10. Getrennte Wege

[162] In schwankenden Blüthenzweigen

Spielt der Hollunderduft,

Von drunten tönt der Reigen

Herauf durch die Abendluft.

Ach, Eine führt' ich zum Tanze gern!

Doch die bleibt fern.


»Zum fröhlichen Festesreigen

Zogen sie Alle hinaus.

Ich mag nicht das Lärmen und Geigen,

Drum blieb ich still zu Haus,

Gar einsam blick' ich zum Abendstern,

So fern, so fern!«


Die Tage kamen und gingen,

Jedweder ein Verlust,

Seit sie meines Herzens Dringen

So hart zu strafen gewußt.

Mir ist, als wäre die Jugendzeit

Verklungen weit!
[163]

»Die Kinder spielen und springen

Vor jeder Thür mit Lust,

Ach, könnt' ich mit ihnen singen

Recht aus befreiter Brust!

Möcht wissen, ob an dem Tanze heut

Auch Er sich freut?«


Auf Bergeshöhen da droben

Da weilt die Sonne noch lang,

Da will ich ruhen, enthoben

Dem lärmenden Freudenklang.

Bis Alles, was hier preßt und quält,

Die Nacht verhehlt.


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 162-164.
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