trügen.

Noäh Berg sei wonnumzweiget,

Der uns spendet Dein Vergnügen.

Laß das goldne Wort nun fliegen,

Das mich frey macht aller Sorgen!

Also fehl' es nie an Wein süß,

Rothem, Weissem Deinem Kelche!

O Boutelge

Die verborgen

Hegt Geheimniß,

Du, auf welche,

Ich mit Einem Ohr muß horchen,

Sprich ohn Säumniß!

Vier und Vierzigstes Kapitel

Nachdem dieß Lied gesungen war, warf Bakbuk, ich weiß selbst nicht was in den Brunnen; da fing das Wasser auf einmal zu sieden und zu schäumen an, recht wie der grosse Klosterkessel in Bourgueil, wenn dort Stabsfest ist. Panurg[355] horcht still mit einem Ohre; Bakbuk kniet' neben ihm: als plötzlich der unsterblichen Boutelg ein Laut entfuhr wie Bienensummen, wenn sie aus dem nach Aristäi Kunst und Erfindung todtgeschlagnen und zugerichten jungen Stier herfürgehn, oder wie ein Pfeil, wenn der Ballester abschnappt, oder wie ein stark traischender Sommerregen. Dann ward gehört das Wörtlein:


TRINK.


Bei Gottes Wunder! rief Panurg, die ist geborsten, oder geplatzt, daß ich nicht lüg; denn die Sprach führen die Glasboutelgen bey uns auch, wenn sie am Feuer springen.

Jetzo erhub sich Bakbuk, nahm Panurgen sanft untern Arm und sprach zu ihm: Freund, dankt dem Himmel; denn es ist nicht mehr als billig: das Orakel der göttlichen Boutelg ist euch sehr bald geworden, und zwar das allerlustigste, untrüglichste, göttlichste, von allen, die ich noch in der ganzen Zeit daß ich in ihrem Heiligthum hie ministrire, von ihr gehört hab. Stehet auf, und laßt uns zum Kapitel gehn, in dessen Gloß dieß güldne Wörtlein erläutert wird. – Kommt, sprach Panurg, in Gottes Namen! ich bin so klug als wie vorm Jahr. Na leucht mal her, wo ist dieß Buch? Wend um, wo stehet dieß Kapitel? Laßt uns dieß werthe Glößlein sehn!

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 354-356.
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