[93] Vorige. Klotz.
KLOTZ tritt auf, eilends. Das Schiff, das Schiff!
NAUKE. Wir sausen mit allen Kesseln darauf zu!
DER GOUVERNEUR. Nein, nein, sag ich euch! Das ist nicht die Freiheit! Das ist das Tier. Das ist der Absturz! Die alte Welt der Feinde stirbt schwarz zerfressen an der Pest. – Und diese da, die Kameraden, rasen nach Besitz?
KLOTZ. Laß sie. Sie folgen ihrem Zwang.
DER GOUVERNEUR. Nein! Ich darf sie nicht lassen. Ich bin erweckt, ich kann nicht mehr zurück. Ich kann die Menschen nie mehr im Dumpfen lassen. Weißt du es noch nicht? Rings um uns tobt Seuche. Drüben fressen Besitz und Seuche brüderlich vereint an den Feinden. Aber hier unsere Brüder – nur die Reinheit kann sie noch retten!
KLOTZ. Sieh, die Armen hier, wie zum ersten Male aus ihnen die Freiheit springt!
DER GOUVERNEUR. Ich sehe graue Blitze unter ihnen. Die Verwirrung steigt wie Nebel um unser Schiff. Sie fallen in ihre Tierheit zurück. Sie schleudern sich zurück ins[93] blinde Vergessen. – Kameraden, heraus aus der Befleckung. Unsere Kraft ist der reine Wille unseres Freiheitsschiffes, oder die Seuche von drüben stürzt sich über euch!
NAUKE. Was willst du, Kamerad? Komm zu uns, küß mit uns! In einer Stunde springen wir drüben dem Schiff auf den Leib! Küßt mich, Frauen, küßt euch! Das ist ein Leben, ich hab's gewußt, daß so ein Leben kommen wird. Musik! – Ich hörte Musik schon im Mutterleib! Musik! O Freiheit!
KLOTZ zum Gouverneur. Dort, dort am Ufer – o sieh! Sieh die dunklen Klumpen! Sind das Menschen?
DER MANN. Tote! Die Seuche?
DER GOUVERNEUR. Tote! Die Pest fraß sie. Ich sagt es euch!
DER MANN. Die Pest – wir fahren durch die Pest!
DER GOUVERNEUR. Die Pest um uns. Die Pest auf dem Feindesschiff. Und in unsern Brüdern: Das Tier! Zu den andern. Nun verlaß mich nicht. Menschenkraft in mir!
KLOTZ. Das Schiff, es kommt auf uns zu!
ERSTER WÄCHTER. Mir ist unheimlich; ich seh, wie sie drüben Flaggen ziehen und Kanonen richten!
ZWEITER WÄCHTER. Wir verfolgen sie nicht mehr, sie jagen auf uns!
OFFIZIER. Sie verfolgen uns!
NAUKE. Uns!
ANNA. Ich ergebe mich nicht!
DER MANN. Sie werden sich rächen.
DIE FRAU. Sie verlangen unsere Auslieferung und lassen euch dann frei. Wollt ihr uns verraten?
DER GOUVERNEUR. Ihr dürft nicht verzweifeln. Seid ihr nicht frei?
NAUKE. Scherze nicht mit uns!
ERSTER GEFANGENER. Sprich, ich verstehe dich. Schnell. Ich bin alt. Mein Leben ist billig.
ZWEITER GEFANGENER. Was sollen wir tun?
DER GOUVERNEUR. Seid ihr nicht die Führer? Rollt nicht die Zukunft aus unseren Händen als naue Welt? Wie dürft ihr das vergessen?
NAUKE. Führer! Ich bin Führer![94]
DER MANN. Gibt es Führer? Gibt es noch Führer in der letzten Not der Menschen?
OFFIZIER. Sie verfolgen uns! Wie retten wir uns?
KLOTZ. Gibt es Führer? fragst du – vorm Tode sagst du das?
DER GOUVERNEUR. Ihr seid frei! Vorbild seid ihr für die Menschen! Unser Schiff fährt durch den schimmernden Himmel zu den Menschen, sie aufzurichten, ihr macht sie zu Brüdern, ihr erinnert sie an ihre Heiligkeit. Aus euch wird die Menschheit strömen, ihr pflanzt das Morgenreich in die Länder. Und ihr habt Angst? Drüben folgt euch nur das Tier, die böse Dunkelheit. Ihr müßt nur wollen, und sie ist dahin!
OFFIZIER. Es ist zu spät! Sie ziehen die Feindessignale. Sie richten ihre Riesengeschütze!
DER GOUVERNEUR. Wir müssen nur wollen!
ANNA. Nimm meinen Willen! Sag, was ich soll! Hauch ihn unter die Brüder, wenn er euch retten kann.
DIE FRAU. Nimm mein Leben. Zu Anna. Nimm du es, Schwester! Hier lieg ich zu deinen Füßen, dich stärker zu machen.
OFFIZIER. Wollt ihr mich? Werft mich hinüber, sie hängen mich, oder sie schießen mich zusammen, oder sie hacken mich in Stücke, vielleicht kann jeder blutende Fetzen von meinem Fleisch einen von euch retten!
ERSTER GEFANGENER. Ich bin es, sie wollen mich holen. Noch einen Zug von dieser Luft atmen, und sie können wieder das Gefängnis über meinen Schädel pressen. Ruft herüber, daß ich für euch gehe.
ZWEITER GEFANGENER. Nein, ich! Ich bin älter als ihr alle! Ich habe mehr gemacht als ihr, ich war gefährlicher als ihr.
ERSTER WÄCHTER. Ich weiß, wie man's macht! Schießt mich nieder, ruft, daß ich der Rädelsführer war, einem alten Beamten glauben sie, auch wenn er tot ist. Wozu ist mein Leben gut? Ich habe die Freiheit gespürt, nun kann ich sterben.
ZWEITER WÄCHTER. Ich bin noch jung, mein ganzes Leben ist noch da, meine Freiheit aufgeben: das hat viel größeren Wert als ihr alle; nehmt mich!
NAUKE. Mich! Mich! Ich – ein Führer! Der Kamerad hat's[95] gesagt! Ihr liefert einen wirklichen Führer aus. Das ist ein Braten für die, knusprig, voll gegessen und getrunken, frisch, mit festen Sehnen! Liebe Brüder und Schwestern: den letzten Schluck, und dann – hopp!
KLOTZ. Kann es einer allein? Ich war der Aufstand.
DER MANN. Ich war der Wille! Mit mir ersticken sie den Geist, und ihr andern schlüpft ins Leben zurück.
OFFIZIER. O wie spät ist es, was zögern wir! Ein Hauch noch, und wir sind alle verloren!
DIE SCHIFFSGEPANGENEN unsichtbar, unten. Heraus! Leben!
OFFIZIER. Die Gefangenen! – Nun alle Kraft in uns zu Hilfe, sonst werden wir wie Tiere niedergemacht!
DER GOUVERNEUR. Wir sind nicht verloren. Wir sind noch frei. Glaubt mit mir! Wille, Wille, brenne durch uns, Wille, schieße aus unseren Händen, kehr um in unserm Mund, fahre aus unseren Augen! Alle wollen! Wir stehen in starrer Mauer still, wir tauchen unter, wir verschwinden aus dem Leben, wir fliegen lautlos über uns herauf. Wir wollen! Auf! Aus uns steigt es herauf, heraus aus uns tritt unser Mensch, hinüber durch den Raum, es gibt keine Grenzen, furchtbar für die Gewalt! Mensch, herauf! Hervor aus uns allen, Wille. Die Gewalt prallt zu Staub!
DER MANN. Wille!
DER GOUVERNEUR. Brüder, Mut, wir schreiten hinaus aus unserem Leib. Unser Wille schwingt aus uns über den Raum hin. Wille, stoß in die Feinde!
KLOTZ. Freiheit!
DER GOUVERNEUR. Freiheit stößt aus uns! Jetzt wir alle: unser Wille heiß wie ein weißer Strahl ganz auf sie!
ANNA. Wir Menschen gegen die Knechtschaft!
OFFIZIER. Nieder die Gewalt!
DIE FRAU. Gemeinschaft gegen die Gewalt!
ALLE. Gemeinschaft!
DER GOUVERNEUR. Menschen, unsere Gemeinschaft zerstört ihre Panzermacht! – Unsere Kraft! Sie wenden! – Da – sie fliehen!
ALLE. Freiheit![96]
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