[616] Phädra. Oenone.
OENONE.
Ersticken mußt du jeglichen Gedanken
An deine Liebe jetzt, Gebieterin!
Sei wieder ganz du selbst. Ruf deine Tugend
Zurück. Der König, den man tot geglaubt,
Er wird sogleich vor deinen Augen stehn.
Theseus ist angelangt! Theseus ist hier!
Entgegen stürzt ihm alles Volk – Ich ging,[616]
Wie du befahlst, den Hippolyt zu suchen,
Als tausend Stimmen plötzlich himmelan –
PHÄDRA.
Mein Gatte lebt, Oenone; mir genug.
Ich habe eine Leidenschaft gestanden,
Die ihn beschimpft. Er lebt. Es braucht nichts weiter.
OENONE.
Wie, Königin?
PHÄDRA.
Ich sagte dirs vorher,
Du aber hörtest nicht, mit deinen Tränen
Besiegtest du mein richtiges Gefühl.
Noch heute früh starb ich der Tränen wert –
Ich folgte deinem Rat, und ehrlos sterb ich.
OENONE.
Du stirbst?
PHÄDRA.
Ihr Götter! Was hab ich getan!
Mein Gemahl wird kommen und sein Sohn mit ihm.
Ich werd ihn sehn, wie er ins Aug mich faßt,
Der furchtbare Vertraute meiner Schuld,
Wie er drauf Achtung gibt, mit welcher Stirn
Ich seinen Vater zu empfangen wage!
Das Herz von Seufzern schwer, die er verachtet,
Das Aug von Tränen feucht, die er verschmäht!
Und glaubst du wohl, er, so voll Zartgefühl,
So eifersüchtig auf des Vaters Ehre –
Er werde meiner schonen, den Verrat
An seinem Vater, seinem König dulden?
Wird er auch seinem Abscheu gegen mich
Gebieten können? Ja, und schwieg' er auch!
Oenone, ich weiß meine Schuld, und nicht
Die Kecke bin ich, die, sich im Verbrechen
In sanfte Ruh einwiegend, aller Scham
Mit eherner Stirne, nie errötend, trotzte.
Mein Unrecht kenn ich, es steht ganz vor mir.
Schon seh ich diese Mauern, diese Bogen
Sprache bekommen und, mich anzuklagen
Bereit, des Gatten Ankunft nur erwarten,
Furchtbares Zeugnis gegen mich zu geben!
– Nein, laß mich sterben! diesen Schrecknissen[617]
Entziehe mich der Tod – er schreckt mich nicht!
Mich schreckt der Name nur, den ich verlasse,
Ein gräßlich Erbteil meinen armen Kindern.
Die Abkunft von dem Zeus erhebt ihr Herz,
Der Mutter Schuld wird schwer auf ihnen lasten.
Oenone, mit Entsetzen denk ich es,
Erröten werden sie, wenn man mich nennt,
Und wagens nicht, die Augen aufzuschlagen.
OENONE.
Das wird gewiß geschehen, zweifle nicht!
O wahrlich, nie war eine Furcht gerechter.
Doch warum willst du sie der Schmach bloßstellen?
Warum dich selbst anklagen? – Ach es ist
Um uns geschehen! Phädra, hör ich sagen,
Bekennt sich schuldig! Phädra trägt ihn nicht,
Den furchtbarn Anblick des verratnen Gatten.
Wie glücklich ist dein Feind, daß du ihm selbst
Gewonnen gibst auf Kosten deines Lebens!
Was werd ich ihm antworten, wenn er nun
Als Kläger auftritt? Ach ich muß verstummen!
Er aber wird sich seines gräßlichen
Triumphs mit Übermut erfreun und jedem,
Ders hören will, von deiner Schmach erzählen.
Eh dies geschieht, zerschmettre mich der Blitz!
– Sag mir die Wahrheit. Ist er dir noch teuer?
Mit welchem Auge siehst du jetzt den Stolzen?
PHÄDRA.
Ein Ungeheuer ist er in meinen Augen.
OENONE.
Warum den leichten Sieg ihm also lassen?
Du fürchtest ihn – So wag es, ihn zuerst
Der Schuld, die er dir vorwirft, anzuklagen.
Wer kann dich Lügen strafen? Alles verdammt ihn.
Sein Schwert, zum Glück in deiner Hand gelassen,
Dein jetzger Schrecken, dein bisherger Gram,
Die vorgefaßte Meinung seines Vaters
Und deine frühern Klagen über ihn,
Auch dies, daß du schon einmal ihn verbannt –
PHÄDRA.
Ich soll die Unschuld unterdrücken, lästern?[618]
OENONE.
Mir ist an deinem Schweigen schon genug.
Ich zittre so wie du, auch mein Gewissen
Regt sich, und tausend Tode stürb ich lieber!
Doch ohne dieses Mittel der Verzweiflung
Verlier ich dich! Es gilt zu hohen Preis,
So weiche jedes andre deinem Leben!
– Ich werde reden – Theseus, glaube mir,
Wenn mein Bericht ihn aufgereizt, wird sich
Mit der Verbannung seines Sohns begnügen,
Ein Vater bleibt auch Vater noch im Strafen!
Doch müßt auch selbst das Blut der Unschuld fließen,
Dein Ruf steht auf dem Spiel, es gilt die Ehre,
Der muß man alles opfern, auch die Tugend.
Man kommt. Ich sehe Theseus.
PHÄDRA.
Wehe mir!
Ich sehe Hippolyt. Ich lese schon
In seinen stolzen Blicken mein Verderben.
– Tu, was du willst, dir überlaß ich mich,
In meiner Angst kann ich mir selbst nicht raten.
Ausgewählte Ausgaben von
Phädra
|
Buchempfehlung
»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge
276 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro