Fünfter Auftritt.

[638] Theseus. Panope.


PANOPE.

Ich weiß nicht, Herr, worauf die Fürstin sinnt,

Doch ihre Schwermut läßt mich alles fürchten.

In ihren Zügen malt sich die Verzweiflung,

Und Todesblässe deckt ihr Angesicht.

Schon hat Oenone sich, die sie mit Schmach

Verstieß, ins tiefe Meer hinabgestürzt.

Man weiß den Grund nicht der Verzweiflungstat,

Vor unserm Aug verschlangen sie die Wellen.

THESEUS.

Was hör ich!

PANOPE.

Ihr Tod hat Phädra nicht beruhigt,

Ja steigend immer mehrt sich ihre Angst.

Bald stürzt sie sich im heftigen Gefühl

Auf ihre Kinder, badet sie in Tränen,

Als brächt es Lindrung ihrem großen Schmerz,

Und plötzlich stößt sie sie mit Grauen weit

Von sich, das Herz der Mutter ganz verleugnend.

Sie schweift umher mit ungewissem Schritt,

Ihr irrer Blick scheint uns nicht mehr zu kennen;

Dreimal hat sie geschrieben, dreimal wieder

Den Brief zerrissen, ihre Meinung ändernd.

O eile, sie zu sehen! sie zu retten!

THESEUS.

Oenone tot und Phädra stirbt! Ihr Götter!

– Ruft meinen Sohn zurück! Er komme, spreche,

Verteidge sich, ich will ihn hören! Eilt!


Panope geht ab.


O nicht zu rasch, Neptun, erzeige mir

Den blutgen Dienst! Magst du mich lieber nie erhören!

Zuviel vielleicht vertraut ich falschen Zeugen,

Zu rasch hab ich die Hand zu dir erhoben!

Weh mir! Verzweiflung hätt ich mir erfleht!


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 638-639.
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