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[236] Dises kan gesungen werden auf die Weise des schönen Lides: Herr Christ, der einig Gottes Sohn.
1.
O Vatter aller Gnaden,
Reich von Barmhertzigkeit,
Du läst uns arme Maden
In diser bösen Zeit
Auß deinem Wohrt' erkennen,
Daß wir zum Sterben rennen:
Kein Mensch ist hie befreit.
[236]
2.
Es ist ja dises Leben
Den zahrten Blühmlein gleich,
Die durch der Winde weben
Bald werden welk und bleich;
Es ist schier gleich dem Schatten,
Dem Gras' auf dürren Matten,
Ja wie die Luft so weich.
3.
Wie Rauch und Dampf verschwindet
In einem Augenblikk',
Auch man kein Wöhrtlein findet,
Das wieder komt zurükk',
Im Fall es außgesprochen:
So bald wird auch zerbrochen
Des Himmels Meisterstükk'.
4.
Ach lehr' uns, HERR, bedenken,
Daß unsers Lebenslauf
Zum Ende sich muß lenken
Und hören plötzlich auf,
Daß wir mit allen Sinnen
Den Himmel lieb gewinnen:
Das heist ein edler Kauf.
5.
Hilf, daß wir Lust bekommen,
Zu lernen in der Zeit
Nur das, waß uns kan frommen
Dort in der Ewigkeit,
Daß wir auch alle Sachen
Bereit und fertig machen
Noch für dem letzten Streit.
6.
Verzeih' uns doch auß Gnaden
All' unsre Missethat,
Damit wir sind beladen,
HERR Jesu, du weist Raht:
Durch deine Schläg' und Wunden
Ist ja das Mittel funden,
Das uns erlöset hat.
7.
Du kanst deß Todes Schrekken
Vertreiben gantz und gahr,
Dein Sterben kan bedekken,
Was sonst zu fürchten war.
Dir ist es ja gelungen,
Daß du den Tod verschlungen,
Hin ist nun die Gefahr!
8.
Hastu doch selbst gekämpfet,
HERR Jesu, mit dem Tod'
Und dessen Macht gedämpfet
In deiner höchsten Noht;
Hast du doch gantz erhitzet
Dein theüres Bluht geschwitzet
Gleich wie Rosin so roht!
9.
Dieweil den nun verschlungen
Der Tod ist in dem Sieg'
Und Satan, gantz bezwungen
Durch deines Leidens Krieg,
Nichts hat an mir zu finden,
So hilff mir überwinden,
Daß Ich nicht unten lig'.
10.
Und wen die Zeit fürhanden,
Daß Ich abscheiden sol,
So reiß Mich aus den Banden
Des Todes, daß Ich wol
Und ritterlich durchdringe,
Ja dir, mein Gott, lobsinge,
Der HimmelsFreüden vol.
11.
Auß Lieb hast du dein Leben,
O Jesu, Gottes Lamm,
Für Mich dahin gegeben
An deines Kreützes Stamm:
Wie köntest du Mich hassen,
Wen Ich die Welt sol lassen,
Mein liebster Bräutigam?
12.
O Tröster der Geplagten,
O Geist der Einigkeit,
O Hoffnung der Verzagten,
O Freüd' in allem Leid,
Stärk in den letzten Zügen
Mein weiniges Vermügen:
HERR, hilff, Ich bin bereit!
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