[87] Eduard.
EDUARD allein. Sonderbare Erscheinung! Soll ich ihr Glauben schenken? Sie ist ein Frauenzimmer – nun, war ich der einzige Mensch in dieser Welt, der sein Glück einem Frauenzimmer zu verdanken hätte? Laß sehen, schöne Hoffnung! Wir wollen dich auf die Probe setzen, ob deine launichten Versprechungen weniger täuschen als die heroischen Liebesschwüre unserer heutigen Mädchen. Dort ist der Fleck. Öffnet ein kleines Türchen im Boden. Wahrhaftig! Bald hätte ich meinem smaragdenen Engel Unrecht getan. Hier ist der Schlüssel. Vivat, Eduard! Schnell ans Werk! Öffnet die Wand, welche in die Höhe schwebt und einen Rahmen zurückläßt, durch welchen man in eine dunkelblaue mit Gold verzierte runde Halle sieht, in welcher auf jeder Seite drei alabasterne mythologische Figuren in Lebensgröße stehen auf ebensolchen Piedestalen, auf welchen die Worte: Dukaten, Louisdor, Taler, Souveraindor, Perlen, Granaten stehen. Mitten aber steht ein leeres rosenrotes Piedestal, welches den halben Kreis schließt, worauf kein Wort steht, aber eine Pergamentrolle liegt. Die ganze Gruppe muß gut beleuchtet sein. Bin ich in einem Feenpalaste? Sind diese Schätze mein? Ist es ein Traum? Öffnet eines von den Türchen der Piedestale, man sieht Goldmünzen aufgehäuft. Nein! O goldene Wirklichkeit! Was bedeutet diese Pergamentrolle? Entfaltet sie und liest. »Teurer Sohn! Die Schätze, welche du in diesem geheimnisvollen Gewölbe entdeckest, waren mein Eigentum, sind nun das deinige. Die sechs Statuen sind von hohem Werte. Ich habe sie in einer huldvollen Stunde durch die Gnade des Geisterkönigs zum Geschenke erhalten, mache einen weisen Gebrauch davon. Doch sollte bei dem glücklichen Überfluß an Wünschen, zu denen dich deine Jugend befeuert, auch der in deiner Brust aufsteigen, daß du die siebente Statue besitzen möchtest, welche von rosenrotem Diamante und der größte Schatz ist, den du auf Erden besitzen kannst, so wende dich bittend an den Zauberkönig. Du wirst in meinen magischen Werken, die ich dir hinterließ, die genaueste Anleitung finden, auf welchem Wege[88] du zu den Stufen seines Thrones gelangen kannst.« Legt die Schrift wieder hin. Welch eine Reihe von Wundern drangt sich an meinen erstaunten Sinnen vorüber. Tritt heraus, die Wand schließt sich. Ist es Wahrheit, diese plötzliche Veränderung meiner Glücksumstände? ich war ein Bettler, jetzt bin ich ein Krösus! Doch was ist das für eine siebente Statue von rosenrotem Diamant? Welch ein dunkles Verlangen beherrscht mich, auch sie zu besitzen! Ach, warum kann ich nicht in dieser Minute zu des Geisterkönigs Füßen sinken! Gab es denn keinen wohltätigen Genius, der mich augenblicklich in seine Nähe bringen könnte?
Die Figur des kleinen Zauberers auf dem Tische verwandelt sich in den kleinen Genius Kolibri.
KOLIBRI kann vor Tränen kaum reden. Ich!
EDUARD. Welch ein holder Knabe! Wie heißest du, lieber Knabe?
KOLIBRI immer weinerlich und verdrüßlich. Ich bin der kleine Kolibri.
EDUARD. Und was bist du denn?
KOLIBRI verdrüßlich. Ein Genius, siehst du denn das nicht?
EDUARD. Aber warum bist du so verdrüßlich?
KOLIBRI. Weil mich meine Mutter ausgezankt hat.
EDUARD. Warum?
KOLIBRI. Damit ich dir helfen soll.
EDUARD. Und willst du mir denn nicht helfen?
KOLIBRI. I ja – aber ich hab gerade mit den andern Genien um goldene Äpfel gespielt, und da hat mir meine Mutter gescharrt, ich möcht es stehen lassen und zu dir herabgehen, weil der Zauberfürst es befohlen hätte, und weil ich nicht gleich ging, so hat sie mich derb ausgemacht.
EDUARD. Du armes Kind! Wer ist denn deine Mutter?
KOLIBRI. Eine Fee, die von ihren eigenen Mitteln lebt.
EDUARD. Nun sei nur ruhig! Sieh, wenn du mir hilfst, so verspreche ich dir nicht nur einen, sondern viele hundert goldene Äpfel.
KOLIBRI. plötzlich freudig. Ist das wahr? Ach, das ist schön. Springt vor Freuden. Jetzt gib acht, wie ich mich ansetzen werde.[89]
EDUARD. Sage mir, auf welche Weise kannst du mir denn helfen?
KOLIBRI. Ich werde dir die Mittel zeigen, durch welche du zum Geisterkönig gelangst. Du mußt vorher einen hohen Berg ersteigen, und das weitere werd ich dir schon noch heimlich stecken. Du hast viele Gefahren zu bestehen, wir machen eine Luftreise. Wirst du auch standhaft bleiben?
EDUARD. Gefahren stählen den Mut! Mein Verlangen nach dem Zauberschatze wird immer glühender. Komm und geleite mich.
KOLIBRI. Oh, das geht nicht so geschwinde, es ist gar ein weiter Weg, ich muß mich erst um eine Landkutsche umsehen. Du darfst dich nicht fürchten, daß ich dich umwerfe, ich bin ein guter Postillon, und blasen will ich, daß dir die Ohren zerspringen werden.
EDUARD. Nun gut, ich will mich reisefertig machen.
KOLIBRI. Du kannst dir auch einen Bedienten mitnehmen, denn du scheinst mir ein sehr kommoder Herr zu sein. Also es bleibt dabei. Leb wohl! In einer Viertelstunde komm ich wieder zurück. Und wegen der Äpfel – Ein Mann ein Wort!
Eduard reicht ihm die flache Hand hin. Kolibri schlägt ein und geht gravitätisch ab.
EDUARD allein, freudig. Bravissimo! Das geht ja prächtig! Schlag auf Schlag! Mein Glück fängt an, mutwillig zu werden, und so viel ich merke, so habe ichs mit lauter lustigen Geistern zu schaffen, da muß ja mein Frohsinn erwachen.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Diamant des Geisterkönigs
|
Buchempfehlung
Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.
112 Seiten, 5.80 Euro