Drey und Vierzigstes Kapitel.

[147] Wie Pantagruel aufs Eiland Ruach kam.


Zwey Tag darauf gelangten wir aufs Eiland Ruach, und dieß schwör ich euch bey dem Siebenhühnergestirn: daß ich[147] deß Volkes Lebensart seltsamer fand als zu sagen ist. Sie leben euch von gar nichts weiter als von Wind; sie essen nichts, sie trinken nichts als eitel Wind. Statt Häusern sieht man nur Wetterhähn. In ihren Gärten bauen sie nichts als die drey Arten der Anemona; die Raut, und andre carminativische Kräuter jäten sie sorgsam aus. Gemeine Leut führen zu ihrer Nahrung, Wedel von Federn, von Papier, oder Leinwand, wie's Jeder haben und zahlen kann. Die Reichen leben von Windmühlen: wenn sie ein Tractament oder Schmäuslein geben, schlägt man die Tafeln unter ein oder zwey Windmühlen auf; da schmausens dann so lustig wie die Hochzeitsleut, und disputiren über Tisch von Güt, Gesundheit, Herrlichkeit und Rarität der Wind; just so wie ihr Herrn Zecher bey euern Schmäusen von Wein-Materien philosophiret. Der Ein lobt den Sirock, der Ander den Betsch, der Dritt die Bis', der Viert den Garbin, der Fünft den Galern, der Sechst den Zephyr und so fort. Ein Andrer wieder den Hemden-Wind für die verliebten Honiglepper und Jungfernknecht. Den Kranken geben sie Zugwind ein, wie man bey uns Zugpflaster legt. Ach! sprach zu mir ein kleines puffigs Männlein, wer doch nur eine Blas voll von dem guten Languedoker Wind, der dort Cierce heißt, haben könnte! Scurron der edle Medicus kam eines Tags hie durch, der sagt' uns, er wär so stark daß er Lastwägen umwerfen könnt. Ach! das wär was, für mein arm Oedipoden-Bein! Die dicken sind just die besten nicht. – Doch! sprach Panurg, eine dicke Tonn deß guten Languedoker Weins aus Canteperdris, Mirevaulx und Frontignan?

Dort sah ich euch einen sehr stattlichen Menschen, rund wie die Windros anzusehn; der war auf zwey von seinen[148] Leuten schwer erzürnt, einen dicken Großknecht und ein winigs Büblein, schlug und trat sie mit harten Stiefeln teuflisch zusamen. Da ich nun des Zorns Ursach nicht wußt, dacht ich, es hättens ihm seine Aerzt etwann gerathen, weil es ihnen gesund wär, dem Herrn, zu zürnen und zu treten; dem Knecht, getreten zu werden. Da hört ich aber wie er dem Knecht Schuld gab daß ihm ein Schlauch Garbin-Wind den er als theuern Leckerbissen, sich auf das Spätjahr aufgehoben, halb ausgestochen worden wär. Sie kacken nicht, sie brunzen nicht, sie spucken nicht aus auf diesem Eiland. Dafür fisten, farzen, grölzen sie überschwenglich. Alle Krankheits-Sorten und Arten erleiden sie: auch kommt und stammt ja alle Krankheit von Windigkeit her, nach dem Buch des Hippokrates de Flatibus. Doch ihre Erb-Seuch ist Wind-Cholik, wogegen sie gewaltige Ventosen brauchen, durch die viel Wind von ihnen gehet. Sie sterben all an der Trommelsucht, und zwar die Männer farzend, die Weiber fistend. Also entfähret ihnen die Seel durchs Arßloch.

Hierauf weiter im Eiland spazierend stiessen wir auf drey grosse Windsäck, die wollten sich die Regenpfeifer zur Lust beschaun, denn deren hat es im Ueberfluß, und nähren sich von gleicher Kost. Auch sah ich, daß, gleichwie ihr Zecher über Land eure Reisefläschlein, Boutelgen und Gutter bey euch führet, jeder von ihnen an seinem Gurt ein kleines niedlichs Pfeiflein trug. Wenn ihnen einmal von Ohngefähr der Wind ausging, hurtig brauten sie sich mit diesen artigen Pfeiflein frischen, durch gegenseitige Attraction und Expulsion; wie ihr wißt daß Wind, nach seinem wahren Urbegriff, nichts weiter denn fluthendströmende Luft ist.

Im selben Augenblick ward uns von Königs wegen angezeigt daß wir binnen dreyer Stunden weder Mann noch Weib des Landes in unsre Schiff einnehmen sollten, weil man ihm eben einen Darm voll deß echten Windes gestohlen hätt, den einst der gute Puhster Aeol bey Meeresstill Ulyssen mitgab, die Schiff zu treiben; welchen er, wie einen zweyten heiligen Graal andächtig verwahrt' und mehrere enorme Seuchen damit heilt' indem er den Kranken nur soviel davon[149] heraus- und zugehn ließ, als zu einem Jungfernfürzlein nöthig; was unsre frommen Ordens-Schwestern in ihrer Sprach, Sonetto heissen.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 147-150.
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