Erster Auffzug.

[127] Monsieur Sausewind allein.

Dieser komt sehr a la mode jedoch etwas Studentisch auffgezogen / fähet gahr frech und frisch halb lachend an zu reden.


Was ist es gleichwol eine brave Sache üm einen jungen Kavallier / der was redlichs hat studiret und sich auff allerlei Händel außbündig wol verstehet? Jch zwahr halte dieses vor meinen höhesten Reichthum und Glükseligkeit /daß Jch kein ungeschikter grober Jdiot / sondern in allen Sprachen / Künsten und Wissenschafften trefflich bin unterrichtet und erfahren. Ja / sehet Jhr mich noch darauff an Jhr Herren? Meinet Jhr vielleicht / daß Jch etwann die Warheit all zu kärglich spendire oder zu milde rede / oder meiner Weinigkeit gahr zu viel Qualiteten zuschreibe? Mit nichten: Jch bin viel ein ander Kerls / als davor Jhr mich achtet. Jch habe mich von meiner zahrten Jugend beflissen / alles / was nur ein Mensch in seinem Kopfe kan erdenken / zu wissen / zu lernen und zu behalten. Da war kein Knabe in der gantzen Schule in seinem Donat, Nomenklatur und Grammatiken so färtig als Jch beschlagen. Einen Syllogismum konte Jch viel leichter daher machen als ein paar Schue flikken. Eine Oration konte Jch latinisando daher schneiden / wenn Jch nur wolte / Ja biß auff diese itzige Stunde bin Jch so mächtig beredt / daß / wenn es mich nur[127] gelüstet / Jch die Leute alsobald kan lachen machen / welches Jch noch diesen Tag wil probieren / gestalt es denn die Herren selber sehen und meiner itzigen Rede gantz gerne beifall geben werden. Der Musik habe Jch eine so treffliche Erfahrenheit / vornemlich aber bin Jch ein solcher gewaltiger Künstler auff der Lauten / daß sich auch der Gautier, J. Pauli und andere weltberühmte Lautenisten selber nicht geschämet haben biß in das siebende Jahr von mir zu lernen / und hat man offt gesehen / daß / so bald Jch nur ein Couräntchen zu schlagen angefangen / die Stühle / Tische und Bänke gehüpfet und gesprungen / daher man mich auch den anderen Orfeus pfleget zu nennen / dieweil auch offtermahls / wenn Jch die Saiten rühre / ein gantzer Hauffe Ochsen / Esel / Seüe und andere Bestien / wiewol in Menschlicher is gestalt / um mich her sitzen oder stehen / gleich wie sie hiebevor üm Jennen alten Orfeus gethan haben.

Negst diesem bin Jch auch in der Poeterei so übertrefflich guht / daß der Franzosen Ronsard / Theophil und andere / der Italiäner Ariosto / der Latiner Virgilius und der Teutschen Opitz noch viel / viel von mir zu lernen hätten. Meine Lieder / welche Jch setze / sonderlich in der Teutschen Spraache / sind dermahssen kunstreich und anmuhtig / vornemlich / wenn Jch sie mit meiner lieblichen Stimme zu Zeiten vermähle und die Melodeien auff dem Mandörichen dazu spiele / daß sich über die Tausend Damen schon längst deßwegen in mich verliebet haben; Ja / Jch bin von glaubwürdigen Leuten berichtet / daß schon bei drei und zwantzig der Allerschönsten aus lauter Liebe gegen meine brave Person jämmerlich sind gestorben und begraben /welcher Seelen der lieber Gott gnädig seyn wolle.

Ferner / so bin Jch auch nicht aus der Zahl der jenigen / welche immer auff der Bährenhaut liegen und fast Jhr Lebenlang nicht weiter / als etwann biß nach Sant Jürgen /[128] oder nach dem Harn / oder nach Altonah ins Rohtbier / oder / da es gahr weit / biß nach Steinbeke / Blankenese und dem Bilwarder kommen: Nein Jhr Herren / Jch habe bei dem Element die Welt ein weinig besser durchgetrampet und mancher sauberen Pfützen die Augen außgetreten. Jch habe gereiset in Frankreich / in Holstein / in Spanien / in Meklenburg / in Engeland / in Westfahlen / in Welschland / in Pommeren / in Gohten und Wenden / Thüringen / Holland und Kassuben / und dieweil Jch so viele Länder durchwandert / kan man leicht schliessen / daß Jch auch viele und unterschiedliche Sprachen müsse verstehen / und in dieser Meinung werdet Jhr wahrlich nicht betrogen: Denn / Jch rede guht Barbarisch / Jch rede mein Hitländisch / Jch rede Marokisch / Chinesisch / Mexikanisch / Novazemblisch / Japonisch / Brasilianisch / Schlavonisch / Jühtländisch / Peruanisch / Assirisch und ein weinig Eißländisch / doch ist das Teutsche fast mein bestes / denn Jch mich dessen am meisten und zwahr von zahrter Jugend an habe gebrauchet. Jst unter dessen jemand unter den Herren fürhanden / der alle diese obgedachte Sprachen färtig redet und verstehet / der trete nur herauff / Jch wil Jhme dergestalt antwohrten / daß Er sich höchlich samt allen anwesenden Herren und Frauenzimmer darüber sol verwunderen. Ferner bin Jch auch ein trefflicher Mathematicus, Landmesser / Fortificator, Schantzenbauer / Wallmeister / wie Jch denn des Marlois / Freitages / Treuen und anderer berühmter Mathematicorum Præceptor etliche viel Jahr / auff mehr denn fünfftzig Academien in Teutschland allein / der Mußkowitischen und Grönländischen Universiteten allhie zugeschweigen / mit grossem Ruhm und Ehren bin gewesen. Nebenst diesem verstehe Jch mich auch trefflich wol auff des Himmels Lauff / Jch kan Kalender machen / Nativiteten stellen / weis zukünfftige Dinge / Jch kan auch aus der Hand[129] wahrsagen und einem Diebe gantz eigentlich aus derselben vorher verkündigen / daß er sol auffgehenket werden / sonderlich wenn Meister Jürgen ihm dieselbe schon auff dem Rükken hat zusammen gebunden.

Uber dieses alles gebe Jch auch einen braven Fechter und bin in dieser Kunst dermahssen fertig / daß Jch mir auch offt mit einem dikken Filtze das Angesicht lasse zubinden / und doch gleichwol meinen Wiederpart kan treffen / wo man es nur begeret / es sei ein Auge / den hindersten Zahn aus dem Maule / das linker oder rechter Ohr / ja ein gewisses Hahr vom Kopfe oder aus dem Knebelbahrte / und dieses alles thu Jch nur im blinden / wie meinet Jhr Herren / müsse Jch wol ein Fechter seyn / wenn Jch meinen Gegentheil kan vor mir sehen?

Was Jch vor ein Außbund von Bereuter bin / davon mügen die jenige Zeugnisse geben / welche mich auff des Pluvinels Reitschule zu Pariß gekennet haben / woselbst Jch meinen Meister weit übertroffen / doch höre Jch / der guhte ehrliche Mann sei schon gestorben / deßwegen man mich auch bereits vor vielen Jahren an seine stelle zum Königlichen Bereuter mit fleiß hat gefodert / welches Jch aber dem Könige in Frankreich dazumahlen in gnaden abgeschlagen. Betreffend ferner das Voltesiren über die allergrösseste Elefanten / Meerkatzen / Murmelthiere und Kamele / so weis Jch meines gleichen in der gantzen Welt nicht und noch viel weiniger im tantzen / denn es mir eine gahr schlechte Kunst über die fünfftzig Capriolen auff einmahl nach einander daher schneiden und einen Lufftsprung von der Erden sechs Ellen in die höhe zu thun / wenn Jch nur den Kopf nicht an die Balken stosse / und / damit Jch die Herren nicht gahr zu lange auffhalte / so wird wol heut zu Tage keine einzige Kunst noch Wissenschafft zufinden seyn / in welcher[130] Jch nicht über alle mahssen Excellire. Aber / Jch mag mich selber nicht rühmen / dieweil es nach dem alten Sprichwohrte heisset / daß eigenes Lob nur stinke / darum sage Jch nur kürtzlich / daß mein Haupt ein Tempel oder Wohnhauß ist aller derer Dinge / welche ein Mensch in diesem Leben kan oder mag wissen und erlernen. Nunmehr gebe Jch mich gantz und gahr auff allerhand treffliche Künste / als auff die Mahlerei / Perspectiven, Perpetuum mobile, Quadraturam Circuli und sonderlich auff das Goldmachen / welches mir so gewiß und unfehlbar muß angehen / so gewiß Jch gedenke ein gantzes Fürstenthum entweder in Arabiâ desertâ, oder auch in Novâ Zembla an mich zu kauffen / und bin Jch des gäntzlichen willens / so bald nur mein Lapis fertig ist / innerhalb weinig Wochen die vornehmste Thürme dieser weltberühmten Stadt / sonderlich die Domspitze / wie auch die zu Sankt Peter und Sankt Katharinen von der Erde biß an den Knauffe gantz vergülden / oder auch wol (dafern es nicht gahr zu viel Zeit kostet) mit feinem Dukaten Golde von neuen dekken zu lassen / unterdessen wollen sich die Herren nur ein weinig patientiren. Mars tritt allein auff / siehet annoch sehr grimmig / spatzieret an der einen Ekken des Schauplatzes auff und nieder.

Aber siehe da! was mag doch der wol vor ein ansehnlicher Kavallier seyn? Jch wil mich hier ein weinig an die seite stellen und anhören / was Er etwan vorbringen wolle /vielleicht ist Er ein Mann / von dem Jch auch noch etwas sonderliches kan lernen.


Quelle:
Johann Rist: Sämtliche Werke. Berlin und New York 1972, S. 127-131.
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