[643] Theseus. Phädra. Theramen. Panope.
THESEUS.
Nun wohl, du hast gesiegt, mein Sohn ist tot.
Ach, wie gerechten Grund hab ich, zu fürchten!
Welch grausamer Verdacht erhebt sich furchtbar
In mir und spricht ihn frei in meinem Herzen!
Doch – er ist tot! Unschuldig oder schuldig!
Nimm hin dein Opfer! Freu dich seines Falls!
Ich willge drein, mich ewig zu betrügen!
Du klagst ihn an, so sei er ein Verbrecher!
Schon gnug der Tränen kostet mir sein Tod,
Nicht brauch ichs, ein verhaßtes Licht zu suchen,
Das meinem Schmerz ihn doch nicht wiedergibt,[643]
Vielleicht das Maß nur meines Unglücks füllt.
Laß mich, weit, weit von dir und diesem Ufer
Das Schreckbild fliehen des zerrißnen Sohns.
Herausfliehn möcht ich aus der ganzen Welt,
Um dieser Qualerinnrung zu entweichen.
Was mich umgibt, rückt mir mein Unrecht vor,
Zur Strafe wird mir jetzt mein großer Name,
Minder bekannt verbärg ich mich so mehr!
Die Huld sogar der Götter muß ich hassen,
Beweinen will ich ihre blutge Gunst,
Mein eitles Flehn soll sie nicht mehr bestürmen.
Was sie auch für mich tun, ihr traurger Eifer
Ersetzt mir nie mehr, was er mir geraubt!
PHÄDRA.
Es sei genug des ungerechten Schweigens,
Theseus! Recht widerfahre deinem Sohn.
Er war nicht schuldig.
THESEUS.
O ich unglückselger Vater!
Weh mir, und auf dein Wort verdammt ich ihn!
Grausame, damit glaubst du dich entschuldigt?
PHÄDRA.
Die Zeit ist kostbar. Theseus, höre mich.
Ich selbst wars, die ein lasterhaftes Auge
Auf deinen keuschen Sohn zu richten wagte.
Der Himmel zündete die Unglücksflamme
In meinem Busen an – Was nun geschah,
Vollführte die verdammliche Oenone.
Sie fürchtete, daß Hippolyt, empört
Von meiner Schuld, sie dir entdecken möchte,
Und eilte, die Verräterin! weil ich
Nur schwach ihr widerstand, ihn anzuklagen.
Sie hat sich selbst gerichtet und, verbannt
Aus meinem Angesicht, im Schoß des Meers
Allzu gelinden Untergang gefunden.
Mein Schicksal würde längst ein schneller Stahl
Geendigt haben, doch dann schmachtete
Noch unter schimpflichem Verdacht die Tugend.
Um meine Schuld dir reuend zu gestehn,[644]
Wählt ich den langsameren Weg zum Grabe.
Ein Gift flößt ich in meine glühenden Adern,
Das einst Medea nach Athen gebracht,
Schon fühl ich es zu meinem Herzen steigen,
Mich faßt ein fremder, nie gefühlter Frost,
Schon seh ich nur durch einer Wolke Flor
Den Himmel und das Angesicht des Gatten,
Den meine Gegenwart entehrt. Der Tod
Raubt meinem Aug das Licht und gibt dem Tag,
Den ich befleckte, seinen Glanz zurück.
PANOPE.
Ach Herr, sie stirbt!
THESEUS.
O stürbe doch mit ihr
Auch die Erinnerung so schwarzer Tat!
Kommt, laßt uns nunmehr, da wir unser Unrecht
Ach nur zu hell! erkennen, mit dem Blut
Des lieben Sohnes unsre Tränen mischen!
Kommt, seine teuren Reste zu umfassen
Und unsers Wunsches Wahnsinn abzubüßen.
Wie ers verdiente soll ihm Ehre werden,
Und kann es seine aufgebrachten Manen
Besänftigen – sie, die er liebte, nehm ich
Zur Tochter an, was auch ihr Stamm verschuldet.[645]
Ausgewählte Ausgaben von
Phädra
|
Buchempfehlung
1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.
84 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro