Als ich zum Pfluge kam.

[392] Das ist eines der kürzesten, aber der wichtigsten Kapitel, es führt mich aus der ersten kindlichen Jugend und aus der Hirtenzeit hinaus zur zielbewußten Arbeit und zur jungen Mannbarkeit. Einer, der schon in den Samstagnächten umstreicht, hat hohe Zeit, das Ackern zu lernen.

Es bedurfte vieler Ränke, bis ich's vom Rinderhirten zum Pflüger brachte. Ich mußte mir den Fuß verstauchen, daß ich den Tieren nicht mehr entsprechend nachlaufen konnte; ich mußte auf der Weide Vogelnester entdecken, wodurch mein jüngerer Bruder geneigt wurde, an meiner Statt das Hirtenamt zu übernehmen; ich mußte endlich den Knecht Markus, der sonst den Pflug geleitet hatte, gewinnen, daß er versicherte: 's wär' ein bequemes Zeug, ließe sich handhaben wie ein Taschenfeitel und ich – der junge Bub – sei reichlich stark und geschickt genug, den Pflug zu führen.

Und ich stand da und streckte mich, daß ich dem langen Markus mindestens bis an die Achsel langte, und ich schüttelte einen Zaunstecken, daß er ächzte – zum Beweise meiner Reise für den Pflug. Aber mein Vater lachte und rief: »Geh', du bist ein Prahlhansel! Wär' not, es tät' dir noch alle Tag ein anderer dein Hösel stäuben. Na ja, und jetzt will er den Ausge wachs'nen spielen. Ist recht, pack' nur an – wird nicht lang' dauern!«

Auf dem Acker war's gesprochen. Der Markus stand zurück und ich packte den Pflug bei den Hörnern.[393]

Der Pflug in der Gegend meiner Heimat ist zwar nicht mehr der gekrümmte Baumast der Wilden, sonst jedoch ein unvollkommenes, plumpes Werkzeug. Der Bauer zimmert ihn selbst aus Birkenholz, die Eisenteile dazu nur holt er sich vom Schmied und die Räder vom Wagner. Die Hauptstücke des Pfluges sind: das Sech, Pflugmesser, welches den Rasen senkrecht durchschneidet, der Arling oder die Schar, welche denselben wagrecht abledigt, so daß eine Rasensohle entsteht, welche vierseitig und etwa eine Spanne breit und eine halbe Spanne dick ist. Dann ist das Mull- oder Tauchbrett, welches die abgeschnittene Sohle aus der Furche emporhebt und umlegt, so daß die Rasenseite nach unterwärts zu liegen kommt. Weitere Teile, vermittelst welcher diese Hauptstücke am Grindel befestigt sind, heißen die Griessäule, die Sohlschwelle, die »Katze«. All diese Vorrichtungen müssen doppelt vorhanden sein, da die wechselweise Hin- und Herfahrt auf bergigem Acker solches bedingt. Voran liegt der Pfluggrindel auf der Räderachse, an welche zumeist ein Paar Ochsen gespannt ist. An der Rückseite des Pfluges stehen drei Hörner oder Sterzen, die Handhaben, hervor, durch welche der Pflug von einem kräftigen Manne geleitet wird. An der Leitung dieses »Pflughabers« liegt es, die Rasensohle breit oder schmal, die Furche tief oder seicht zu machen; diesem Manne obliegt es, am Rande des Ackers den Pflug gut einzusetzen und auszuheben, auch muß er es vermögen, auf steinigem Boden vor jedem größeren Steine den Pflug herauszureißen, denn die Ochsen sind nicht plötzlich zum Stehen zu bringen und der unbewachte Pflug würde gar bald in Trümmer gehen.

Außer diesem Pflughaber ist zum Gefährte auch noch ein Fuhrmann nötig, der die Ochsen leitet, so daß im Paare der eine stets in der Furche, der andere auf dem Rasen[394] schreitet. Dann muß endlich ein »Nachhauer« sein; das ist zumeist eine Magd, welche mit einer Haue dem Pfluge folgt, nicht gut umgelegte Sohlen niederkehrt, fehlerhafte Furchen aushaut – kurz, den Verbesserer des Pfluges abgibt.

Man sieht, daß die Sache nicht einfach ist. Es gehört ein langer Tag dazu, um mit einem Pfluge ein Joch hängigen Ackerlandes umzukehren. Nun, und wie ist's dabei dem jungen Pflughaber ergangen?

Fest hatte ich den Stier bei den Hörnern gefaßt. Es war aber wahrhaftig wie ein Stier. Vom Markus hatte sich das Zeug wie ein Spielwerk handhaben lassen; es war, als hielte er sich nur des Vergnügens wegen an den Sterzen. Jetzt war's eine andere Art. Die Rinder zogen an. Mich schleuderten die Sterzen nach rechts und nach links, der Pflug wollte aus dem Gleise steigen und meine Barfüßlein kamen etlichemal unter die Erdsohle. »Er ist zu gering beim Steiß!« hörte ich den Vater und den Knecht noch lachen; das Wort weckte mich. Es handelte sich um meine Mannbarkeit. Nicht mehr der Halterbub wollt' ich sein, der am Tisch bei der untersten Ecke sitzen mußte, der nirgends ein Wörtlein mitsprechen durfte, der – wußte er was Gescheites – dasselbe mit den Kälbern und Schafen bereden konnte. Mein Sinn stand nach dem Höchsten; groß, stark und selbständig wollte ich sein wie der Weidknecht. Und siehe, der Mensch wächst mit seinen höheren Zwecken! Ich führte den Pflug und schnitt eine leidliche Furche. Die ausgeackerten Regenwürmer hoben verwundert ihre Köpfe, zu sehen, wer heute ackere!

Die Äcker meines Vaters hatten zähe, gelbrote, mit Graswurzeln durchflochtene Erde und die Sohlen waren ein endloser Darm und brachen auf der ganzen Pflugstrecke kaum ein einzigmal ab. Mich freute das, denn so blieb der Pflug[395] stets gleichmäßig in seiner Lage und die Furche war regelmäßiger wie Teichgräberarbeit. Meinen Vater freute das nicht; er hätte viel lieber schwarze und mürbe Erdsohlen gehabt. »Schwarze Erde, weißes Brot!« sagt der Spruch.

Als ich den Pflug das drittemal über den Acker leitete, lugte ich nach der Sonnenhöhe. Ach, diese Uhr stand! Es waren Wolken davor. Und wenn der Herrgott boshaft sein will und es heute nicht Mittag werden läßt...!

Es dauerte lange, bis zur Mahlzeit oben beim Hause die Mutter auf dem Söller stand, wie einst die Ahne, zwei Finger in den Mund hielt und einen Pfiff ausstieß, den der Waldschachen so prächtig nachmachte. Ich ließ die Handhaben los und gestand mir's: so schön habe die Mutter noch nie gepfiffen.

Dann ging's zum Mittagsessen. Ich hütete mich wohl, die Erde mir von den Händen zu reiben, denn eben diese Kruste gab mir das Ansehen: ich war nicht mehr der Halterbub, ich war der Pflughaber, hatte die gleichen Rechte mit den Knechten; ich saß neben dem Vorknecht und bestrebte mich, gewichtige Reden zu führen. Man sprach über meine Leistung; da schwieg ich, denn meine Leistung verstand sich von selber.

Es ist ein kleines Ding aus der Jugendzeit, es ist kaum groß genug, daß man's so laut sagt; aber für den Landmann ist's ein wichtiger Tag, wenn er das erstemal seine Hand an den Pflug legt. Das Schwert, das Kreuz ist Gegenstand großer Abhandlungen; ich halte auch den Pflug für ein Symbol der Welterlösung. Den grauen Erdstaub, der damals an meiner Hand kleben blieb und mit dem ich zum Mittagsessen ging – ich möchte ihn nicht gern verwischen – er ist mir altem Bauer das, was dem Schmetterling der Goldstaub.[396]

Und so mag ich's wohl noch sagen, daß ich im selben Jahre den ganzen Acker umgebaut habe, daß mein Vater mit frommer Hand das Korn in die Erde gestreut hat und daß im nächsten Frühjahre das Korn in erfreulichster Grüne gestanden ist.

»Seit zehn Jahren hab' ich kein solches Kornfeld mehr gehabt,« hatte mein Vater hierauf gesagt. Im Hochsommer, als die schweren Halme zur Reise neigten, schlug der Hagel die Frucht in den Erdboden hinein. –

Alles das mußte anders werden, und wie unerwartet und seltsamlich, das sollen der »Waldheimat« dritter und vierter Band erzählen.[397]

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 2: Der Guckinsleben, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 13, Leipzig 1914, S. 392-398.
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