Zehnter Auftritt

[528] Dann unter rauschender Musik Verwandlung in eine goldene Feenhalle, rückwärts die Aussicht in eine reizende Berggegend. In der Mitte der Halle ein großer runder Zauberspiegel, vor ihm ein goldner Altar mit einer Opferschale auf Stufen.

Cheristane, in ein lichtblaues faltiges Gewand gehüllt, welches mit Zaubercharakteren geziert ist, und das Haupt mit einer goldnen Krone geschmückt, kommt von der Seite, ein goldnes Buch und einen Zauberstab tragend.


CHERISTANE.

Der Kampf ist aus, ich habe mich besiegt.

Beschlossen ists, ich scheide von der Erde.

Wenn auch mein Herz dem Kummer unterliegt,

Ich leide nur, daß er gerettet werde.


Sie nimmt von dem mitteren Zacken ihrer Krone eine blaue Perle.


Komm, teure Perle, die den Geist umschließt,

Den letzten, der sich beugt vor meiner Macht,

Die bald für ihn in eitles Nichts zerfließt!

Ich opfre dich in diesem goldnen Schacht.


Sie wirft die Perle in die goldne Schale. Eine blaue

Flamme entzündet sich in ihr, der Donner rollt. Kurze passende Musik. Der Spiegel überzieht sich mit Rauch.


Nun zeig dein Haupt, umkränzt von Zauberschein,

Und blick mich an mit holden Demantaugen!

Erschein! Es soll Azur dein Name sein!

Laß Hoffnung mich aus deinen Worten saugen!


Musik.

Fürchterlicher Donnerschlag. Der Rauch hebt sich und in dem Spiegel erscheint Azur, in Silberdock ägyptisch gekleidet, das Haupt umhüllt, die halbentblößten Arme und das Antlitz ist mit blauer Folie überzogen, statt der Augen leuchten zwei glänzende Steine. Magische Beleuchtung.[528]


AZUR.

Du! die du mich durch Zaubermacht geboren,

Gebietest du mir Segen oder Fluch?

CHERISTANE.

Zu Flottwells Schutzgeist hab ich dich erkoren.

AZUR.

Darf ich das sein? Blick in des Schicksals Buch!


Jetzt folgt eine zitternde Musik darunter.


»Kein Fatum herrsch auf seinen Lebenswegen,

Er selber bring sich Unheil oder Segen.

Er selbst vermag sich nur allein zu warnen,

Mit Unglück kann er selbst sich nur umgarnen,

Und da er frei von allen Schicksalsketten,

Kann ihn sein Ich auch nur von Schmach erretten.«

CHERISTANE.

Mir ist bekannt des Schicksals strenger Spruch,

Der, mich zu strafen, tief ersonnen ist.

Empfange hier mein goldnes Zauberbuch.

Es wird dich lehren, welche schlaue List

Mein liebgequälter Geist erfunden hat.

Doch ich muß machtberaubt von hinnen fliehn.

Darum vollziehe du statt mir die Tat

Und laß mich trostlos nicht nach meiner Heimat ziehn.

AZUR nimmt das Buch.

Zieh ruhig heim, treu will ich für dich handeln,

Als Retter sollst du wieder mich erblicken.


Die Wolke schließt sich. Musik.


CHERISTANE.

Oh, hätt ichs nie gewagt auf Erd zu wandeln,

Zu bitter straft sich dieser Lust Entzücken!


Sie sinkt aufs Knie und beugt ihr Haupt kummervoll vor dem Altar.[529]


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 528-530.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Verschwender
Der Verschwender
Der Verschwender
Raimundalmanach / Der Verschwender

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon