Bedeutung

[95] Im Augenblick, wo eine Handlung noch etwas bedeutet, etwas anderes als sie selbst, hat sie ihre Triebkraft verloren. Sie kommt schon aus der Skepsis an ihrem Werte. Sie wird schon begonnen – nicht weil die Intensität keinen andern Auspuff mehr findet – sondern weil Alle mal gelegentlich aus Beschäftigungslosigkeit in Handlung machen. Die Geschichte der Handlung hört auf, es beginnt die Geschichte der Bedeutung. Die Bedeutung soll durchaus ihre Existenz rechtfertigen; sie soll sich von allen anderen Bedeutungen unterscheiden, sie wird überaus vornehm. Hier erscheint die Originalität: die gemimte Rolle, als sei etwas geschaffen aus[95] Intensität. Der Ausdruck tritt auf, man besorgt durchaus unterscheidende Merkmale. Und nun soll jeder ausnahmslos Beifall klatschen können. Etwas ganz Grossartiges und Massives wird um das bisschen Geste herumgeknetet. Jeder, ja jeder soll sich Wichtiges denken können, was ihm gefällt. Der Zodiakus wird bemüht, die Frühlingspunkte sausen vorbei, die Sonne wird vom grünen Mond verschlungen, Planeten (keiner hat eine Gewissheit, man ahnt was dumpf) werden auf alles bezogen, die Milchstrasse wird ausgebreitet. Irgendwo kömmt ein Messias. Höchster Typ der Bedeutung: ein Mythos wurde kalfatert. Wo nichts mehr lebend übrigbleibt, wo alle schimmligen Bedeutungshäute vom durchfressenen Gerippe der Tatenlosigkeit abfaulen, stets da kommt man uns mit dem dreckigen Schwindel vom Mythos. O Babylon, Babylon.

Dreitausend Jahre sollen vergangen sein wie nichts. Wir sollen immer noch ahnen, raten, Geheimnisse verwalten. Nein. Wir geruhen nicht mehr unsere Ahnenseele zu bemühen. Wir waren nicht, wir werden nicht sein. Wir sind. Wir sind. Wir sind. Oder, zum Donnerwetter, wir existieren überhaupt nicht.

Eine Handlung ist sie selbst. Wir lassen sie uns nicht religionsverstiftern. Wir brauchen sie nicht zu verstehen. Es gibt nichts zu verstehen.

Wir wissen, dass die Handlung aus uns kam, und wir wissen immer, wohin sie geht. Wir wissen, wozu sie da ist.

Ein »Wie« hat die Handlung nicht, und keine Art, in der sie sich von einer anderen Gruppe Handlung unterschiede; die Handlung hat keine Erklärung. Die Handlung, dieses Selbstverständliche, ist in ihrem armen Wege (aus Uns zum Ziel der Realisierung) ganz und gar in sich. Sie ist nichts mehr, als sie tut.

Nicht die Handlung ist zu verstehen. Nicht wir, die handeln,[96] sind zu verstehen. Sondern der Standpunkt, von dem aus wir handeln, das Geistige, – dies ist zu verstehen, zu erklären, bringen anderen Menschen mit allen Mitteln.

Der Zentralpunkt unseres Lebens wird hell. Es beginnt das Reich des Absoluten. Und dieser ungeheuerste Dynamitblock der Welt wird sichtbar: der Wert. Dann sind wir für den Geist Eiferer, Überzeuger, Belehrer, Beredner, Umtreiber, Umwender; verzweifelt, hochmütig, klotzig, schmeichelnd, ergeben, beweisend, erschütternd: Wir Änderer. Für den Geist allein sind wir das Ordinärste und Erhabenste, das man ausdenken kann; das Kümmerlichste, Lächerlichste, und die fürchterlichste Triebkraft an dieser Welt: Wir sind Partei.

Lassen wir das ewige Verständnis. Die Gallerte Bedeutung zerfliesst zitternd. Kümmern wir uns um unseren Standpunkt. Seien wir Partei!

Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Mensch in der Mitte, Potsdam 21920, S. 95-97.
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