Uber das hochheilige Evangelium am Fest der Heimsuchung Mariæ, Luk. 1.

[295] Melodie: Nun lobe, meine Seele, den Herren, u.s.w.


1.

Mein Gott, sei hoch gepriesen,

Daß du Mir aus Barmhertzigkeit

So reiche Gnad' erwiesen

In diser sehr betrübten Zeit.

Wie stark ist deine Gühte,

Wie groß ist deine Gunst!

Dein Väterlichs Gemühte

Hegt lauter süsse Brunst.

Wohin Ich Mich nur wende,

Da find' Ich Gnad' und Treü;

Dein Liben hat kein Ende,

Ja wird mehr täglich neü.


2.

Es haben stets genossen,

Herr, deiner Libe Gross und Klein;

Kein Mensch wird ausgeschlossen,

Du must der Welt Erbarmer sein,

Uns All' auch Kinder nennen,

Wen wir demühtiglich

Als Vatter stets erkennen

Und hertzlich lieben dich.

Drauf wil Ichs kühnlich wagen

Und treten zu dir hin:

Du wirst Mir nichts versagen,

Was Ich benöhtigt bin.


3.

Hinfohrt sol Mich nicht schrekken

Des Teüfels Zorn und grosse Macht:

Wilt du dein' Hand ausstrekken,

Mein Gott, so sing' Ich in der Schlacht.

Gewalt kanst du leicht üben,

Dein Arm ist stark und groß.

Wil mich Ein Feind betrüben,

So such' Ich dich nur bloß;

Den du, Herr, kanst zerstreüen

Die Stoltzen weit und breit

Und deine Kirch' erfreüen

Nach vieler Traurigkeit.


4.

Dir, Dir wil Ich stets geben

Von gantzer Seelen Lob und Dank,

Du kanst Mich leicht erheben,

Bin Ich gleich niedrig, schwach und krank.

Ich wil in grossen Dingen,

Mein Schöpfer, wandlen nicht,

Nach Eitlem Thun nicht ringen,

Das oft die Seele sticht;

Ich wil nach hohen Sachen

Nicht streben in der Welt,

Du kanst Mich grösser machen,

Im Fall' es dir gefält.
[295]

5.

Ach Herr, Ich bin beladen

Mit Sünd' und Unrecht mannigfalt:

Erquikke Mich mit Gnaden

Und stille Meinen Hunger bald.

Gleich wie die Hirsche schreien

Nach Einer frischen Quell',

Also kan Mich erfreüen

Dein Gnadenbrunn so hell'.

Ich ruff' in Meinem Zagen:

Herr, Meiner Seel' ist bang',

Erhöre doch Mein Klagen;

O Helffer, wie so lang'!


6.

Ich wil Mich nicht mehr grähmen

Um das allein, was zeitlich ist:

Von dir kan Ichs ja nehmen,

Der du Mein Gott und Vatter bist.

Laß Meinen Theil Mich fassen,

Wen Ich recht dürftig bin.

Du kanst Mich nicht verlassen,

Ich kenn', Herr, deinen Sinn:

Es müssen deine Gühter

Mir stets zu Dienste sein;

O treüer Menschenhühter,

Du sorgst für Mich allein!


7.

Ob gleich der Feind sehr dreüet,

Ja sprützet Feür und Flammen aus,

Auch Satan Unglük streüet,

Zu stossen üm dein heiligs Hauß,

Wil Ich doch nicht erschrekken,

Den du bist unser Hohrt;

Dein' Hand kan uns bedekken,

So tröstet Mich dein Wohrt.

Auf dich, Herr, wil Ich schauen,

Du hilffst zur rechten Zeit;

Wer dir nur kan vertrauen,

Bleibt ewig wol befreit.


8.

Nun, Herr, was du versprochen,

Das sol und wil und muß gescheen.

Dein Wohrt bleibt unzerbrochen,

Ich wil auf deine Wahrheit sehn.

Dein Mund kan ja nicht liegen

Nach eitler Menschen Ahrt,

Auch wird uns nie betriegen

Dein' hohe Gegenwahrt.

Was uns und unserm Saamen

Von dir verheissen ist,

Das müss' in deinem Namen

Gescheen, HERR Jesu Christ!


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 295-296.
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