Dritter Auftritt.

[637] Theseus. Aricia.


THESEUS.

Du entfärbst dich, Königin? Du scheinst erschrocken!

Was wollte Hippolyt an diesem Ort?

ARICIA.

Er sagte mir ein ewig Lebewohl.

THESEUS.

Du wußtest dieses stolze Herz zu rühren,

Und deine Schönheit lehrte ihn die Liebe.

ARICIA.

Wahr ists, o Herr, den ungerechten Haß

Hat er von seinem Vater nicht geerbt,

Hat mich nicht als Verbrecherin behandelt.

THESEUS.

Ja, ja, ich weiß. Er schwur dir ewge Liebe.

Doch baue nicht auf dieses falsche Herz,

Auch andern schwur er eben das!

ARICIA.

Er tat es?

THESEUS.

Du hättest ihn beständger machen sollen!

Wie ertrugst du diese gräßliche Gemeinschaft?

ARICIA.

Und wie erträgst du, daß die gräßliche

Beschuldigung das schönste Leben schmäht?

Kennst du sein Herz so wenig? Kannst du Schuld

Von Unschuld denn so gar nicht unterscheiden?

Muß ein verhaßter Nebel deinem Aug

Allein die hohe Reinigkeit verbergen,

Die hell in aller Augen strahlt? Du hast[637]

Zu lang ihn falschen Zungen preisgegeben.

Geh in dich, Herr! Bereue, widerrufe

Die blutgen Wünsche! Fürchte, daß der Himmel

So sehr dich hasse, um sie zu gewähren!

Oft nimmt er unser Opfer an im Zorn,

Und straft durch seine Gaben unsre Frevel.

THESEUS.

Nein, nein, umsonst bedeckst du sein Vergehn:

Dich blendet Liebe zu dem Undankbaren.

Ich halte mich an zuverläßge Zeugen,

Ich habe wahre Tränen fließen sehn.

ARICIA.

Gib acht, o Herr! Unzählge Ungeheuer

Vertilgte deine tapfre Hand, doch alles

Ist nicht vertilgt, und leben ließest du

Noch ein – dein Sohn verwehrt mir fortzufahren.

Des Vaters Ehre, weiß ich, ist ihm heilig,

Ich würd ihm weh tun, wenn ich endete.

Nacheifr' ich seiner edeln Scham und flieh

Aus deinen Augen, um nicht mehr zu sagen.


Sie geht ab.


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 637-638.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Phädra
Phädra

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon