Vierzehnte Szene

[128] Vorige. Der Kranke.

Der kranke Schiffsgefangene tritt aus der Versenkung auf.


DER SCHIFFSGEFANGENE. Endlich finde ich euch. Aus dem Heer der Bürger schicken sie mich zu den Sternbrüdern.

DER MANN. Du bist es? Du sahst uns am Schiff, wußtest du darnach nicht, daß wir nicht maklern und nicht verraten? Die Bürgerbotschaft ist unseren Ohren ein hohler Schall. Du warst in unsrer Gemeinschaft. Warum tratest du zu den Bürgern, den Feinden?

DER SCHIFFSGEFANGENE. Ich trat nicht zu den Bürgern. Ich gehöre zu euch. Ich bin von den Kleinen, nichts an mir fiel den Mißtrauischen auf. Ich bringe euch Gutes: Drüben die Armee der Feinde ist nicht mehr fest, die ist nicht mehr ein drohender Wald mit den zahllosen Stahlbäumen. Das Heer wird schwach. Tausende der Frauen[128] aus dem Volk der Bürgerarmee rufen heute ihren Soldaten das Wort nach: »Menschen!« Die Männer recken die Fäuste zur Empörung, und man kann sie nicht mehr niederschlagen. Redner stehen plötzlich vor den Massen und rufen Hohn und Warnung über die Waffen. Das Heer der Bürger ist schwankend. Wir, die im stillen ihnen Zweifel einflüstern, haben Freunde. Ihr in der Stadt habt draußen Freunde. Hört mich: Sammelt alle Kraft, die ihr hier noch findet, macht einen Ausfall. Ein großer Angriff von euch, der letzte Tag der Gewalt, und ihr habt den Sieg über die Bürger!

DER MANN. Du kamst als Freund. Aber du irrst: Wir bleiben.

DER SCHIFFSGEFANGENE. Ihr bleibt? Ihr seid zu schwach? Das meint ihr nur. Ich sag euch dies: Auch die schwächste Macht, wenn ihr sie jetzt entschlossen aus der Stadt vorwärtstreibt, hat den Sieg über dieses Heer.

DER MANN. Wir bleiben.

DER SCHIFFSGEFANGENE zur Frau. Hilf du mir. Die Frauen drüben sind nicht aufzuhalten in ihrem Ausbruch.

DIE FRAU. Die Mauern fallen.

DER SCHIFFSGEFANGENE zur Frau. Sie halten das Heer zurück. Ihr müßt sie bezwingen. Eifere du, daß eure Männer kämpfen.

DIE FRAU. Ich rief sie. Ich weiß, daß es andere Mächte gibt als den Sieg. Ich rufe nicht zum Kampf.

DER SCHIFFSGEFANGENE. Ihr wollt nicht kämpfen? Dann kommt zu uns. Ruft die Brüder zusammen. Alle müssen herüber zu uns. Verlaßt die Stadt in Verkleidungen durch den unterirdischen Gang. Mischt euch unter das Volk, dringt ins Heer – sendet Angst und Verzweiflung unter das Volk drüben und in die Herzen der Soldaten. Ihr könnt das. Macht, daß sie zerfallen, daß sie untereinander sich morden.

DER MANN. Nicht das ist unser Wille. Wir bleiben.

DER SCHIFFSGEFANGENE. So hört mein letztes Wort, vom Freund, den ihr brüderlich gerettet habt. Kommt, kommt! Und sei es nur, um die Stadt zu verlassen. Wir verstecken euch. Wir retten euch. Bei uns drüben jenseits der Wälle und der Gräben, auf den weiten Ländern, seid ihr gerettet.[129] Hier, inmitten der Tatenlosigkeit, findet ihr den gewissen Tod, mitsammen dem Tod der Stadt.

DER MANN. Unsere Tat ist anders als die der Faust. Unsere Tat ist: zu bleiben.

DER SCHIFFSGEPANGENE. Ich kenne nur eure Bruderliebe, ich weiß nicht, wie stark ihr seid. Ich bin nur einer aus den vielen, ich habe euch Bericht zu sagen. Mehr vermag ich nicht. Aber daß ihr nicht kämpft, daß ihr bleibt, ist euer Verderben!

DIE FRAU. Geh zurück und sag ihnen, daß wir nicht kämpfen. Sag es jedem, der noch lebendig hört. Ich weiß: dies wird größer sein als eine Schlacht.

DER MANN. Sag ihnen, daß du uns den Tod gezeigt hast. Wir bleiben.


Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 128-130.
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