Fünfter Auftritt.

[619] Theseus. Hippolyt. Theramen.


THESEUS.

Wie? Welch ein seltsamer Empfang? – Mein Sohn?

HIPPOLYT.

Phädra mag das Geheimnis dir erklären.

Doch wenn mein Flehn was über dich vermag,

Erlaub, o Herr, daß ich sie nie mehr sehe,

Laß den erschrocknen Hippolyt den Ort,

Wo deine Gattin lebt, auf ewig meiden.

THESEUS.

Verlassen willst du mich, mein Sohn?

HIPPOLYT.

Ich suchte

Sie nicht! Du brachtest sie an diese Küste!

Du warst es selbst, o Herr, der mir beim Scheiden

Aricien und die Königin anvertraut,

Ja mich zum Hüter über sie bestellt.

Was aber könnte nun mich hier noch halten?

Zu lange schon hat meine müßge Jugend

Sich an dem scheuen Wilde nur versucht.

Wärs nun nicht Zeit, unwürdge Ruhe fliehend,

Mit edlerm Blute mein Geschoß zu färben?

Noch hattest du mein Alter nicht erreicht,

Und manches Ungeheuer fühlte schon

Und mancher Räuber deines Armes Schwere.

Des Übermutes Rächer, hattest du

Das Ufer zweier Meere schon gesichert,

Der Wanderer zog seine Straße frei,

Und Herkules, als er von dir vernahm,

Fing an, von seiner Arbeit auszuruhn.

Doch ich, des Helden unberühmter Sohn,

Tat es noch nicht einmal der Mutter gleich!

O gönne, daß mein Mut sich endlich zeige,

Und wenn ein Ungeheuer dir entging,

Daß ichs besiegt zu deinen Füßen lege,

Wo nicht, durch einen ehrenvollen Tod

Mich aller Welt als deinen Sohn bewähre.

THESEUS.

Was muß ich sehen? Welch ein Schrecknis ists,[620]

Das ringsum sich verbreitend all die Meinen

Zurück aus meiner Nähe schreckt? Kehr ich

So ungewünscht und so gefürchtet wieder,

Warum, ihr Götter, erbracht ihr mein Gefängnis?

Ich hatte einen einzgen Freund. Die Gattin

Wollt er dem Herrscher von Epirus rauben,

Von blinder Liebeswut betört. Ungern

Bot ich zum kühnen Frevel meinen Arm,

Doch zürnend nahm ein Gott uns die Besinnung.

Mich überraschte wehrlos der Tyrann,

Den Waffenbruder aber, meinen Freund,

Pirithous – o jammervoller Anblick! –

Mußt ich den Tigern vorgeworfen sehn,

Die der Tyrann mit Menschenblute nährte.

Mich selbst schloß er in eine finstre Gruft,

Die, schwarz und tief, ans Reich der Schatten grenzte.

Sechs Monde hatt ich hülflos hier geschmachtet,

Da sahen mich die Götter gnädig an,

Das Aug der Hüter wußt ich zu betrügen,

Ich reinigte die Welt von einem Feind,

Den eignen Tigern gab ich ihn zur Speise.

Und jetzo, da ich fröhlich heimgekehrt

Und, was die Götter Teures mir gelassen,

Mit Herzensfreude zu umfassen denke –

Jetzt, da die Seele sich nach langem Durst

An dem erwünschten Anblick laben will –

Ist mein Empfang Entsetzen, alles flieht mich,

Entzieht sich meiner liebenden Umarmung,

Ja und ich selbst, von diesem Schrecken an

Gesteckt, der von mir ausgeht, wünsche mich

Zurück in meinen Kerker zu Epirus.

– Sprich! Phädra klagt, daß ich beleidigt sei.

Wer verriet mich? Warum bin ich nicht gerächet?

Hat Griechenland, dem dieser Arm so oft

Gedient, Zuflucht gegeben dem Verbrecher?

Du gibst mir nichts zur Antwort. Solltest dus,[621]

Mein eigner Sohn, mit meinen Feinden halten?

Ich geh hinein. Zu lang bewahr ich schon

Den Zweifel, der mich niederdrückt. Auf einmal

Will ich den Frevel und den Frevler kennen.

Von diesem Schrecken, den sie blicken läßt,

Soll Phädra endlich Rechenschaft mir geben.


Geht ab.


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 619-622.
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