Dritter Auftritt.

[594] Phädra. Oenone.


PHÄDRA.

Gehn wir nicht weiter, ruhn wie hier, Oenone,

Ich halte mich nicht mehr, die Kräfte schwinden;

Mich schmerzt des Tages ungewohnter Glanz,

Und meine Kniee zittern unter mir.

Ach!


Sie setzt sich.


OENONE.

Große Götter, schaut auf unsre Tränen!

PHÄDRA.

Wie diese schweren Hüllen auf mir lasten,

Der eitle Prunk! Welch ungebetne Hand

Hat diese Zöpfe künstlich mir geflochten,

Mit undankbarer Mühe mir das Haar

Um meine Stirn geordnet? Muß sich alles

Verschwören, mich zu kränken, mich zu quälen?

OENONE.

So ist sie ewig mit sich selbst im Streit!

– Du selbst, o Königin, besinn dich doch,

Dein trauriges Beginnen widerrufend,

Hast unsern Fleiß ermuntert, dich zu schmücken.

Du fühltest dir noch Kräfte, dich hervor

Zuwagen und der Sonne Licht zu sehn –

Du siehst es jetzt und hassest seinen Strahl!

PHÄDRA.

Glanzvoller Stifter meines traurigen Geschlechts!

Du, dessen Enkeltochter ich mich rühme!

Der über meine schmähliche Verwirrung

Vielleicht errötet – hoher Sonnengott!

Zum letztenmale seh ich deine Strahlen.

OENONE.

Weh mir, noch immer nährst du, Königin,

Den traurgen Vorsatz und entsagst dem Leben?

PHÄDRA schwärmerisch.

O säß ich draußen in der Wälder Grün! –

Wann wird mein Aug auf der bestäubten Bahn[594]

Des raschen Wagens flüchtgen Lauf verfolgen?

OENONE.

Wie, Königin? Was ist das?

PHÄDRA.

Ach, ich bin

Von Sinnen – Was hab ich gesagt? – Oenone –

Ich weiß nicht, was ich wünsche, was ich sage,

Ein Gott hat die Besinnung mir geraubt –

Fühl her, wie meine Wange glüht, Oenone,

Zu sehr verriet ich meine Schwäche dir,

Und wider Willen stürzen mir die Tränen.

OENONE.

Mußt du erröten, über dieses Schweigen

Erröte, diesen strafbarn Widerstand,

Der nur die Stacheln deiner Schmerzen schärft.

Willst du, von unserm Flehen ungerührt,

Hartnäckig alle Hülfe von dir stoßen

Und rettungslos dein Leben schwinden sehn?

Was für ein Wahnsinn setzt ihm vor der Zeit

Ein frühes Ziel? Was für ein Zauber, welch

Ein heimlich Gift macht seine Quellen stocken?

Dreimal umzog den Himmel schon die Nacht,

Seitdem kein Schlummer auf dein Auge sank,

Und dreimal wich die Finsternis dem Tag,

Seitdem dein Körper ohne Nahrung schmachtet.

Welch gräßlichem Entschlusse gibst du Raum?

Darfst du mit Frevelmut dich selbst zerstören?

Das heißt den Göttern trotzen, ist Verrat

Am Gatten, dem du Treue schwurst, Verrat

An deinen Kindern, den unschuldgen Seelen,

Die du zu hartem Sklavenjoch verdammst.

Der Tag, der ihre Mutter ihnen raubt,

Bedenk es, Königin, er gibt dem Sohn

Der Amazone seine Hoffnung wieder,

Dem stolzen Feinde deines Blutes, ihm,

Dem Fremdling, diesem Hippolyt –

PHÄDRA.

Ihr Götter!

OENONE.

Ergreift die Wahrheit dieses Vorwurfs dich?

PHÄDRA.

Unglückliche! Wen hast du jetzt genannt?[595]

OENONE.

Mit Recht empört sich dein Gemüt, mich freuts,

Daß dieser Unglücksname dich entrüstet!

Drum lebe! Laß die Liebe, laß die Pflicht

Es dir gebieten! Lebe! Dulde nicht,

Daß dieser Scythe das verhaßte Joch

Auf deine Kinder lege! der Barbar

Dem schönsten Blute Griechenlands gebiete!

Jetzt aber eile – jeder Augenblick,

Den du versäumst, bringt näher dich dem Tode.

Verschiebs nicht länger, die erliegende

Natur zu stärken, weil die Lebensflamme

Noch brennt und noch aufs neu sich läßt entzünden.

PHÄDRA.

Schon allzu lang nährt ich ein schuldvoll Dasein.

OENONE.

So klagt dein Herz geheimer Schuld dich an?

Ists ein Verbrechen, das dich so beängstigt?

Du hast doch nicht unschuldig Blut verspritzt?

PHÄDRA.

Die Hand ist rein. Wär es mein Herz wie sie!

OENONE.

Und welches Ungeheure sann dein Herz

Sich aus, das solchen Schauder dir erregt?

PHÄDRA.

Genug sagt ich, verschone mich. Ich sterbe,

Um das Unselige nicht zu gestehen!

OENONE.

So stirb! Beharr auf deinem trotzgen Schweigen!

Doch dir das Aug im Tode zu verschließen,

Such eine andre Hand! Obgleich dein Leben

Auf deiner Lippe schon entfliehend schwebt,

Dräng ich mich doch im Tode dir voran;

Es führen tausend Steige dort hinab,

Mein Jammer wählt den kürzesten sich aus.

Grausame, wann betrog ich deine Treu?

Vergaßest du, wer deine Kindheit pflegte?

Um deinetwillen Freunde, Vaterland

Und Kind verließ? So lohnst du meiner Liebe!

PHÄDRA.

Was hoffst du durch dein Flehn mir abzustürmen?

Entsetzen wirst du dich, brech ich mein Schweigen.

OENONE.

Was kannst du mir Entsetzlicheres nennen,

Als dich vor meinen Augen sterben sehn![596]

PHÄDRA.

Weißt du mein Unglück, weißt du meine Schuld,

Nicht minder sterb ich drum, nur schuldger sterb ich.

OENONE vor ihr niederfallend.

Bei allen Tränen, die ich um dich weinte,

Bei deinem zitternden Knie, das ich umfasse,

Mach meinem Zweifel, meiner Angst ein Ende!

PHÄDRA.

Du willst es so, steh auf.

OENONE.

O sprich, ich höre.

PHÄDRA.

Gott! Was will ich ihr sagen! Und wie will ichs?

OENONE.

Mit deinen Zweifeln kränkst du mich, vollende!

PHÄDRA.

O schwerer Zorn der Venus! Strenge Rache!

Zu welchem Wahnsinn triebst du meine Mutter!

OENONE.

Sprich nicht davon, ein ewiges Vergessen

Bedecke das unselige Vergehn!

PHÄDRA.

O Ariadne, Schwester! Welch Geschick

Hat Liebe dir am öden Strand bereitet!

OENONE.

Was ist dir? Welcher Wahnsinn treibt dich an,

In allen Wunden deines Stamms zu wühlen?

PHÄDRA.

So will es Venus! Von den Meinen allen

Soll ich, die letzte, soll am tiefsten fallen!

OENONE.

Du liebst?

PHÄDRA.

Der ganze Wahnsinn rast in mir.

OENONE.

Wen liebst du?

PHÄDRA.

Sei auf Gräßliches gefaßt.

Ich liebe – das Herz erzittert mir, mir schaudert,

Es herauszusagen – Ich liebe –

OENONE.

Wen?

PHÄDRA.

– Du kennst ihn,

Den Jüngling, ihn, den ich so lang verfolgte,

Den Sohn der Amazone –

OENONE.

Hippolyt!

Gerechte Götter!

PHÄDRA.

Du nanntest ihn, nicht ich.

OENONE.

Gott! All mein Blut erstarrt in meinen Adern.

O Jammer! O verbrechenvolles Haus

Des Minos! Unglückseliges Geschlecht![597]

O dreimal unglückselge Fahrt! daß wir

An diesem Unglücksufer mußten landen!

PHÄDRA.

Schon früher fing mein Unglück an. Kaum war

Dem Sohn des Aegeus meine Treu verpfändet,

Mein Friede schien so sicher mir gegründet,

Mein Glück mir so gewiß, da zeigte mir

Zuerst Athenä meinen stolzen Feind.

Ich sah ihn, ich errötete, verblaßte

Bei seinem Anblick; meinen Geist ergriff

Unendliche Verwirrung, finster wards

Vor meinen Augen, mir versagte die Stimme,

Ich fühlte mich durchschauert und durchflammt,

Der Venus furchtbare Gewalt erkannt ich

Und alle Qualen, die sie zürnend sendet.

Durch fromme Opfer hofft ich sie zu wenden,

Ich baut ihr einen Tempel, schmückt ihn reich,

Ich ließ der Göttin Hekatomben fallen,

Im Blut der Tiere sucht ich die Vernunft,

Die mir ein Gott geraubt – Ohnmächtige

Schutzwehren gegen Venus' Macht! Umsonst

Verbrannt ich köstlich Räuchwerk auf Altären,

In meinem Herzen herrschte Hippolyt,

Wenn meine Lippe zu der Göttin flehte.

Ihn sah ich überall und ihn allein,

Am Fuße selbst der rauchenden Altäre

War er der Gott, dem ich die Opfer brachte.

Was frommte mirs, daß ich ihn überall

Vermied – O unglückseliges Verhängnis!

In des Vaters Zügen fand ich ihn ja wieder.

Mit Ernst bekämpft ich endlich mein Gefühl,

Ich tat Gewalt mir an, ihn zu verfolgen.

Stiefmütterliche Launen gab ich mir,

Den allzuteuern Feind von mir zu bannen.

Ich ruhte nicht, bis er verwiesen ward,

In den Vater stürmt ich ein mit ewgem Dringen,

Bis ich den Sohn aus seinem Arm gerissen –[598]

Ich atmete nun wieder frei, Oenone,

In Unschuld flossen meine stillen Tage,

Verschlossen blieb in tiefer Brust mein Gram,

Und unterwürfig meiner Gattinpflicht

Pflegt ich die Pfänder unsrer Unglücksehe!

Verlorne Müh! O Tücke des Geschicks!

Mein Gatte bringt ihn selbst mir nach Trözene,

Ich muß ihn wiedersehn, den ich verbannt –

Und neu entbrennt die nie erstickte Glut.

Kein heimlich schleichend Feuer ist es mehr,

Mit voller Wut treibt mich der Venus Zorn.

Ich schaudre selbst vor meiner Schuld zurück,

Mein Leben haß ich und verdamme mich,

Ich wollte schweigend zu den Toten gehn,

Im tiefen Grabe meine Schuld verhehlen –

Dein Flehn bezwang mich, ich gestand dir alles,

Und nicht bereuen will ich, daß ichs tat,

Wenn du fortan mit ungerechtem Tadel

Die Sterbende verschonst, mit eitler Müh

Mich nicht dem Leben wiedergeben willst.


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 594-599.
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