Fünfter Auftritt.

[141] Ein Gemach im Hause der Baronin. Die Baronin kommt mit Papieren, Sophie folgt ihr mit Schreibzeug und Theebrett.


BARONIN. Hier will ich arbeiten. Gestärkt durch die Aussicht auf die herbstlich schöne Landschaft, wird hier der Genius mächtiger seine Schwingen regen, als dort in dem düsteren Zimmerraume, ohne erhebende Aussicht, wo mich das Geräusch der Vorübergehenden stört. Ja, es ist ein eigenwilliges Kind dieser Genius, aber ein holdes Wunderkind.


Sophie hat unterdessen den Arbeitstisch geordnet und entfernt sich. Die Baronin setzt sich und ergreift die Feder.


Laß sehen! Sie liest. »Die Natur war längst ihres Schmuckes beraubt, schon hingesunken in den starren Winterschlaf; der Dezembersturm brausete über ihr Grab« – – Halt! Muß es nicht[141] heißen: über ihrem Grabe? Sie besinnt sich ein Weilchen. Ganz gewiß! man würde ja sagen: »Die Nachtigall schlug über ihrem Grabe.« Gut, daß ich es noch bemerkte! Sie will schreiben, hält aber inne und sinnt wieder nach. Aber man würde doch sagen: »Ein Schmetterling flog über ihr Grab.« – Es ist abscheulich, daß solche Armseligkeiten den Flug des Genius hemmen. Welches von beiden ist nun das Rechte? Ich will doch lieber eine andere Wendung brauchen, um den Schulmeistern und Kleinigkeitskrämern keine Blöße zu geben. Zum Beispiel Sie trinkt. – zum Beispiel – Sie trinkt. – etwa so: »Der Dezembersturm brausete durch das öde Gefild.« Ja, das geht, wiewohl es Schade ist um das Grab. Sie schreibt und liest nachher. »Der Dezembersturm brausete durch das öde Gefild, und warf den eisigen Schnee gegen die hohen Fenster des Schlosses, wo die Frau von Dülmen mit ihren beiden erwachsenen Töchtern im friedlichen Gespräche am Theetische saß!« Gut, wirklich gut! Sie trinkt. Wie nun weiter? Sie will einschenken, findet die Theekanne aber leer. Sophie! Sophie! Sie schellt.


Sophie kommt eilig.
[142]

SOPHIE. Was befehlen Sie?

BARONIN. Unachtsame! Du weißt, daß ich dichte, und lässest mich ohne Thee?

SOPHIE. Sie müssen stark getrunken haben, gnädige Frau, es war noch viel darin. Sie nimmt die Theekanne und entfernt sich.

BARONIN. Wie nun weiter? – Ich muß jetzt die beiden Mädchen schildern. Sie stehen lebendig vor meiner Seele; ich wollte, sie ständen auch auf dem Papier. Das ist es eben!


Sophie kommt mit der Theekanne zurück.


SOPHIE. Hier bringe ich neuen Vorrath. Indem sie die Kanne hinsetzt, auf das Papier blickend. Was haben Sie denn schon Schönes gedichtet, gnädige Frau?

BARONIN. Lies, wenn Du willst. Sie schenkt Thee ein, während Sophie liest. Nun was sagst Du besonders zu dem Contraste? Draußen das wilde Dezemberwetter, und drinnen das behagliche friedliche Beisammensitzen am Theetische: ist das nicht ein trefflicher Gegensatz?[143]

SOPHIE. Ach, es ist herrlich! Wer doch auch so was Schönes schreiben könnte!

BARONIN. Ja, mein gutes Mädchen, das ist freilich nicht jedem verliehen; dazu gehört die Himmelsgabe: Phantasie.

SOPHIE. Der Himmel ist auch recht unbillig, daß er den Vornehmen alles, und unser einem gar nichts giebt.

BARONIN. O Du Thörin! daß Du mich um die zwar seltene, aber auch zweideutige Gabe der Phantasie beneidest. Wie gern träte ich sie Dir ab: denn, gute Sophie, glücklich macht sie nicht. Wie oft muß ich den Schlaf entbehren, weil ihre Gebilde ihn von meinem Lager verscheuchen; wie oft zerreißt meine Seele der Kampf mit Wünschen, die sie erzeugt, und die doch hienieden unerfüllbar sind! Nichts Vergangenes ist für mich vergangen, und die Zukunft wird lebendige Gegenwart. Finde ich eine welkende Blume, so erinnere ich mich an alle Freuden, die mir schon verwelkt sind, und sehe ich einen Sarg tragen, so denke ich an den Tod.

SOPHIE. Das ist freilich recht betrübt. Wenn einem die[144] Phantasie so mitspielt, hätt' ich mich an Ihrer Stelle doch eher der Liebe ergeben als der Phantasie. Der Baron von Riedberg z.B. liebte Sie doch recht aufrichtig, und Sie waren auch, denke ich – – –

BARONIN. Wie oft soll ich Dir noch befehlen, davon zu schweigen? Die Liebe ist ein herrliches Motiv in der Dichtung, im Leben aber tritt sie ganz anders auf.


Ein Bediente tritt ein.


BEDIENTE. Herr von Feldkirch ist eben angekommen

BARONIN. Es wird mich freuen, ihn zu sehen.


Der Bediente geht ab. Sophie entfernt sich.


Quelle:
Ernst Raupach: Dramatische Werke komischer Gattung. Hamburg 1829, S. 141-145.
Lizenz:
Kategorien: