[417] Finstrer Wald. Im Hintergrunde links ein gigantischer Fels mit einer durch ein ehernes Tor geschlossenen Höhle. Neben der Pforte stehen mit Fackel und Dolch bewaffnet die zwei Eumeniden Tisiphone und Alekto aus Stein gehauen, Megära, die dritte, ist ober derselben in sitzender Stellung angebracht. Die Pforte ist mit Schlangen gegiert, vor ihr ein steinerner Opferaltar. In der Tiefe der Bühne ein See, von rauhen, mit Bäumen bewachsenen Felsen umschlossen. Im Vordergrunde rechts ein Gebüsche. Donner murmelt durch den in weiter Ferne erschallenden Jubelchor.
Wie des Adlers Kraftgefieder
Seinen Leib zur Sonne trägt,
Fliegen aufwärts unsre Lieder,
Durch der Freude Schwung bewegt.
Glücklich, wie in Himmelszonen,
Von der Erde Leid getrennt,
Stolz die ewgen Götter thronen,
Herrsch Kreon in Agrigent!
Phalarius tritt mit wild zurückschauenden Blicken
hastig ein. Er trägt ein Pantherfell über den Rücken und ist mit Bogen und Pfeil bewaffnet.
PHALARIUS.
Bin ich denn noch nicht weit genug gezogen,
Verräterische Stadt, die mich betrogen,
Wird auch des Waldes düstre Einsamkeit
Durch deines Jubels frechen Schall entweiht?
Wieder klingen die letzten Worte: Herrsch Kreon!
Herrsch nur, Kreon! Volk! Jauchz die Kehle wund!
Ihr zwingt das Glück zu keinem ewgen Bund.
Prahlt, Lügner, mit der Kron, die ich erkämpft,
Da nur mein Mut des Krieges Glut gedämpft.[417]
Mich laßt aus Undank meinen Purpur weben,
Ihn färben mit dem ausgeströmten Leben,
Das ich vergeudet am ersiegten Strand,
Den Lorbeer brechend mit der blutgen Hand.
Glaubt ihr, ich hab für Agrigent gestritten,
Damit der Rat, nach ungerechten Sitten,
Das Reich verkauft an den unmündgen Knaben,
Auf das nur ich ein wahrhaft Recht kann haben?
Denn ist er auch dem Thron verwandt durch Blut,
Bin ich es würdger noch durch Heldenmut.
Ich glaub nicht, was des Tempels Diener sagten,
Als schlau sie Jupiters Orakel fragten:
Ob mir, ob wohl Kreon das Reich gehört?
Es hab der Gott sich donnernd drob empört,
Daß ichs gewagt, als meiner Siege Lohn
Zu fordern Agrigentens goldnen Thron,
Und ausgesprochen unter ewgen Blitzen:
»Ich dürfe nie ein Reich der Welt besitzen,
Und Agrigent kann dann nur Glück erringen,
Wird auf dem Thron Kreon das Zepter schwingen.«
So logen sie, als ich zurückgekehrt
Aus blutger Schlacht zum heißerkämpften Herd,
So logen sie, von aller Scham entwöhnt,
Als Siegesdank fand ich Kreon gekrönt.
Da außen ich des Landes Feind bekriegt,
Hat eigner mich im Innern hier besiegt.
Drum will ich fliehn aus dir, verhaßtes Land,
Doch nimm den Schwur als dräuend Unterpfand:
Daß ich noch einmal zu dir wiederkehre,
Zu rächen meine truggeraubte Ehre.
Will ab und erblickt entsetzt der Rachefurien Höhle.
Ha! welch ein Pfad hat mich zu euch geleitet,
Blutlose Schwestern, die ihr stets bereitet,
Als der Vergeltung grauenvolle Bürgen
Gewaltge Sünder dieser Welt zu würgen.
Euch fordr ich auf, an euch will ich mich wenden,
Sprengt auf das Tor, mit den entfleischten Händen[418]
Reicht mir ein Schwert, mich an der Welt zu rächen,
Die mich verhöhnt, und ihren Bau zu brechen.
Fürchterlicher Donnerschlag, der verrollt, die Pforte dröhnt und erbittert, dann leuchten schwache Blitze auf das Gebüsche rechts, das sich in der Mitte auseinanderteilt.
Man erblickt darin Hades, in Lumpen gehüllt, mit bleichem Antlitz auf einem Steine sitzen, er hat einen Sack über den Rücken hangen. Er grinst Phalarius an, der ihn mit Entsetzen betrachtet.
PHALARIUS.
Welch eckliche Gestalt, wer bist du?
HADES mit etwas hohler Stimme, lauernd und gezogen.
Ich?
PHALARIUS.
Bist du der Rachefurien eine?
Stark.
Sprich!
HADES langsam aufstehend, er geht gebeugt und spricht langsam in hohlem Tone. Nie wird er in Wort oder Bewegung rasch, nur einmal ist Nachdruck der Rede angezeigt. Doch das Auge ist kräftig lauernd.
Bin keine von den Rachefurien,
Kann selbst kaum mehr auf morschen Knochen stehn.
Bin nicht Tisiphone! Megär! Alekto!
Nein! nein, ich bin –, vergib, mich schauert so.
PHALARIUS.
Du kannst nicht ganz der Erde angehören,
Du könntest sonst den schönen Glauben stören,
Daß nach dem hohen Götterbild des Zeus
Der Mensch geformet sei durch Prometheus.
HADES.
Nicht ganz ist mehr die Erd mein Vaterland,
Tief unten ruft es mich am stygschen Strand.
Harpyen, die wie Nachtigallen klagen,
Verkünden, daß die Furien um mich fragen.
PHALARIUS.
Hast du so bös gehaust in dieser Welt,
Daß dir im Enden jeder Trost nun fehlt?
Bist du so arm, daß dich Verzweiflung faßt?
Und hast wohl einst im Übermut gepraßt?
HADES.
So ist es, du hast furchtbar wahr gesprochen,
Doch jetzt ist meines Glückes Stab gebrochen,[419]
Viel hab ich einst auf dieser Erd besessen,
Geliebt ward ich, ich werd es nie vergessen,
Doch jetzt bin ich gehaßt, bin unbeweibt.
Weinend.
So arm, daß mir nichts mehr als eine Krone bleibt.
PHALARIUS nach einer Pause des Erstaunens.
Was sprichst du, eine Kron? Wahnwitzig Tier!
HADES.
Willst du sie sehn? ich trage sie mit mir.
Mit stärkerer Stimme.
Ich schenk sie dir, willst dus mit ihr versuchen?
Ich hörte dich vorher um eine Krone fluchen.
Doch trägst du sie, legst du sie nimmer ab.
Sie bleibt dem Haupte treu bis an das Grab.
PHALARIUS.
Was nützt die Krone mich, nenn mir ihr Reich.
HADES stark.
Die Welt! – Hast du genug? was wirst du bleich?
PHALARIUS.
Soll ichs nicht werden? Mich befällt ein Grauen.
Wer kann in solchen Riesenhimmel schauen?
Die Erd, soweit sie reicht, unendlich Bild,
Hat nie die Neugier eines Augs gestillt.
Entflieh, verlaß mich, trügerischer Geist,
Der Hölle gibt, da er zum Himmel weist.
Zeig her die Kron, wenn du mich nicht geneckt.
HADES.
In meinem Bettelsack ist sie versteckt
Dem Drachen gleich, der in der Höhle kauert,
Auf fette Beut mit giftgem Zahne lauert.
PHALARIUS.
Ein Diadem in eines Bettlers Tasche?
HADES.
In schlichter Um ruht königliche Asche.
Durch diese Kron, prangt sie auf einem Haupt,
Wird dem, der sie erblickt, des Mutes Kraft geraubt.[420]
Ja, ihr Besitzer darf nur leise winken,
Wer sich ihm naht, muß in den Staub hinsinken.
Es wird der Baum mit üppig grünen Zweigen
Sein duftend Haupt vor dieser Krone neigen.
Des Waldes Tiere werden bang erzittern
Und heulend sie in weiter Ferne wittern.
Was er befiehlt, muß streng vollzogen werden,
Und keiner lebt, der sie entwenden kann auf Erden.
Selbst wenn er schläft, die sorgsam stille Nacht,
Geschloßnen Augs, ihr Eigentum bewacht.
Kein Speer, kein Dolch, kein Pfeil kann ihn erreichen,
Der Krone Macht wird nur dem Mondlicht weichen.
Solang sie dies bestrahlt, ist er verloren,
Und jedes Feindes Schwert kann ihn durchbohren.
Solch Glück bringt dieser Reif und solches Bangen.
Nun sprich, trägt deine Herrschsucht noch nach ihm Verlangen?
PHALARIUS.
Den Sturm versöhn durch eines Schiffes Wrack,
Golkondas Schatz verbirg im Bettelsack,
Dem Pfeil befiehl, er soll den Rückweg nehmen,
Des Ätna Glut verhindre auszuströmen,
Nur mich bered nicht, von der Kron zu lassen,
Gib sie heraus, sie muß das Haupt umfassen.
Legt den Helm ab.
HADES.
Wohlan! Schau nicht zum Himmel, blick zur Erde.
Sie fleht dich an mit jammernder Gebärde.
Er nimmt eine goldne Krone aus dem Sacke, aus dem Feuer strömt. Ferner Donner.
Doch hör ihr Wimmern nicht, reich mir die Stirn.
Bleib stark, bewahr vor Wahnsinn dein Gehirn.
Er setzt ihm die Krone auf. Fürchterlicher Donnerschlag. Kurze Musik. Die Bühne wird lichter, die Erde zittert, die Bäume beugen ihre Zweige, so daß sie eine grüne Kuppel über Phalarius' Haupt bilden und sich im See spiegeln.
So, so, der Wald bebt vor dem Königshaupt,
Es huldgen dir die Stämme reichbelaubt.[421]
PHALARIUS.
Ists Wirklichkeit? welch unnennbar Entzücken!
HADES für sich.
Sie wird die Stirn noch heiß genug dir drücken.
PHALARIUS.
Ha, nun ist mein der höchste Schatz hienieden.
Sprich, Wurm, was kann zum Lohn ich dafür bieten?
HADES.
Brauch nichts dafür, trag sie nur glücklich fort.
Wir treffen uns schon am Vergeltungsort,
Wenn weit geöffnet deines Wahnes Grab
Und du einst sprichst, wie ich gesprochen hab:
Weinend.
Und bin so arm, mir bleibt nichts als die Krone.
Grimmig.
Den Augenblick allein bewahr ich mir zum Lohne.
Schleicht ab, den Sack über den Rücken.
Ausgewählte Ausgaben von
Die unheilbringende Zauberkrone
|
Buchempfehlung
In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.
74 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro