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[81] Die Beurteilung von Werten verschiedener Art ist den Menschen darum peinlich, weil sie alles auf einmal besitzen möchten (die Venus und den Braten). Werte sind zur Wertung da. Wenn Ihr geistige Wesen seid, so seid Ihr Partei. Ihr habt nicht Euch geniesserisch, relativistisch, besitzgierig um die Wertung zu drücken.
Entscheidet Euch!
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Sieht man aber ein? der Wert kümmert sich nicht um den Besitz. Der Geist hat nichts mit Besitz zu schaffen. Nur der blosse Naturbetrachter findet überall Objekt, Aufzulesendes, Materie, Dinge, die man haben und festhalten kann, Besitz. Besitztum ist das ewige Missverständnis des Naturmenschen; Anhäufung, Addition des nur Notwendigen, in der todbringenden Vorstellung, durch Anhäufen werde man einen Turm errichten, einen höheren Gesichtspunkt gewinnen, der dumpf geahnten Herrlichkeit des Ausserhalb, des Standpunktes, des Wertes, näherkommen. Gradweise, entwicklungsmässig, von selbst. Aber Besitz umschliesst nur immer höher mit den objektiven Mole kül-Mauern der Natur.[81]
Die Mythologie des Besitzes hat Nuancen. In der »Offenbarung Johannis« empfängt Johannes eine Buchrolle, die er essen muss; dadurch wird er in den Stand gesetzt, neue Weissagungen zu empfangen und zu geben. Eine grosse Naivität der Besitzesideologie; das sich Einverleiben. Aber es gibt auch die Umkehrung dessen, ein invertiertes Einverleiben: die Einfühlung.
Oder die animistische Umkleidung des Besitzes: Macht. Machtglaube ist ein Attribut von atavistischem Zauberglauben. Der Magiegläubige meint, die Erreichung von Macht ändere sein ganzes Wesen. Aber Besitz ändert nichts. Aberglaube von Toren ist die Vorstellung, amerikanische Milliardäre seien in ihrer ganzen Lebensfähigkeit anders als andere Menschen. »Die Kaiserin«, sagt der Schmied in einem Märchen von Gogol, »sass auf goldenem Thron und ass goldene Knödel.«
Die Schätzung des Interessanten oder des Originellen ist eine Form von Besitzglauben (dagegen rein geistig, über alles herrlich und wertvoll ist das Originäre, das Ursprüngliche, das aus erster Hand Kommende). Nicht originell, nicht interessant ist das Schöpferische. Die Erfindung, das von Grund aus Neue, die Schöpfung steht ausserhalb des Besitzes. Das Schöpferische ändert die WeIt und zersprengt immer gleich wieder sich selbst. Es ist da, um unablässig wieder ganz von vorn anzufangen. Eine schreckliche, hoffnungraubende Idee für alle Machtgläubigen. Aber Hoffnung ist selbst nur ein Trick, ein Marschsignal (gegenüber der Gewissheit).
Eine Verwechslung: die Menschen setzen gern Schöpfung und blosse Sichtbarkeit gleich. Aber die Entdeckung, die blosse Aufdeckung des noch nie Gesehenen ändert die Welt nicht. Hochschätzung des Visionären, des Geschauten, des Augensinns, der Entdeckung: ist Besitzaberglaube.
Ihm gegenüber steht die Zeugung, das Geschaffene, die Erfindung.[82]
Für den Geistigen hat Besitz gar keinen Sinn. Er wertet. Er ändert unablässig. Wie sollte er auf die Idee kommen, etwas festhalten zu wollen? Sein Hebeldruck zur Änderung der Welt ist nicht Besitz, sondern die höchste Immaterialität, das stärkste nur Innensein: die Intensität. Alle Änderung der Welt ist Projektion des Geistes auf die Welt. Wir, Geistesmenschen, stehen vor der Urforderung dieses Lebens: Verwirklichung. Der Weg, den wir der Intensität aus uns heraus geben, ist der Weg der Verwirklichung. Unser erster Gedanke bei unserer Geburt ist: verwirklichen wir. –
Verwirklichen Wir!
Schöpfung beginnt.
Feuerbachs Einwand, Gott sei vom Menschen selbst gemacht, ist einer der dümmsten Einwände. Denn im Gegenteil. Ist es so, dann gäb es kein strahlenderes Stück von Projektivität des Geistes, von Produktivität des Menschen. Aus uns einen Schöpfer schaffen – Gipfel der Verwirklichung.