Andächtiges Lied

[280] Eines Kranken, In welchem Gott hertzlich wird angeruffen, daß Er nach seinem gnädigen Willen die verlohrne Gesundheit wolle wieder geben.


1.

Mein Gott, erbärmlich lig' Ich hier,

Mit Krankheit schwehr beladen.

Mein Hertz, das bebet für und für,

Es fühlet hart den Schaden,

Der Mich im Bette hält so fest,

Ja weder Macht noch Ruhe läst.

Wenn wirst du Mich begnaden?


2.

Mir ist vergangen Muht und Krafft,

Die Stärk' hat Mich verlassen;

Es mangelt Mir des Lebens Safft,

Mein Antlitz muß verblassen.

Mein' Hertzens-Angst ist gahr zu groß,

Mir ligen fast die Knochen bloß,

Kein' Hülffe kan Ich fassen.


3.

Dem Artz', HERR, bin Ich in die Hand

Durch Meine Sünden kommen,

Die Mich gebracht in diesen Stand,

Worin Mir ist benommen

Gesundheit und ein freier Muht.

Mein Gott, was konte dieses Guht

Mir vormahls treflich frommen!


4.

Ach aber, Jesu, Davids Sohn,

Hilff Mir in diesen Nöhten.

Zwahr, solt' Ich fodern Meinen Lohn,

Müst' Ich für Schaam erröhten:

Doch schaue Meinen Jammer an,

Komm' einmahl als ein Mittelsmann,

Laß Mich die Pein nicht tödten.


5.

Wirff Meine Fehler hinter dich

Und hindre das Verderben,

Mit Gnad' und Segen kröhne Mich,

Laß Mich dein' Huld erwerben.

Mein Artz und Meister sei bereit,

Du bist ja, der zur rechten Zeit

Uns retten kan vom Sterben.


6.

Herr, wenn du wilt, so kanst du leicht

Mich dergestalt erquikken,

Daß alle Krankheit von Mir weicht

Und Mich hinfohrt nicht drükken

Die Schmertzen, die Mir Mark und Bein

Schon auffgezehrt; du kanst allein

Mir Hülff' und Lindrung schikken.
[280]

7.

Doch wil Ich auch die letste Noth,

O treüer Gott, nicht scheüen,

Demnach ein selig-sanffter Tod

Uns ewig kan erfreüen,

Als welches Tag zur jeden frist

Viel besser als des Lebens ist,

Drin wir so kläglich schreien.


8.

Ey, sterb' Ich denn, so sterb' Ich Gott,

Mein Leiden komt zum Ende;

Ich werd' auch nimmermehr zu Spott',

Im Fall' Ich Mich nur wende

Zu dir, Herr Jesu, Meine Lust,

Und ruhe sanfft an deiner Brust:

Drauf nim Mich in dein' Hände.


9.

Mein Heiland, es ist Mein Begier,

Nur selig abzuscheiden,

Im Paradiß zu stehn für dir,

Wo weder Kreütz noch leiden.

Doch mach' es, Herr, wie dirs gefällt:

Sol Ich noch leben in der Welt,

So kröhne Mich mit Freüden.


10.

Dein theüres Wohrt, das kan uns bald

Gesundheit wiedrüm bringen:

Es machet schön, was ungestalt,

Ja wol die Lahmen springen.

Herr, hilff, daß Ich, aus Noht befreit,

Allhie und in der Ewigkeit

Dir müg' ein Danklied singen.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 280-281.
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