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[74] Mademoiselles Antlitz wurde mild. Sie war eingeschlummert und träumte nun, daß sie als Gemahlin des blonden Husarengenerals von St. Honoré, zudem als Mutter von drei Kindern mit ihrer Familie und etlichen geladenen Gästen in einem – ihrem – entzückenden goldweißen Speisesaal soupierte. Auch der Stadtrat nebst Frau waren geladen.

»Nein, was besitzt Exzellenz« – Mademoiselle war gemeint – »für bildhübsche und artige Kinder!« äußerte jemand; und Herr und Frau Scholz erröteten. Ihre Exzellenz erwiderte sehr vernehmlich: »Artig sind sie freilich, und es kommt davon, daß wir uns nie in die Erziehungsmethode unseres Hauslehrers, beziehungsweise unserer Mademoiselle einmischen.«

Herr und Frau Scholz er-violetteten.

»Aber so langen Sie doch bitte zu, Frau Stadträtin«, ermunterte Ihre Exzellenz und winkte einer Livree, den letzten Gang, gefüllten Kapaun, nochmals zu präsentieren. »Bei uns darf niemand hungrig von Tisch aufstehen, n'est-ce pas mon cher?«

Seine Exzellenz küßte die weiße, brillantüberfunkelte Hand von Ihrer Exzellenz. Ihre Exzellenz bog ihren anmutigen Nacken so, daß sie just noch das Ehepaar Scholz im Auge behielt und scherzte leicht hin: »Ja, bei uns geht es immer friedlich zu, wir streiten uns nie.«

Beifällige Meinungen umflüsterten die Tafel. Einiges, wie »anmutiger Nacken«, »liebenswürdige Gesinnung«, »General, welch aristokratische –« wurde verständlich.

Stadtrat und Stadträtin wollten sich grimmig auf Ihre Exzellenz stürzen, um sie zu erwürgen, wurden aber von den Livreen gepackt und lautlos aus dem Saal geführt.

Und alles verurteilte aufgebracht die ordinären Störenfriede, welche Frau Generalin hochherzig als Leute entschuldigte, denen krankhafte Phantasie die Köpfe verwirrt hätte. Und alles pries enthusiastisch Ihre und Seine Exzellenz. –

Als Mademoiselle noch träumte, ward der Papagei munter,[74] reckte sich, plusterte und begann zu gröhlen: »Caro As – Lausbub – Lausbub – Lausbu –« Als der Vogel den elften Lausbub ausrief, ward Mademoiselle munter.

Ob ich am Ende das alles nur träumte? dachte sie. Ja! Nein! ... Doch! ... Nein! ... Ja! Der General ist ja schon elf Jahre tot. Oder nicht? Nein! ... Ja! ... Nein! ... Ja!

Sie trieb sich in Stößen aus dem Bette, gähnte grauenhaft und nahm sich während des Ankleidens vor, Daja wegen einer lüderlichen Übersetzung zu züchtigen.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 4: Erzählungen, Zürich 1994, S. 74-75.
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