Vorwort

[5] Kindheitsheimat! – Das uralte Lied, dem man ewig horcht.

Es ist eine der göttlichen Eigenschaften unserer Seele, daß wir vergangenes Ungemach leichter zu vergessen pflegen, als vergangene Freuden, daß sich in der Erinnerung diese Freuden immer mehr von den Schlacken des Ungemachs reinigen, bis sie dastehen wie ein strahlender Himmelsaltar, auch dem alten Kinde noch. Man nennt sie Träumer, die Menschen, die so gerne ins Vergangene schauen; wir bedenken nicht, daß sie in traumhaftem Glücke einen Schatz bewachen, der unverlierbar und unzerstörbar ist – solange die Seele lebt, in der er ruht.

Kindheitsheimat. Ich habe kein Land gefunden in der weiten Welt, das so schön und glückselig wäre, als meine rauhe Bergeshöh' zwischen Wäldern und Wiesen. Wenn ich nun aber in diesem Buche von Kindheits- und Jugendtagen des Waldbauernbuben erzähle, so muß man diesen Buben nicht allemal gerade auf meine Person beziehen. Man kann es tun, aber mit einiger Vorsicht. Die Erzählungen wollen zu jener Gattung von Wahrheit gehören, welche durch den Poeten ins allgemeine gehoben wird und den ganzen Menschen zeigt.

Grundlage dieser Schriften sind meine Erlebnisse in jenen Bergen, zu jener Zeit von etwa 1848 bis 1870, und[5] auch Erlebnisse anderer, die mit mir und um mich gewesen sind. Es ist wohl schon mancher Kopf darüber geschüttelt worden, wieso ich in meiner Bauernhütte all die Zustände und Sitten und die vielen wunderlichen Kerle kennen gelernt hätte, ob sie denn gleich so von allen Talgründen, Waldwinkeln und Almmatten herbeigekommen wären, um sich von mir beschreiben zu lassen? Nun, Volksstudien habe ich in der Tat gar keine gemacht, ich habe die Leute nicht studiert, ich habe nur mit ihnen gelebt in guten und bösen Tagen. Und zwar nicht bloß in einer Hütte. Siebenundsechzig Bauernhöfe sind zu zählen, in denen ich als Handwerker gelebt, gearbeitet, gelitten und dem Himmel Löcher geschlagen habe vor Freudigkeit. Dann des Jungen flinke Beine, die überall wollten sein, die welt- und himmelgierige Seele des kleinen Guckinsleben, endlich das bißchen Dichterlatein – das alles zusammen gibt am Ende doch etwas, das des Aufschauens wert ist.

Davon nun ist das Buch »Waldheimat« entstanden. Es ist in dieser neuen Ausgabe sehr erweitert worden. Zu den Kindesjahren und Flegeljahren sind die holden Jünglingstage des Schneiderbuben gekommen und die Waldferien des Studenten. Eine eigentliche Lebensbeschreibung ist es nicht geworden (eine solche kurzgefaßte ist in dieser neuen Ausgabe, erster Band, beigegeben:. Es ist nichts anderes, als eine Sammlung von Erlebnissen und Erfahrungen aus dem Jugendleben in der Waldheimat. Die Erzählungen sind in sehr verschiedenen Zeiten entstanden. Sie bleiben stehen wie sie gewachsen sind, doch habe ich ihre Formen und Launen noch einmal scharf unter das Gewissen genommen. Die[6] beabsichtigte chronologische Reihenfolge ließ sich des eigensinnigen Inhaltes wegen vielleicht nicht immer genau durchführen. Auch hat mein schlechtes Gedächtnis am Ende bisweilen Dinge und Namen verwechselt – was in manchen Fällen sogar wohlgetan ist. Soll gelegentlich schon jemand bloßgestellt werden, so will ich's selber sein. Ich bin's gewohnt. – Was war ich doch für ein armer Schlucker, ohne es zu wissen, für ein lustausflatternder Schwärmer, ohne es zu dürfen, und was war ich bisweilen für ein Lausbub, ohne es zu wollen! Ich tat aber, was mir lieb war, ohne viel zu fragen. Weil die ganze schöne Welt anderen gehörte, so schuf ich mir eine eigene,-nun, sie ist auch danach geworden. Der Spaß ward zum Ernst, der Ernst zum Spiel, das Spiel zum Leben und jetzt war es, als wäre ich in allen Waldbauernleuten und alle wären in mir – als wäre ich der einfältige, hundertfältige, der weltüberlegene, ewige Waldbauernbub.

Jene Zeiten sind vorbei, aber das ist nicht vorbeigegangen. Das ist geblieben. Wie das uralte Waldbauernhaus noch steht, verlassen und vergessen mitten in junger Waldwildnis, so stehen die alten Gestalten in den wuchernden Erinnerungen. Mir bringen sie die Jugend zurück. Dem Leser vielleicht ein wenig kühle Waldluft und schuldlose Kindesfroheit.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 1: Das Waldbauernbübel, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 11, Leipzig 1914, S. 5-7.
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