[622] Theseus. Oenone.
THESEUS.
Was hör ich! Götter! solchen Angriff wagte
Ein Rasender auf seines Vaters Ehre![622]
Wie hart verfolgst du mich, ergrimmtes Schicksal!
Ich weiß nicht, was ich soll, nicht, was ich bin!
O wird mir solcher Dank für meine Liebe?
Fluchwerte Tat! Verdammliches Erkühnen!
Und seiner wilden Lust genugzutun,
Erlaubte sich der Freche gar Gewalt!
Erkannt hab ichs, das Werkzeug seiner Wut,
Dies Schwert, zu edlerm Dienst ihm umgehangen,
Nicht hielt ihn selbst die heilge Scheu des Bluts!
Und Phädra säumte noch, ihn anzuklagen,
Und Phädra schwieg und schonte des Verräters.
OENONE.
Des unglückselgen Vaters schonte Phädra.
Vom Angriff dieses Wütenden beschämt
Und dieser frevelhaften Glut, die sie
Schuldlos entzündet, wollte Phädra sterben.
Schon zuckte sie die mörderische Hand,
Das schöne Licht der Augen auszulöschen,
Da fiel ich ihr in den erhobnen Arm,
Ja, ich allein erhielt sie deiner Liebe.
Und jetzt, o Herr, von ihrem großen Leiden,
Von deiner Furcht gerührt, entdeckt ich dir,
Ich tats nicht gern, die Ursach ihrer Tränen.
THESEUS.
Wie er vor mir erblaßte, der Verräter!
Er konnte mir nicht ohne Zittern nahn!
Ich war erstaunt, wie wenig er sich freute!
Sein frostiger Empfang erstickte schnell
Die frohe Wallung meiner Zärtlichkeit.
– Doch dieser Liebe frevelhafte Glut,
O sprich, verriet sie sich schon in Athen?
OENONE.
Denk an die Klagen meiner Königin,
O Herr! Aus einer frevelhaften Liebe
Entsprang ihr ganzer Haß.
THESEUS.
Und diese Liebe
Entflammte sich von neuem in Trözene?
OENONE.
Herr, alles, was geschehen, sagt ich dir!
Zu lang ließ ich die Königin allein[623]
In ihrem Schmerz; erlaube, daß ich dich
Verlasse, Herr, und meiner Pflicht gehorche.
Oenone geht ab.
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