Fünffte Betrachtung.

[142] SCHUZGEIST.

Ihr habt nun wie ich glaub, nicht ohne leyd betrachtet,

Wie Euer heyland wurd verspottet, und verachtet.

Doch wer ist der mit gott ein solchen frevll treibt,

Der sinder ists der stätts in der gewohnheit bleibt.

Er beichtet, und verspricht ein gott gefälligs leben,

Thuet aber disen schlus nur mit den worthen geben.

Weill er von herzen nicht den sindenlast verflucht,

Und immer nur darbey sein fleisch zu zarten sucht.

Er zeiget zwahr ein reu, allein nur mit der zungen,

(Ach ist auch dise doch zum offtren nur erzwungen)

Dan baldt er auf den schein sein andacht hat vollend,

Sicht man, das er aufs neu die alte straßen rennt.

Dan die gewohnheit halt ihn schon in ihren ketten,

Er ist durch keine lieb, durch keine forcht zu retten.

Er will, und will nicht recht, und was er guts verspricht

Verspricht er ohne grund, und also halt ers nicht.

Heißt aber dises nicht den lieben gott verachten?

Heist dises nicht, ihm nur des Cainens opfer schlachten?

Heist dises nicht ihm nur stätts dienen auf den schein?

Doch allzeit in der thatt sein eigner günstling sein?

Herodes hat fürwahr so villes nicht verbrochen,

Ob er mit Christo gleich so spöttlich hat gesprochen,

Weill ihm aus gottes willn, und des Erlösers gnad

Das glaubens licht nicht so, wie dir, geschinen hat.

Du aber tragest ihn in dem bewusten herzen,

Und doch getraust du dir mit ihme nur zu scherzen?[142]

Ach sinder! treib sodan mit ihm nicht hohn und spott,

Gedencke das er sey dein richter, herr, und gott.

Doch es ist mehrmahl zeith, das wür nun weiter schreitten,

Betracht, was jede sach euch werde vorbedeuten.

Weill jedes, was man euch allhier zu sinnen führt

Euch eures heylandts quall, und schmerz, zeigen wird.


Quelle:
Bitteres Leiden, Oberammergauer Passionspiel, Verfasst von Pater Ferdinand Rosner O.S.B., Leipzig 1934, S. 142-143.
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