[613] Phädra und Oenone.
PHÄDRA.
Hinweg, hinweg. Zu andern wendet euch
Mit diesen Ehren, die man auf mich häuft!
Unglückliche, wie kannst du in mich dringen,
Daß ich mich zeige? O verbirg mich vielmehr!
Ach nur zu offen hab ich mich gezeigt,[613]
Mein rasend Wünschen wagt ich kundzugeben,
Ich hab gesagt, was man nie hören sollte!
– Wie horcht' er auf! Wie lange wußt er nicht
Ausweichend meiner Rede zu entschlüpfen!
Wie sann er nur auf schnelle Flucht, und wie
Vermehrte sein Erröten meine Scham!
O warum hieltst du meinen Arm zurück!
Als ich sein Schwert auf meinen Busen zückte,
Erblaßt' er nur für mich? Entriß er mirs?
Genug, daß meine Hand daran gerührt,
Ein Greuel wars in seinem Aug, es war
Geschändet und entehrte seine Hände!
OENONE.
So deinem eiteln Jammer ewig nur
Dahingegeben nährst du eine Glut,
Die du ersticken solltest. Wärs nicht besser,
Nicht würdiger des Bluts, das in dir fließt,
Dein Herz in edlern Sorgen zu zerstreun,
Den Undankbaren, der dich haßt, zu fliehn,
Zu herrschen und das Szepter zu ergreifen!
PHÄDRA.
Ich herrschen, ich ein Reich mir unterwerfen,
Und bin nicht Meister meiner selbst und bin
Nicht mächtig meiner Sinne mehr! Ich herrschen,
Die einer schimpflichen Gewalt erliegt,
Die stirbt!
OENONE.
So flieh!
PHÄDRA.
Ich kann ihn nicht verlassen.
OENONE.
Ihn nicht verlassen und verbanntest ihn!
PHÄDRA.
Es ist zu spät, er weiß nun meine Liebe.
Die Grenze keuscher Scham ist überschritten,
Das schimpfliche Geständnis ist getan,
Hoffnung schlich wider Willen in mein Herz.
Und riefst du selbst nicht meine fliehende Seele
Mit schmeichelhaftem Trosteswort zurück?
Du zeigtest mir verdeckt, ich könnt ihn lieben.
OENONE.
Dich zu erhalten, ach! was hätt ich nicht,
Unschuldig oder sträflich, mir erlaubt![614]
Doch wenn du je Beleidigung empfandst,
Kannst du vergessen, wie der Stolze dich
Verachtete! Wie grausam höhnend er
Dich nur nicht gar ihm ließ zu Füßen fallen!
Wie machte dieser Stolz ihn mir verhaßt!
O daß du ihn nicht sahst mit meinen Augen!
PHÄDRA.
Oenone, diesen Stolz kann er verlieren,
Wild ist er wie der Wald, der ihn erzog,
Er hört, ans rauhe Jagdwerk nur gewohnt,
Zum erstenmale jetzt von Liebe reden.
Er schwieg wohl gar aus Überraschung nur,
Und Unrecht tun wir ihm mit unsern Klagen.
OENONE.
Bedenk, daß eine Scythin ihn gebar.
PHÄDRA.
Obgleich sie Scythin war, sie liebte doch.
OENONE.
Er haßt, du weißt es, unser ganz Geschlecht.
PHÄDRA.
So werd ich keiner andern aufgeopfert.
– Zur Unzeit kommen alle deine Gründe,
Hilf meiner Leidenschaft, nicht meiner Tugend.
Der Liebe widersteht sein Herz. Laß sehn,
Ob wirs bei einer andern Schwäche fassen!
Die Herrschaft lockt' ihn, wie mir schien, es zog
Ihn nach Athen, er konnt es nicht verbergen.
Die Schnäbel seiner Schiffe waren schon
Herumgekehrt, und alle Segel flogen.
Geh, schmeichle seiner Ehrbegier, Oenone,
Mit einer Krone Glanz – Er winde sich
Das Diadem um seine Stirne, mein
Sei nur der Ruhm, daß ichs ihm umgebunden!
Behaupten kann ich meine Macht doch nicht,
Nehm er sie hin! Er lehre meinen Sohn
Die Herrscherkunst und sei ihm statt des Vaters;
Mutter und Sohn geb ich in seine Macht.
Geh, laß nichts unversucht, ihn zu bewegen,
Dich wird er hören, wenn er mich nicht hört;
Dring in ihn, seufze, weine, schildre mich
Als eine Sterbende, o schäme dich[615]
Auch selbst der Flehensworte nicht! Was du
Gut findest, ich bekenne mich zu allem.
Auf dir ruht meine letzte Hoffnung. Geh!
Bis du zurückgekehrt, beschließ ich nichts.
Oenone geht ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Phädra
|
Buchempfehlung
Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.
310 Seiten, 17.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro