[630] Phädra. Oenone.
PHÄDRA.
O weißt du, was ich jetzt vernahm, Oenone?
OENONE.
Nein, aber zitternd komm ich her, ich wills
Nicht leugnen. Mich erschreckte der Entschluß,
Der dich heraus geführt. Ich fürchtete,
Du möchtest dich in blindem Eifer selbst
Verraten.
PHÄDRA.
Ach, wer hätts geglaubt, Oenone!
Man liebte eine andre!
OENONE.
Wie? Was sagst du?
PHÄDRA.
Hippolyt liebt! Ich kann nicht daran zweifeln.
Ja, dieser scheue Wilde, den die Ehrfurcht
Beleidigte, der Liebe zärtlich Flehn
Verscheuchte, dem ich niemals ohne Furcht
Genaht, der wilde Tiger ist gebändigt,
Aricia fand den Weg zu seinem Herzen.
OENONE.
Aricia!
PHÄDRA.
O nie gefühlter Schmerz!
Zu welcher neuen Qual spart ich mich auf!
Was ich erlitten bis auf diesen Tag,
Die Furcht, die Angst, die Rasereien alle[630]
Der Leidenschaft, der Wahnsinn meiner Liebe,
Des innern Vorwurfs grauenvolle Pein,
Die Kränkung selbst, die unerträgliche,
Verschmäht zu sein, es war ein Anfang nur
Der Folterqualen, die mich jetzt zerreißen.
Sie lieben sich! durch welches Zaubers Macht
Vermochten sies, mein Auge so zu täuschen?
Wie sahn sie sich? Seit wann? An welchem Ort?
Du wußtest drum, wie ließest dus geschehn
Und gabst mir keinen Wink von ihrer Liebe?
Sah man sie oft sich sprechen und sich suchen?
Der dunkle Wald verbarg sie? – Wehe mir!
Sie konnten sich in voller Freiheit sehn,
Der Himmel billigte ihr schuldlos Lieben,
Sie folgten ohne Vorwurf, ohne Furcht
Dem sanften Zug der Herzen. Hell und heiter
Ging jedes Tages Sonne für sie auf!
Und ich, der traurge Auswurf der Natur,
Verbarg mich vor dem Licht; der einzge Gott,
Dem ich zu rufen wagte, war der Tod.
Ihn sah ich schon mit schnellen Schritten nahn,
Mit Tränen nährt ich mich, mit bitterm Gram,
Und selbst in meinen Tränen durft ich nicht
Nach Herzenswunsche mich ersättigen!
Vom Blick der Neugier allzuscharf bewacht,
Genoß ich zitternd diese traurge Lust,
Ja oft mußt ich sie gänzlich mir versagen
Und unter heitrer Stirn den Gram verbergen.
OENONE.
Was hoffen sie für Frucht von ihrer Liebe?
Sie werden nie sich wiedersehn!
PHÄDRA.
Sie werden
Sich ewig lieben! Jetzt, indem ich rede,
Verlachen sie, o tötender Gedanke!
Den ganzen Wahnsinn meiner Liebeswut!
Umsonst verbannt man ihn, sie schwören sichs
Mit tausend Schwüren, nie sich zu verlassen.[631]
Nein, ich ertrags nicht, dieses Glück zu sehn,
Oenone, das mir Hohn spricht – Habe Mitleid
Mit meiner eifersüchtgen Wut! Aricia
Muß fallen! Man muß den alten Haß des Königs
Erregen wider dies verhaßte Blut;
Nicht leicht soll ihre Strafe sein, die Schwester
Hat schwerer sich vergangen als die Brüder.
In meiner Eifersucht, in meiner Wut
Erfleh ichs von dem König!
Wie sie gehn will, hält sie plötzlich an und besinnt sich.
Was will ich tun?
Wo reißt die Wut mich hin? Ich eifersüchtig!
Und Theseus ists, den ich erflehen will!
Mein Gatte lebt, und mich durchrast noch Liebe!
Für wen? Um welches Herz wag ich zu buhlen?
Es sträubt mir grausend jedes Haar empor,
Das Maß des Gräßlichen hab ich vollendet.
Blutschande atm' ich und Betrug zugleich;
Ins Blut der Unschuld will ich, racheglühend,
Die Mörderhände tauchen – Und ich lebe!
Ich Elende! und ich ertrag es noch,
Zu dieser heilgen Sonne aufzublicken,
Von der ich meinen reinen Ursprung zog.
Den Vater und den Oberherrn der Götter
Hab ich zum Ahnherrn; der Olympus ist,
Der ganze Weltkreis voll von meinen Ahnen.
Wo mich verbergen? Flieh ich in die Nacht
Des Totenreichs hinunter? Wehe mir!
Dort hält mein Vater des Geschickes Urne,
Das Los gab sie in seine strenge Hand,
Der Toten bleiche Scharen richtet Minos.
Wie wird sein ernster Schatte sich entsetzen,
Wenn seine Tochter vor ihn tritt, gezwungen,
Zu Freveln sich, zu Greueln zu bekennen,
Davon man selbst im Abgrund nie vernahm!
Was wirst du, Vater, zu der gräßlichen[632]
Begegnung sagen? Ach, ich sehe schon
Die Schreckensurne deiner Hand entfallen,
Ich sehe dich, auf neue Qualen sinnend,
Ein Henker werden deines eignen Bluts.
Vergib mir. Ein erzürnter Gott verderbte
Dein ganzes Haus; der Wahnsinn deiner Tochter
Ist seiner Rache fürchterliches Werk!
Ach von der schweren Schuld, die mich befleckt,
Hat dieses traurge Herz nie Frucht geerntet!
Ein Raub des Unglücks bis zum letzten Hauch,
End ich in Martern ein gequältes Leben.
OENONE.
Verbanne endlich doch den leeren Schrecken,
Gebieterin! Sieh ein verzeihliches
Vergehn mit andern Augen an. Du liebst!
Nun ja! Man kann nicht wider sein Geschick.
Du warst durch eines Zaubers Macht verführt,
Ist dies denn ein so nie erhörtes Wunder?
Bist du die erste, die der Liebe Macht
Empfindet? Schwache Menschen sind wir alle,
Sterblich geboren darfst du sterblich fehlen.
Ein altes Joch ists, unter dem du leidest!
Die Götter selbst, die Himmlischen dort oben,
Die auf die Frevler ihren Donner schleudern,
Sie brannten manchmal von verbotner Glut.
PHÄDRA.
Was hör ich? Welchen Rat darfst du mir geben?
So willst du mich denn ganz im Grund vergiften,
Unselge! Sieh, so hast du mich verderbt!
Dem Leben, das ich floh, gabst du mich wieder,
Dein Flehen ließ mich meine Pflicht vergessen:
Ich flohe Hippolyt, du triebst mich, ihn zu sehn.
Wer trug dir auf, die Unschuld seines Lebens
Mit schändlicher Beschuldigung zu schwärzen?
Sie wird vielleicht sein Tod, und in Erfüllung
Geht seines Vaters mörderischer Fluch.
– Ich will dich nicht mehr hören. Fahre hin,
Fluchwürdige Verführerin! Mich selbst[633]
Laß sorgen für mein jammervolles Los.
Mög dirs der Himmel lohnen nach Verdienst
Und deine Strafe ein Entsetzen sein
Für alle, die mit schändlicher Geschäftigkeit,
Wie du, den Schwächen ihrer Fürsten dienen,
Uns noch hinstoßen, wo das Herz schon treibt,
Und uns den Weg des Frevels eben machen.
Verworfne Schmeichler, die der Himmel uns
In seinem Zorn zu Freunden hat gegeben.
Sie geht ab.
OENONE allein.
Geopfert hab ich alles, alles hab ich
Getan, um ihr zu dienen! Große Götter!
Das ist mein Lohn! Mir wird, was ich verdiene.
Ausgewählte Ausgaben von
Phädra
|
Buchempfehlung
Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro