Fünf und Funfzigstes Kapitel.

[180] Wie Pantagruel mitten im Meer verschiedne aufgethaute Wort hört.


Während wir nun auf offener See bankettirten, knabberten, schwätzten und artige kleine Gesprächlein führten, stund Pantagruel auf und spähet' so aufrechtstehend in die Fern. Dann sprach er zu uns: lieben Brüder, hört ihr nichts? Mir ist als hör ich Leut in der Luft parliren; aber ich seh doch niemand. Horcht! – Wir also paßten fleißig auf, wie er befahl, und schlurften die Luft mit offnen Ohren, wie gute Austern in der Schaal, ob eine Stimm oder Laut darinn schwäm: und daß uns ja nichts entgehen sollt, hielten wir unser Etliche, nach Kaiser Antonini Beyspiel, die flachen Händ uns hinter die Ohren, mußten jedoch gestehn daß wir von Stimmen etwas nicht vernähmen.

Pantagruel beharrt' dabey, er hört' in Lüften verschiedene Stimmen von Männern und Weibern. Itzo wards auch uns wie wenn wirs hörten, oder doch wie wenn uns die Ohren klängen. Je länger wir horchten, je mehr Stimmen wir unterschieden; bis wir endlich selbst ganze Wort verstunden: welches uns baß erschreckt', und nicht ohn Ursach; denn wir sahen keine Seel, und hörten doch so verschiedene Laut und Stimmen von Männern, Weibern, Kindern, Pferden. Panurg hielts nicht mehr aus, und schrie laut auf: Potz Höll und Tod! Was soll das? Ist das Tusch? Wir sind verloren! Flieht! Es ist hierum ein Hinterhalt. Freund Jahn, mein Bruder! bist du da? ach halt dich dicht zu mir! ich bitt dich. Du hast doch auch deinen Fochtel bey dir? Sie nur zu daß er auch leicht vom Leder geht: du bringst den Rost nicht halb herunter. Wir sind verloren! Horcht! Wahrlich das sind Kanonenschläg! Flieht! ich sag[181] nicht, mit Beinen und Händen, wie Brutus in der Pharsalischen Schlacht; ich sag, mit Segeln und Rudern. Flieht! Ich hab keinen Muth zur See; im Keller und anderswo, soviel ihr wollt. Flieht! Rettet uns? Nicht weil ich Furcht hätt: denn ich fürcht mich vor weiter nichts als vor Gefahren. Habs immer gesagt.

Auch der Freyschütz von Baignolet sagts; drum nur nix g'wagt, sonst werd ihr g'zwackt! Flieht! Linksum kehrt euch! 'Rum den Helm, du Hurensohn! Wollt Gott ich wär itzt in Quinquenoys, und sollt ich bis an mein End ledig bleiben! Flieht! Wir sind nicht Manns satt für sie; 's sind zehn gegen Einen, das schwör ich euch. Zudem sind sie auf ihrem Mist, wir kennen's Land nicht. Sie schlagen uns todt. Flieht! Flieht! das bringt uns keine Schand. Demosthenes spricht: der Mensch der flieht, kann wieder fechten. Zieht euch zum wenigsten zurück! Ho, luvwärts! leewärts! Fock? Bulienen! Wir sind maustodt. Flieht ins drey Teufels Namen, flieht!

Pantagruel, als er den Spuk hört', den Panurg macht', frug: Wer ist die Memm da drunten? Laßt uns erst sehn was für Leut es sind: vielleicht sinds von den Unsrigen. Noch seh ich keine Seel, und seh doch auf hundert Meilen in die Rund. Doch horcht wohl auf! Ich las einmal, ein Weiser Namens Pétron sey der Meinung gewesen daß es mehrere Welten gäb, die in gleichseitiger Figur eines Triangels einander berühren, auf deren Fuß und Mittelpunkt der Sitz der Wahrheit wär, wie er meint', und wohnten da die Wort, Ideen, Musterbild und Umriß aller vergangenen und künftigen Ding. Um die herum wär das Weltalter, und es fiel in gewissen Jahren, nach langen Fristen, ein Theil derselben auf die Menschen wie Schnupfen herunter, und wie der Thau auf Gideons Fließ fiel: ein Theil aber blieb für die Zukunft dort verwahrt bis zur Vollendung des Weltalters. Auch entsinn ich mich daß Aristoteles die Wort Homeri hüpfend, fliegend, regsam, und mithin lebendig zu seyn behauptet.

Ferner sagt auch Antiphanes, die Lehr des Platon glich den Worten die man in einem gewissen Land bey harter[182] Winterzeit nicht hört wann sie gesprochen werden, weil sie die strenge Luft zu Eis friert: so würd auch was Plato den Knaben lehret, von ihnen kaum im Alter verstanden. Itzt müßt man also wohl erwägen und untersuchen, ob forte-fortun' hie der Ort wär wo solche Wort aufthaun. Es sollt uns, mein ich, doch Wunder nehmen, wenn's etwann gar des Orpheus Haupt und Leyer wären. Denn damals, als die Thrazischen Weiber den Orpheus zerrissen, warfen sie sein Haupt und Leyer in den Fluß Hebrus. Darinn schwammen sie dann zu Thal ins Pontische Meer, bis zu der Insel Lesbos, auch im Meer einträchtig stets zusamen. Und aus dem Haupt erscholl fortwährend ein trauriger Gesang, als wenn es des Orpheus Tod beklagt'; die Leyer im Wind, der durch die Saiten fuhr, stimmt' in den Sang harmonisch ein. Schaut euch doch um, ob wir sie etwa hierum wo sehen.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 180-183.
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