Erster Auftritt.

[634] Hippolyt. Aricia. Ismene.


ARICIA.

Du schweigst in dieser äußersten Gefahr?

Du lässest einen Vater, der dich liebt,

In seinem Wahn. O wenn dich meine Tränen

Nicht rühren, Grausamer! Wenn du so leicht

Dich drein ergibst, mich ewig zu verlieren,

Geh hin, verlaß mich, trenne dich von mir,

Doch sichre wenigstens zuvor dein Leben!

Verteidge deine Ehre! Reinige dich

Von einem schändlichen Verdacht! Erzwings

Von deinem Vater, seinen blutgen Wunsch

Zu widerrufen. Noch ists Zeit. Warum

Das Feld frei lassen deiner blutgen Feindin?

Verständige den Theseus.

HIPPOLYT.

Hab ichs nicht

Getan? Sollt ich die Schande seines Bettes

Enthüllen ohne Schonung, und die Stirn

Des Vaters mit unwürdger Röte färben?[634]

Du allein durchdrangst das gräßliche Geheimnis,

Dir und den Göttern nur kann ich mich öffnen.

Dir konnt ich nicht verbergen, was ich gern

Mir selbst verbarg – urteil, ob ich dich liebe!

Jedoch bedenke, unter welchem Siegel

Ich dirs vertraut! Vergiß, wenns möglich ist,

Was ich gesagt, und deine reine Lippen

Beflecke nie die gräßliche Geschichte.

Laß uns der Götter Billigkeit vertrauen,

Ihr eigner Vorteil ists, mir Recht zu schaffen,

Und früher oder später, sei gewiß,

Wird Phädra schmachvoll ihr Gebrechen büßen.

Hierin allein leg ich dir Schonung auf,

Frei folg ich meinem Zorn in allem andern.

Verlaß die Knechtschaft, unter der du seufzest,

Wags, mir zu folgen, teile meine Flucht,

Entreiß dich diesem unglückselgen Ort,

Wo die Unschuld eine schwere Giftluft atmet.

Jetzt, da mein Unfall allgemeinen Schrecken

Verbreitet, kannst du unbemerkt entkommen.

Die Mittel geb ich dir zur Flucht, du hast

Bis jetzt noch keine Wächter als die meinen.

Uns stehen mächtige Beschützer bei,

Argos und Sparta reichen uns den Arm;

Komm! Bieten wir für unsre gute Sache

Die Hülfe deiner, meiner Freunde auf,

Ertragen wir es nicht, daß Phädra sich

Bereichre mit den Trümmern unsers Glücks,

Aus unserm Erb uns treibe, dich und mich,

Und ihren Sohn mit unserm Raube schmücke.

Komm, eilen wir, der Augenblick ist günstig.

– Was fürchtest du? du scheinst dich zu bedenken.

Dein Vorteil ja macht einzig mich so kühn,

Und lauter Eis bist du, da ich voll Glut?

Du fürchtest, dich dem Flüchtling zu gesellen?

ARICIA.

O schönes Los, mich so verbannt zu sehn![635]

Geknüpft an dein Geschick, wie selig froh

Wollt ich von aller Welt vergessen leben!

Doch, da so schönes Band uns nicht vereint,

Erlaubts die Ehre mir, mit dir zu fliehn?

Aus deines Vaters Macht kann ich mich wohl

Befrein, der strengsten Ehre unbeschadet:

Das heißt sich lieben Freunden nicht entreißen;

Flucht ist erlaubt, wenn man Tyrannen flieht.

Doch, Herr – du liebst mich – Furcht für meine Ehre –

HIPPOLYT.

Nein, nein, zu heilig ist mir deine Ehre!

Mit edlerem Entschlusse kam ich her,

Flieh deinen Feind und folge deinem Gatten.

Frei macht uns unser Unglück, wir sind niemands,

Frei können wir jetzt Herz und Hand verschenken,

Die Fackeln sinds nicht, die den Hymen weihen.

Unfern dem Tor Trözens, bei jenen Gräbern,

Wo meiner Ahnherrn alte Male sind,

Stellt sich ein Tempel dar, furchtbar dem Meineid.

Hier wagt man keinen falschen Schwur zu tun,

Denn schnell auf das Verbrechen folgt die Rache,

Das Graun des unvermeidlichen Geschicks

Hält unter fürchterlichem Zaum die Lüge!

Dort laß uns hingehn und den heilgen Bund

Der ewgen Liebe feierlich geloben.

Den Gott, der dort verehrt wird, nehmen wir

Zum Zeugen, beide flehen wir ihn an,

Daß er an Vaters Statt uns möge sein.

Die heiligsten Gottheiten ruf ich an,

Die keusche Diane, die erhabne Juno,

Sie alle, die mein liebend Herz erkannt,

Sie ruf ich an zu meines Schwures Bürgen!

ARICIA.

Der König kommt. O fliehe eilends, fliehe!

Um meine Flucht zu bergen, weil' ich noch.

Geh, geh, und laß mir einen treuen Freund,

Der meinen bangen Schritt zu dir geleite.


Hippolyt geht ab.


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 634-636.
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