Fünfter Auftritt.

[608] Hippolyt. Phädra. Oenone.


PHÄDRA noch in der Tiefe des Theaters.

Er ists, Oenone – All mein Blut tritt mir

Ans Herz zurück – Vergessen hab ich alles,

Was ich ihm sagen will, da ich ihn sehe.

OENONE.

Bedenke deinen Sohn, der auf dich hofft.

PHÄDRA vortretend, zu Hippolyt.

Man sagt, o Herr, du willst uns schnell verlassen.

Ich komme, meine Tränen mit den deinen

Zu mischen, ich komme, meines Sohnes wegen

Dir meine bangen Sorgen zu gestehn.

Mein Sohn hat keinen Vater mehr, und nah

Rückt schon der Tag, der ihm die Mutter raubt.

Von tausend Feinden seh ich ihn bedroht,

Herr, du allein kannst seine Kindheit schützen.

Doch ein geheimer Vorwurf quält mein Herz.

Ich fürchte, daß ich selbst dein Herz verhärtet,[608]

Ich zittre, Herr, daß dein gerechter Zorn

An ihm die Schuld der Mutter möchte strafen.

HIPPOLYT.

Ich denke nicht so niedrig, Königin.

PHÄDRA.

Wenn du mich haßtest, Herr, ich müßt es dulden.

Du sahest mich entbrannt auf dein Verderben,

In meinem Herzen konntest du nicht lesen.

Geschäftig war ich, deinen Haß zu reizen,

Dich konnt ich nirgends dulden, wo ich war,

Geheim und offen wirkt ich dir entgegen,

Nicht ruht ich, bis uns Meere selbst geschieden.

Selbst deinen Namen vor mir auszusprechen,

Verbot ich durch ein eigenes Gesetz.

Und dennoch – wenn an der Beleidigung

Sich Rache mißt, wenn Haß nur Haß erwirbt,

War nie ein Weib noch deines Mitleids werter

Und keines minder deines Hasses wert.

HIPPOLYT.

Es eifert jede Mutter für ihr Kind,

Dem Sohn der Fremden kann sie schwer vergeben,

Ich weiß das alles, Königin. War doch

Der Argwohn stets der zweiten Ehe Frucht!

Von jeder andern hätt ich gleichen Haß,

Vielleicht noch mehr Mißhandlungen erfahren.

PHÄDRA.

Ach Herr! Wie sehr nahm mich der Himmel aus

Von dieser allgemeinen Sinnesart!

Wie ein ganz andres ists, was in mir tobet!

HIPPOLYT.

Laß, Königin, dich keine Sorge quälen!

Noch lebt vielleicht dein Gatte, und der Himmel

Schenkt unsern Tränen seine Wiederkehr.

Beschützt ihn doch der mächtige Neptun:

Zu solchem Helfer fleht man nicht vergebens.

PHÄDRA.

Herr, zweimal sieht kein Mensch die Todesufer.

Theseus hat sie gesehn, drum hoffe nicht,

Daß ihn ein Gott uns wieder schenken werde,

Der karge Styx gibt seinen Raub nicht her.

– Tot wär er? Nein, er ist nicht tot! Er lebt

In dir! Noch immer glaub ich ihn vor Augen[609]

Zu sehn! Ich spreche ja mit ihm! Mein Herz –

– Ach ich vergesse mich! Herr, wider Willen

Reißt mich der Wahnsinn fort –

HIPPOLYT.

Ich seh erstaunt

Die wunderbare Wirkung deiner Liebe.

Theseus, obgleich im tiefen Grabe, lebt

Vor deinen Augen! Von der Leidenschaft

Zu ihm ist deine Seele ganz entzündet.

PHÄDRA.

Ja, Herr, ich schmachte, brenne für den Theseus,

Ich liebe Theseus, aber jenen nicht,

Wie ihn der schwarze Acheron gesehn,

Den flatterhaften Buhler aller Weiber,

Den Frauenräuber, der hinunterstieg,

Des Schattenkönigs Bette zu entehren.

Ich seh ihn treu, ich seh ihn stolz, ja selbst

Ein wenig scheu – Ich seh ihn jung und schön

Und reizend alle Herzen sich gewinnen.

Wie man die Götter bildet, so wie ich

– Dich sehe! Deinen ganzen Anstand hatt er,

Dein Auge, deine Sprache selbst! So färbte

Die edle Röte seine Heldenwangen,

Als er nach Kreta kam, die Töchter Minos'

Mit Lieb entzündete – Wo warst du da?

Wie konnt er ohne Hippolyt die besten,

Die ersten Helden Griechenlands versammeln?

O daß du, damals noch zu zarten Alters,

Nicht in dem Schiff mit warst, das ihn gebracht!

Den Minotaurus hättest du getötet,

Trotz allen Krümmen seines Labyrinths.

Dir hätte meine Schwester jenen Faden

Gereicht, um aus dem Irrgang dich zu führen.

O nein, nein, ich kam ihr darin zuvor!

Mir hätts zuerst die Liebe eingegeben,

Ich, Herr, und keine andre zeigte dir

Den Pfad des Labyrinths. Wie hätt ich nicht

Für dieses liebe Haupt gewacht! Ein Faden[610]

War der besorgten Liebe nicht genug,

Gefahr und Not hätt ich mit dir geteilt,

Ich selbst, ich wäre vor dir hergezogen,

Ins Labyrinth stieg ich hinab mit dir,

Mit dir war ich gerettet oder verloren.

HIPPOLYT.

Was hör ich, Götter! Wie? Vergissest du,

Daß Theseus dein Gemahl, daß er mein Vater –

PHÄDRA.

Wie kannst du sagen, daß ich das vergaß?

Bewahrt ich meine Ehre denn so wenig?

HIPPOLYT.

Verzeihung, Königin. Schamrot gesteh ich,

Daß ich unschuldge Worte falsch gedeutet.

Nicht länger halt ich deinen Anblick aus.


Will gehen.


PHÄDRA.

Grausamer, du verstandst mich nur zu gut.

Genug sagt ich, die Augen dir zu öffnen.

So sei es denn! So lerne Phädra kennen

Und ihre ganze Raserei. Ich liebe.

Und denke ja nicht, daß ich dies Gefühl

Vor mir entschuldge und mir selbst vergebe,

Daß ich mit feiger Schonung gegen mich

Das Gift genährt, das mich wahnsinnig macht:

Dem ganzen Zorn der Himmlischen ein Ziel,

Haß ich mich selbst noch mehr, als du mich hassest –

Zu Zeugen des ruf ich die Götter an,

Sie, die das Feuer in meiner Brust entzündet,

Das all den Meinen so verderblich war,

Die sich ein grausam Spiel damit gemacht,

Das schwache Herz der Sterblichen zu verführen.

Ruf das Vergangne dir zurück! dich fliehen

War mir zu wenig. Ich verbannte dich!

Gehässig, grausam wollt ich dir erscheinen;

Dir desto mehr zu widerstehn, warb ich

Um deinen Haß – Was frommte mirs! du haßtest

Mich desto mehr, ich – liebte dich nicht minder,

Und neue Reize nur gab dir dein Unglück.

In Glut, in Tränen hab ich mich verzehrt,

Dies zeigte dir ein einzger Blick auf mich,[611]

Wenn du den einzgen Blick nur wolltest wagen.

– Was soll ich sagen? Dies Geständnis selbst,

Das schimpfliche, denkst du, ich tats mit Willen?

Die Sorge trieb mich her für meinen Sohn,

Für ihn wollt ich dein Herz erflehn – Umsonst.

In meiner Liebe einzigem Gefühl

Konnt ich von nichts dir reden als dir selbst.

Auf, räche dich und strafe diese Flamme,

Die dir ein Greul ist; reinige, befreie,

Des Helden wert, der dir das Leben gab,

Von einem schwarzen Ungeheuer die Erde.

Des Theseus Witwe glüht für Hippolyt!

Nein, laß sie deiner Rache nicht entrinnen.

Hier treffe deine Hand, hier ist mein Herz!

Voll Ungeduld, den Frevel abzubüßen,

Schlägt es, ich fühl es, deinem Arm entgegen.

Triff, oder bin ich deines Streichs nicht wert,

Mißgönnt dein Haß mir diesen süßen Tod,

Entehrte deine Hand so schmählich Blut,

Leih mir dein Schwert, wenn du den Arm nicht willst.

Gib!


Entreißt ihm das Schwert.


OENONE.

Königin, was machst du? Große Götter!

Man kommt. O flieh den Blick verhaßter Zeugen,

Komm, folge mir und rette dich vor Schmach.


Sie führt Phädra ab.


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 608-612.
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