Erster Akt


Festsaal des Gasthofs zur Post

Großer, sehr tiefer Raum, der vorne an jeder Seitenwand ein breites Fenster hat. In ziemlicher Entfernung von den Fenstern nach rückwärts befindet sich je eine große Flügeltüre mit Milchglas, von denen die rechte auf eine Veranda, die linke durch einen Hausgang in das Innere des Gasthofs führt. Je zwei bronzene, leere Lampenträger sind an den hellgrün gestrichenen Wandflächen zwischen Türe und Fenster befestigt. Runde Tische und Rohrstühle stehen an den Seitenwänden ungeordnet durcheinander, doch lassen sie den Mittelraum völlig frei.

Im Hintergrund des Saales ist ein Podium errichtet. Darauf befindet sich eine kleine Bühne. Ihr hochgezogener Vorhang öffnet den Blick auf rohgemalte Kulissen und Versatzstücke, die eine Gebirgslandschaft darstellen. Auf das Podium führt eine kleine, verschiebbare Holztreppe. Die Bühnenumrahmung besteht aus Leinwand, die mit barocker Architektur weißgrau bemalt ist. Auf der linken Seite hat sie ein Tapetentürchen als Zugang zu den Ankleideräumen. Über der Bühne selbst sind zwei gleichmäßig verteilte, weiß bestrichene, längliche Ornamente angebracht, die in weithin leserlichen, schwarzen Buchstaben folgende Inschrift tragen.


Nicht viele Worte machen wir,

Wir heißen Euch willkommen hier,

Und geben schlicht, ohn' Falsch und Spott,

Nur unser biederes: Grüß Gott!


Es geht gegen Abend. Sattes, goldenes Licht flutet von der rechten Seite durch Fenster und Verandatüre in den Saal, wo Seppl und Lorenz eben eine Leiter vor dem Podium aufrichten. Burgl trägt einen Korb mit Tannengirlanden herein. Ihr Kind läuft bald auf der Bühne, bald hinter den Kulissen herum, ohne daß jemand sich darum kümmert. Vorn, am Tisch links, auf dem ein offener Maßkrug steht, sitzt der Seehansele und stiert, die Hände in der Tasche, gedankenlos vor sich hin. Er ist etwas angetrunken. Auf der rechten Seite, am vordersten Tische, stehen Pfarrer und[707] Posthalter. Beide betrachten beim Aufgehen des Vorhangs sehr aufmerksam eine auf der Tischplatte ausgebreitete Fahne, deren schwarzlackierte Stange auf die Lehnen von zwei Stühlen gelegt ist. Die Spitze der Fahne krönt ein goldbronzener Engel. Posthalter hat das blau-weiße Tuch in die Höhe gehoben, damit es der Pfarrer um so besser betrachten kann.


PFARRER nach einer Pause. Schön ... sehr schön, wirklich sehr schön, Herr Posthalter!

POSTHALTER. Also g'fallt's 'm Herrn Pfarrer?

PFARRER. Alle Hochachtung! Der Findelhausverein, der kann lachen.

POSTHALTER. Die Hauptsache is, daß die Fahne zu Ihrer Zufriedenheit ausg'fallen is, Hochwürden.

PFARRER. Da dürfen Sie ganz beruhigt sein, ich habe selten so was Schönes gesehen, die prachtvollen Goldfransen, der schwere Atlas – einfach wunderbar.

POSTHALTER. Das is mir aber sehr lieb, daß wir so Glück haben damit. Es freut ein' halt doch, wenn man eine Anerkennung kriegt ...

PFARRER. Natürlich!

POSTHALTER lachend. Denn ... am End, man hat sich ja die Sach' doch auch was kosten lassen.

PFARRER nickend. Arbeit und Geld.

POSTHALTER selbstgefällig. Nun, vom Geld, da wär' ja weiter kei' Red, aber zu der Stickerei hat mei Frau doch mehrere Wochen braucht.

PFARRER. Um so schöner der Lohn für die gütige Spenderin! Sie hat für einen guten Zweck gearbeitet, und der Findelhausverein wird's ihr danken, ihr und Ihnen, Herr Posthalter.

POSTHALTER verneigt sich lächelnd. Oh, kei Red davon.

PFARRER. Nein, nein, in allem Ernst! Das ganze Dorf kann Ihnen dankbar sein. Sie sind kaum ein paar Jahr hier in unserm Nest und stiften da die kostbare Fahne, bauen in die Gregoriwiese ganz auf Ihre Kosten ein Findelhaus hinein – so eine Opferfreudigkeit verdient schon Anerkennung.

POSTHALTER lächelnd abwehrend. Oh ... Hochwürden!

PFARRER. Nun, die muß Ihnen auch bei der Einweihung zuteil werden. Da wird's zugehen!

POSTHALTER. Ja, es kann 'n g'hörigen Sturm geben, die nächsten zwei Tag.[708]

PFARRER. Ich glaub's! Morgen abend die Fahnenweihe –

POSTHALTER. Mit Prolog, Theater und Tanz.

PFARRER. Und übermorgen die Grundsteinlegung vom Findelhaus –

POSTHALTER. Auch sonst bringen wir noch alle möglichen Knalleffekt!

PFARRER. Vielleicht ein Feuerwerk?

POSTHALTER. Nein, aber nur im Vertrauen g'sagt, Hochwürden: fünf Hektoliter Hofbräuhausbier.

PFARRER. Was?

POSTHALTER. Das hat mein Freund, der Rettinger, eigens aus München g'schickt, weil er weiß, daß 's Hochwürden so gern trinken.

PFARRER. Zu aufmerksam vom Herrn Rettinger! Er kommt doch hoffentlich selber zu unserem Fest?

POSTHALTER. Freilich, heut' abend schon, zu der Theaterprob' mit 'm Götzensperger.

PFARRER. Mit dem Herrn Aktuar?

POSTHALTER. Der hat uns ja eigens das Festspiel zu der Fahnenweih' geschrieben.

PFARRER. Ja der Herr Götzensperger ist ein famoser Dichter! Und der kommt also mit? Das ist fein. Vielleicht schau ich da doch noch auf einen Sprung zu der Prob' her, wenn's mir meine Zeit erlaubt.

POSTHALTER. Oh, das war schön.

PFARRER. Aber jetzt muß ich fort. Empfehlen Sie mich der Frau Gemahlin und leben Sie wohl, Herr Posthalter! Er gibt ihm die Hand, die der Posthalter, nachdem er sie geschüttelt hat, noch einen Augenblick festhält.

POSTHALTER sieht sich um und spricht leiser. Ich ... ich hätt' zwar gern noch ein Wort mit'm Herrn Pfarrer gesprochen.

PFARRER. Was gibt's denn?

POSTHALTER. Es is' eigentlich hier net der Ort ... Laut und scharf. Du, geh a hinter zu de' andern, Seehansele, und arbeit' was!

SEEHANSELE schaut ihn verbissen an und schleicht zu den Burschen.

POSTHALTER. Es betrifft nämlich 's Findelhaus, Hochwürden.

PFARRER. Das Findelhaus?

POSTHALTER. Oder vielmehr die Gregoriwiesen, auf die das Findelhaus baut wird.[709]

PFARRER. So? was ist denn damit?

POSTHALTER. Der ganze Platz soll mir ja doch von der Gemeinde verkauft werden, net?

PFARRER. Versteht sich von selber. Wie können Sie denn sonst das Findelhaus hinbauen?

POSTHALTER. Ganz schön. Mich macht bloß das eine stutzig, daß ich von der Gemeinde noch keinen offiziellen Bescheid hab'.

PFARRER lachend. Das ist es? Oh, darüber machen Sie sich keine Sorgen!

POSTHALTER. Meinen Hochwürden net, daß vielleicht so a Neidhammel kommen könnt und ...

PFARRER. Wär' nicht übel! Wenn Sie da nunter eigens so ein teures Findelhaus stiften, nachher wird man wohl auch ein Entgegenkommen zeigen und Ihnen den Platz um entsprechendes Geld überlassen.

POSTHALTER. Ja, wenn das Hochwürden selber sagen!

PFARRER. Versteht sich! Ich hab das alles dem Gemeindekollegium schon entsprechend vorgestellt, Sie kriegen den ganzen Komplex.

POSTHALTER. Ja, nachher!

PFARRER. Sie und kein anderer! Meinen Sie vielleicht gar, ich möcht' einen Menschen, wie den Mohrenwirt, auf dem Grundstück?

POSTHALTER. G'rad den hab ich eben im Verdacht, daß er auf die Wiesen spekuliert hätt'.

PFARRER. Kann schon sein, aber da gibt's nichts, ich und der Bürgermeister sind ganz einig, die Gregoriwiesen bekommen Sie.

POSTHALTER schnell. Also is' schon fest beschlossen?

PFARRER im Gehen. Ich plaudere da zwar a bissel aus der Schul und – Lächelnd. – mindere eine Überraschung –

POSTHALTER ebenfalls lächelnd. Oh! oh!

PFARRER. Aber weil Sie mich gefragt haben, sollen Sie 's wenigstens andeutungsweise erfahren.

POSTHALTER. Ich weiß wirklich gar net, wie ich 'm Herrn Pfarrer für die vielen Bemühungen danken soll.

PFARRER. Keine Ursach! Wer so viel tut, der soll auch den Lohn haben, – Unter der rechten. Türe – die Bauern können nur froh sein, wenn ein Mann, wie der Herr Posthalter, sich für immer hier festsetzt. Das ist ja klar, da ... Die letzten Worte spricht er bereits im Verschwinden zu dem ihn begleitenden Posthalter.[710] Größere Pause. Seppl steht auf der Leiter und legt, nachdem er das linke Ornament während der vorigen Szene geschmückt hat, auf der inzwischen nach rechts verschobenen Leiter eine Girlande um den anderen Spruch.

SEEHANSELE der hin und her getorkelt, kommt nun nach vorne und betrachtet neugierig die Fahne. Hi hi ... glaub's, glaub's, daß der Fahna 'm Pfarrer g'fallt, hi hi ... er is scho schön.

BURGL wirft die Girlanden in den Korb. Wie, Vater? Laß mi aber sehen ... Ah, der is schön, der muß viel Geld kost't haben.

LORENZ der Seppl die Leiter hält. Mehr schon, als ihr euch denken könnt's.

SEEHANSELE höhnisch. Der Herr Posthalter hat's halt.

SEPPL. Und wenn 's der net hat, nacher hat's der Herr Rettinger.

LORENZ ärgerlich. Schlag deine Nägel ein, daß der Spruch net 'runterfallt.

SEEHANSELE wieder am Tische links vor dem leeren Maßkrug. Vom Herrn Rettinger mag der Lorenz halt nix wissen.

SEPPL lachend. Scheint net.

LORENZ. Lach net so dumm, schau g'scheiter nach, ob 's fest halt da droben.

SEPPL. Es werd scho halten, mein i.

SEEHANSELE. Wenn 's net halt, fallt 's eh wieder runter!

LORENZ. Ja, war mir scho recht!

SEEHANSELE. Liegt was d'ran, wenn 's 'm Stadtfrack auf 'nicht Kopf haut?

LORENZ. Geh, damischer ... Seppl, mach, daß d' runterkummst, i mag nimmer länger dastehen.

BURGL. Na, is der Fahnen schön!

LORENZ zu Seppl, der herabgestiegen ist. So, und jetzt trink aber Bier. Er hält ihm den Krug hin.

SEEHANSELE. Ja, bal ans da war!

LORENZ. Habt's keins mehr? No, nacher b'stelln wir halt a neu's, beim Posthalter kommt 's auf a Maß mehr oder weniger net an.

SEPPL. Du mußt 's ja wissen, bist ja fast selber der Herr im Haus.

LORENZ geschmeichelt. No, des bin i grad net.

SEEHANSELE. Wir glauben dir 's scho'!

LORENZ. Aber a Maß derf i scho no b'stelln ...

SEEHANSELE. O mei, 'n Banzen, du darfst ja all's.

LORENZ lacht. Geh' nein, Burgl, bring eine her, oder na, bring glei zwei, bring glei drei Maß, brauchst bloß z' sagen der Lorenz hat 's b'stellt.[711]

SEEHANSELE. Der Frau Posthalterin ihr Allerliabster.

LORENZ lachend die Hand erhebend. Ah, halt dei ...! Burgl rechts ab. Größere Pause.

SEEHANSELE. Ja, ja, die Frau Posthalterin –

SEPPL. Und der Herr Posthalter –

SEEHANSELE. Dös san Herrschaften.

LORENZ. Sell braucht's aber gar net so höhnisch z' sagen, was haben s' enk denn tan?

SEEHANSELE. Nix haben s' mir tan.

LORENZ. No ja, nacher seid's a net so griesgrami, jetz kommen lustige Tag.

SEPPL. I mach 'n Schädel, wie i mag.

LORENZ. Aber spötteln sollst net alleweil über die Leut, die uns was z' verdienen geben.

SEPPL. A schöner Verdienst, des Theaterspielen! I pfeif dir drauf, auf die ganz Komödi pfeif i.

LORENZ. Brauchst ja net mitspieln, zwingt di ja kei Mensch.

SEPPL. Bal i a rechtschaffene Arbeit hätt', kriaget mi a keiner da nauf auf den Pamperlkasten.

SEEHANSELE. Mi a net.

LORENZ. Aber tragen tut die G'schicht halt do was, ha?

SEPPL. Der Mensch muaß leben, des is der Fluch.

SEEHANSELE gewichtig. Ja, ja!

LORENZ. Ah, was! Leben und leben lassen, sagt der Posthalter.

SEEHANSELE. Ha, der Posthalter, der sagt gar viel, der tuat si' leicht, der hat jetz' 's Komödispieln eing'führt im Dorf und stellt uns als ang'malte Tropfen da 'nauf, und er selber, er sauft Schampanija mit seine Stadtfreundeln.

LORENZ. Und du ärgerst di, weil er di net eing'laden hat dazu!

SEEHANSELE. Mei Liaba, i hab selber Schampanija trunken und hab' n a selber zahlt. I war der größte Bauer weit und breit, i bin sogar scho amal vierspänni g'fahrn auf München eini.

LORENZ. Aber verkracht bist a dabei, samt die vier Roß und samt 'n Schampanija.

SEEHANSELE. Weil mi die Menschheit, die miserablige, elend hat sitzenlassen.

LORENZ. So, deswegen?

SEEHANSELE. Ja, deswegen! Zu mir is kei Herr Rettinger kommen, der mir meine Schulden zahlt hätt, wie zum Posthalter.

LORENZ schnell. Stad bist d'!

SEEHANSELE. So ein', wenn i g'habt hätt, nacher hätt mei Burgl[712] no' woaß Gott wen heiraten können, und brauchet jetz net mit 'm Seppl 'rumzieh'n.

SEPPL. I bin enk wohl net guat g'nug, ha?

SEEHANSELE. A was, i hab nix g'sagt, aber, wenn i dran denk an die Zeit, wie s' mir mitg'spielt hab'n, alle die schuftigen Kerl, nacher könnt i, nacher wollt i ... Er ist zusammengefahren, weil er Kederbauer, Mutzenbauer und den Mohrenwirt unter der Verandatür gewahrt. ... nacher ...

LORENZ. No, nacher?

SEEHANSELE hat sich erhoben, immer den wütenden Blick auf Kederbauer geheftet, der mit seinem Bruder nach vorn kommt. Z'sammhaun könnt i an jeden, der beitragen hat zu mei'm Unglück.

KEDERBAUER sehr ruhig zu den anderen. Ist der Posthalter net da?

LORENZ. Na, aber er werd bald wiederkommen.

MOHRENWIRT setzt sich an den Tisch rechts, auf dem die Fahne ausgebreitet liegt. Also warten wir. Kederbauer und Mutzenbauer setzen sich zu ihm.

SEEHANSELE immer mehr erregt, kommt zwei Schritte Kederbauer näher. Was i g'sagt hab, z'sammhaun könnt i so an, da sollt 's mir auf a paar Jahr Zuchthaus net ankommen.

MOHRENWIRT. Was hat denn der Kerl?

MUTZENBAUER. Hi, hi, hi, der Seehansele!

LORENZ. Was willst denn? Es tuat dir ja neamd was an!

SEEHANSELE. Hab a gar koa Angst, aber andre müssen Angst habn vor mir, andre, die kei so guats Gewissen habn.

MOHRENWIRT. Jetz, der is gut troffen.

SEPPL. Geh, Vater, oes habt's ja an Rausch!

SEEHANSELE. Von dene paar Maß? I kann no guat gehn und kann dem da fest in d' Augen glotzen.

KEDERBAUER barsch und ohne sich zu rühren. Was willst du?

SEEHANSELE. Anschaug'n möcht i di amal beim Tag, denn damals in der Nacht, woaßt scho, wann i moan, da hab i di net recht g'sehn, weilst a Larven ang'habt hast und n' falschen, langen Bart.

KEDERBAUER. Wann?

SEEHANSELE. In dera Nacht, wo du mir – Laut schreiend. – 's Haberfeld trieben hast!

KEDERBAUER fest. Wer sagt des?

SEEHANSELE. I sag dös, du bist der Habermeister von der ganzen Gegend.[713]

KEDERBAUER. Des muaßt d' mir beweisen.

SEEHANSELE. Oh, bal i's nur könnt, bal i 's nur könnt!

KEDERBAUER. Ja, des is 's eben.

SEEHANSELE. Aber du bist 's ... du bist 's do g'wesn, und seit dera Zeit verfolgt mich 's Unglück.

KEDERBAUER. Hab i dei Geld verputzt?

SEEHANSELE. Haberfeld hast mir trieben!

KEDERBAUER. Des hat a jeder und koaner tan.

SEEHANSELE. Aber du warst der Anführer, und i möcht di zum Dank in's Zuchthaus bringen, i möcht di. ... Burgls Kind ist von der Bühne herabgefallen und schreit mörderlich, alle blicken zurück.

SEEHANSELE wütend zu Seppl. Geh, hau dem Malefizbankert a paar runter!

SEPPL zerrt das weinende Kind nach vorne. Bist net stad, meinst net – daß d' stad bist, wart i komm dir!

BURGL erscheint hastig an der rechten Tür mit drei Krügen. No, was gibt's denn scho wieder?

SEEHANSELE. Paß auf dein Pamsen auf und laß 'n net so rumschiab'n! Er setzt sich auf seinen alten Platz und blickt unausgesetzt zum anderen Tische hinüber. Dabei trinkt er viel und hastig.

BURGL. Bal i a Bier hol, des machst scho guat, Vater.

SEPPL. Hättst 'n halt mitg'nommen! Des verfluchte Geschrei! 'n ganzen Tag muß ma' 's hören, von in der Fruah bis auf d' Nacht, bal ma drei so Pamsen hat und bal der ein' mehr schreit, wie der ander!

LORENZ spöttisch. Ja, Seppl, warum hast aber a soviel g'arbeit im Weinberg des Herrn!

SEPPL. A was, laß mir mei Ruh, der verdammte Spektakel!

BURGL führt das Kind weg und schiebt es zur Bühnentür hinein, dann kehrt sie zum Tische links zurück.

MOHRENWIRT bissig. No, des wird jetzt alles anders und besser, wenn erst einmal das schöne Findelhaus vom Herrn Posthalter auf der Gregoriwiesen steht.

LORENZ lachend. Natürli, da kann er alle seine drei Sprößling unterbringen, nacher hört und sieht er nix mehr davon.

MUTZENBAUER lacht stumpfsinnig. Hi, hi, hi, hi. Da ... da werd's Kinder geben im Dorf.

MOHRENWIRT. Die Buabn und Madeln waren ja dumm, wenn's net alle Jahr Zwilling' b'stellen tat'n.[714]

SEPPL. Ah, hörts auf, i will nix mehr wissen.

LORENZ. Recht hast, Seppl, der Mohrenwirt muaß a net gar so anzüglich auf des Findelhaus werden, er hat kei Geld dafür hergeben, der Posthalter is so splendid g'wesen.

KEDERBAUER. Oder noch a anderer.

MOHRENWIRT höhnisch. Aus München.

MUTZENBAUER lacht wieder stumpfsinnig.

MOHRENWIRT. Des müaßt ma net spannen!

LORENZ. Der Posthalter tuat's amal stiften, und damit is ferti.

KEDERBAUER. Na, ferti is no net, denn andre Leut haben da aber no mitz'reden.

LORENZ. Wer hat mitz'reden?

KEDERBAUER. Vor allem amal die G'meinde.

LORENZ. De gibt 'm Posthalter d' Wiesen.

KEDERBAUER. Wir Bauern, wir reden aber da no a Wort drei, vor allem i.

LORENZ. Du?

KEDERBAUER. Ja, i! I red für die halbete G'meind und a für mein' Bruader, denn der werd z'erst ruiniert durch den Schwindel mit der Gregoriwiesen.

LORENZ. Wie leid't denn der an Schaden, wenn der Posthalter da nunter a Findelhaus baut?

KEDERBAUER. Des sogenannte Findelhaus schädigt 'n net, aber was der Posthalter sonst no anbaut, wenn er amal die Plätz hat, des ruiniert mein Bruader.

MUTZENBAUER. Ja, ja, ja ... des ... des ... ruiniert mi, ha, ha, ha!

LORENZ. Was soll denn der Posthalter no viel hinbauen?

MOHRENWIRT. Des wird er wohl wissen.

KEDERBAUER. D' Gregoriwiesen is gar groß, da geht viel 'nauf.

MOHRENWIRT. Und wegen 'm Findelhaus allein wird er die Gregoriwiesen net kaufen.

KEDERBAUER. Des macht er kei'm Kuckuck weis.

MUTZENBAUER. Hi, hi, kei'm toten Hund.

MOHRENWIRT. Wir wollen uns amal nach 'm Jahr sprechen, da wer'n wir a Mordshotel da drunten sehn.

KEDERBAUER. Und dann is mei'm Bruader sei Anwesen, des an die Gregoriwiesen angrenzt, einfach kaputt und verbaut.

SEEHANSELE. Da freu i mi nacher, bald a amal oaner von enk zwoa drinsitzt, Kederbauer.

MOHRENWIRT. De wehren si schon, du alter Süffling du, es gibt[715] scho no Bauern im Dorf, die's no net ganz geduldi mit anschaugen, daß Hochwürden Herr Pfarrer und der ganze Magistrat die Gemeindeplätz einfach loshauen wollen für a Schandgeld.

KEDERBAUER. Und daß 's Findelhaus 'n Namen für die feine G'schicht hergeben muß.

LORENZ. Ja, was wollt's denn eigentlich nacher?

KEDERBAUER. Wir wolln 'n Posthalter fragn, ob de Rederei wahr is, de im Dorf geht.

LORENZ. Was für a Rederei?

KEDERBAUER. Daß ihm die Gemeinde d' Gregoriwiese, de unser wertvollster Gemeindeplatz in der besten Lag' is, um 'n Spottpreis verkaufen will.

MOHRENWIRT. Und weil mi des a interessiert, hab i die zwei begleit't.

LORENZ. Da soll der Kederbauer zum Pfarrer oder zum Bürgermeister gehn, da kriagt er Auskunft.

KEDERBAUER. Die wollen nix wissen, da war i schon lang.

SEEHANSELE mit etwas schwerer Zunge. Und bist abg'fahren, dös freut mi, Kederbauer, sixt, dös freut mi.

LORENZ. Und beim Posthalter fahrt er a ab! Dafür steh' i.

SEEHANSELE. Freili fahrt er ab.

KEDERBAUER. Des wolln wir sehn.

LORENZ. Ich garantier' dir dafür und ganz recht g'schieht's dir, wenn d' abfahrst. Der Posthalter tut alles mögliche für uns, er laßt a Geld aufgeh'n, er laßt Theater spiel'n, jetzt hat die Frau Posthalterin wieder de großartige Fahnen g'stift.

MOHRENWIRT. Die Fahnen, das is erst 's rechte.

KEDERBAUER. Die Frau Posthalterin als Fahnenpatin is eh scho gut.

MUTZENBAUER. Und der Herr ... der Herr Rettinger daneben ... ha ... ha ...

LORENZ. Ah, du alter Troddel, mit dir is net z' reden, du verstehst ja net, was uns Geld eingeht durch die Leut!

KEDERBAUER. Haben wir ebba was davon?

LORENZ. Wohl haben wir was! Fremde kommen zu uns rein, die Anwesen steigen im Preis. Ja, und was i no' g'hört hab'! Unser Theater macht a Reis' um die Welt, nach Chicago, nach Paris und überall hin, bal 's amal besser bei'nander is.

KEDERBAUER. Solche Spassetteln gehn uns hiesige nix an.

LORENZ. Bin i am End net von hier?[716]

KEDERBAUER verächtlich. Du bist koa Bauer mehr, du bist a halbeter Stadtfrack.

LORENZ eher geschmeichelt. Kannst am End recht haben, will so nix mehr wissen von dem Nest. I will lusti sein und will leben, i kümmer' mi nix um euern ganzen Krempel, und, gelt, – Zum linken Tische. – oes macht's es grad so?

SEEHANSELE. Grad so mach ich's.

LORENZ. Jetzt g'fallst mir wieder, Seehansele. Halt nur fest zum Posthalter und laß di net irrmachen. Durch den Mann kannst dei ganz' Geld wiederkriegen. Wart, i laß a neu's Bier bringen, der Seppl hat so leer, Burgl a, wir trinken und trinken und werden alle miteinander no' große Künstler. Hurra, ha, ha, ha. Eilt zur Verandatür. Rosl, Rosl, a Bier her, a Bier her! Wieder zu den andern. Köpf in d' Höh, hat unser Oberst beim Militär g'sagt und lusti und lusti und alleweil fidel, – Lachend. – des hat er freili net g'sagt, ha, ha, ha, ha. No', wo bleibt denn die Bedienung, he, Rosl, Rosl, he, was is denn?

ROSL kommt eilig von rechts angerannt. Was meinst denn du, daß d' so schreist, b'soffener Kerl?

LORENZ theatralisch, aber immer mit Anflug von Dialekt. Rosl, umarme mich, ich liieebe dich!

ROSL. Geh, spinnender Tropf, sei stad! Drunten vor der Veranda stehen Fremde bei der Posthalterin.

LORENZ. So, laß sie hereinkommen und an meinem Busen ruhen!

ROSL stößt ihn weg und geht zum Tisch links. Wieviel Maß kriegst's ös?

SEEHANSELE. Soviel 's halt 'm Posthalter leid't.

LORENZ sehr geschäftig. Vier Maß bringst und schaugst bald wieder nach, ob's net leer sind. Wieder theatralisch, indem er sie zur rechten Türe geleitet. Gelt, Rosl, geliebtes Wesen? Er zwickt sie in die Hüften, daß sie laut quiekst und eilends hinausstürmt. Er schaut ihr nach, lacht unbändig und haut mit der Hand auf den Schenkel. So was! des gibt a Hetz, na, des gibt a Hetz! Wie vom Schlage getroffen taumelt er zurück und verändert seine Stellung, da ihm plötzlich die Wehrmüllerin, ein schwarzes Kopftuch übergeworfen, entgegen tritt. Was is! Was suchst du da?

WEHRMÜLLERIN. Di suach i.

LORENZ. Zu was?

WEHRMÜLLERIN. Zu der Arbeit will i di hab'n.

LORENZ. I hab jetzt koa Zeit.[717]

WEHRMÜLLERIN. Du hast koa Zeit? und draußen steht d' Mühl scho' drei Tag, die Bretter sollen längst abg'liefert sein und du ...

LORENZ. Hol 'n Hannes vom Jochmüller rüber, der hilft dir.

WEHRMÜLLERIN. 'n fremden Menschen? Und wie soll i 'n denn zahl'n? I hab ja koa Geld mehr im Haus, i woaß ja net, was i anfangen soll.

LORENZ. Ach mach, was d' willst!

WEHRMÜLLERIN. Des is aber do a Schand und a Spott! 'n Hanswursten kannst machen da herin, aber arbeiten willst nix, du nixnutziger Mensch, du!

SEEHANSELE. Au weh, Lorenz, jetzt hat's di, ha?


Alle lachen mit Ausnahme Kederbauers und Mutzenbauers. Letzterer glotzt stumpfsinnig vor sich hin.


ROSL die während der letzten Worte eingetreten ist und das Bier gebracht hat. Jetzt hockt er eahm.

MOHRENWIRT. Das großartige Reden von vorhin hat er a bissel verlernt.

LORENZ. Was? 'n Finger ließ i mir abhacken, eh, daß i nachgeben tat.

WEHRMÜLLERIN. Und bal wir betteln müssen?

LORENZ. I brauch' net betteln gehn, da derfst kei Angst net habn.

SEEHANSELE. Für was war denn d' Frau Posthalterin da?

WEHRMÜLLERIN. Hast 's g'hört, was der g'sagt hat? So red't scho 's ganze Dorf von dir.

LORENZ. Jetz wird 's mir aber z' dumm.

WEHRMÜLLERIN. Mit die Finger deuten's scho auf di!

LORENZ. Hör' auf, sag i.

WEHRMÜLLERIN. Des bal dei' seliger Vater derlebt hätt, – Mit geballter Faust. – der hätt di derschlagen.

LORENZ. Mei Ruh will i habn.

WEHRMÜLLERIN. Heim gehst, sag i, zum letzten Mal.

LORENZ sehr roh. Bal i amal net mag, na mag i net.

WEHRMÜLLERIN fällt auf einen Stuhl. Oh, des is entsetzlich, jetzt, jetzt kommt – Sie geht zum Weinen über. – der Gerichtsvollzieher ins Haus und versteigert des ganze Anwesen ...

LORENZ gereizt auf und ab gehend. Fang 's Flennen a no an.

WEHRMÜLLERIN. Und mi schmeißen 's auf d' Straßen 'naus.

LORENZ. Weißt was? So verdirbst mir höchstens mein' Humor, hast mi verstanden? Pause. Mein' Humor verdirbst mir! Er geht noch erregter herum, sein Blick fällt auf Kederbauer, der[718] die ganze Szene sehr aufmerksam verfolgt. Brauchst mi gar net so dumm anz'schaugn, Kederbauer, di geht 's nix an. Willst was sagn?

KEDERBAUER sehr ruhig. I sag gar nix.

LORENZ. Des is a dei Glück, es geht neamd'n was an, kein Menschen geht 's was an und überhaupts, des paßt mir net, daß du – Zur Wehrmüllerin. – mi da so stellst, denn i laß mir nix g'falln, i bin majorenn.

WEHRMÜLLERIN steht auf. I will nix mehr von dir, i geh scho.

LORENZ. Is a 's beste.


Posthalterin, Fr. Wanninger mit Tochter, Fr. Specht und Frl. Schaitzach erscheinen langsam an der Verandatüre. Posthalterin trägt dunkles Hauskleid mit cremefarbener, gestickter Schürze und Schlüsselbund. Die anderen Damen in Straßentoilette mit Hut und Sonnenschirm.


WEHRMÜLLERIN. I geh, aber büßen muaßt's noch, was du mir antan hast, auf der Welt und in der Ewigkeit. Sie eilt durch den Ring der Eintretenden hastig nach rechts hinaus, alle sehen ihr erstaunt nach.

FRAU WANNINGER. Ach, die Alte ist gut!

FRAU SPECHT. Wer war denn das?

POSTHALTERIN ist zu Lorenz geeilt. Was is denn da los g'wesen? Schamt 's euch denn gar net?

LORENZ macht eine ärgerliche Bewegung.

SEEHANSELE. Net viel war los, der Lenz hätt bald sei Mutter g'haut.

POSTHALTERIN sehr schnell. Natürlich der Lorenz wieder! Und die verrückte Müllerin hat gar nix getan, kann mir 's schon denken. Heftig zur gaffenden Rosl. Mach, daß d' in d' Schenk kommst! Rosl rechts ab.

FRAU SPECHT tritt etwas vor. Wir stören wohl noch in der Prob'?

POSTHALTERIN dreht sich verlegen um. In ganz verändertem Tone. Oh, nein, die hat ja noch gar net ang'fangt.

FRAU WANNINGER gleichfalls mehr nach vorne. Hat no gar net ang'fangt? Was? Plötzlich in lautes Lachen ausbrechend. Ah, dann is sehr gut, sehr gut.

FRAU SPECHT. Warum lachen S' denn so, Frau Rentbeamte?

FRAU WANNINGER. I muß so lachen, denn denken S' Ihnen, ich hab', – Neues Lachen. – ich hab' in meiner Dummheit des alte Weiberl, was da grad 'naus is, für eine, – Sie lacht wieder.[719] – für eine von den Schauspielerinnen g'halten, so natürli hat sie 's g'macht. Ha, ha, ha, ha.

FRAU SPECHT. Ja gelten S', Frau Rentbeamte, mir is fast grad so 'gangen, i hab g'meint, es war vielleicht die – die Heldenmutter, weil's gar so von der »Ewigkeit« g'redt hat. Beide lachen fürchterlich.

POSTHALTERIN. der diese Unterhaltung sichtlich fatal ist, zieht die Eingetretenen mehr nach vorne: Es ist mir sehr ungenehm, daß die Damen grad so was haben sehen müssen, aber ...

FRAU WANNINGER. Oh, bitte!

POSTHALTERIN. Aber die Müllerin ist eine ganz ordinäre Person, die keinen Anstand und kein Benehmen hat.

FRAU SPECHT. Was Sie sagen?

POSTHALTERIN. Sie hat kein' Funken von Dankbarkeit für das viele, was wir ihrem Sohn tun.

FRAU WANNINGER. Es gibt halt scho recht garstige Leut auf der Welt, net wahr, Frau Spezialkassier?

FRAU SPECHT. Na, und ob.

POSTHALTERIN. B'sonders hier ... aber, bitte, wollen die Damen denn nicht die Fahne betrachten? Sie kommt mit den Damen ganz nahe heran und bemerkt den Mohrenwirt, der grüßt. Ah, der Herr Moosreiner! Was verschafft uns denn die sonderbare Ehr?

MOHRENWIRT erhebt sich. I will Sie net stören, i hab' 'nicht Posthalter g'sucht.

POSTHALTERIN spitzig. Den finden 's entweder im Keller oder auf 'm Speicher, oder im Dorf! Man hat so viel zu tun in so 'm großen Hauswesen, b'sonders, wenn ma' aber Fest arrangiern muß.

MOHRENWIRT bissig. Kann mir 's denken, Frau Posthalterin. Werd' 'n Herrn Gemahl scho' finden. Habe die Ehre! Zu Kederbauer und Mutzenbauer: Macht's weiter!

MUTZENBAUER der sich nicht erheben will. Aber i muß 'nicht Posthalter no' ...

KEDERBAUER. Steh auf, wir kriag'n 'n scho'.


Alle drei gehen langsam dem Hintergrund zu und dann durch die Verandatür ins Freie.

Die Damen, mit Ausnahme der Posthalterin, sind während der Szene an die Fahne getreten und haben ihr Entzücken durch lebhafte Gebärden ausgedrückt.
[720]

POSTHALTERIN wendet sich zum linken Tisch: Und was wollt's ihr da? Ihr habt's g'nug z' tun auf'm Theater oder habt's euere Rollen z' lernen. Seid's so freundli und richt's euch her, der Herr Aktuar wird heut' abend a strenge Prob' halten.


Die Angeredeten und Lorenz verziehen sich während der folgenden Szene mit ihren Krügen nach rückwärts und verteilen sich auf der Bühne, wo sie sich zu schaffen machen. Seehansele und Lorenz nehmen erst langsam die Leiter ab und tragen sie zur linken Türe hinaus. Dann kommen sie wieder und schlendern auf der Bühne herum, wo sie in die rechte, vordere Ecke ein Tischchen und dahinter einen Stuhl stellen. Seppl und Burgl ergreifen kurz vor dem Auftreten des Posthalters den Korb mit den Tannengewinden und entfernen sich damit durch die Bühnentüre. Lorenz folgt ihnen später durch die gleiche Türe.


FRAU WANNINGER ganz begeistert. Nein, nein, nein, so was! Ach, Frau Posthalterin, die Fahne is zu schön!

FRAU SPECHT. Wunderbar!

FRAU WANNINGER zu Fräulein Schaitzach, die immer die Betrachtende und Kühle spielt. D' Fräul'n Marie wird's natürli eh' scho' g'sehn hab'n.

FRÄULEIN SCHAITZACH sehr ruhig. Bis jetzt noch net.

FRAU WANNINGER. Ja, schaun's nur! Die Stickerei! Wally, paß auf! Den heiligen Vincentius hat ja d' Frau Posthalterin selber g'macht.

WALLY. Was?

FRAU SPECHT. Gelt, da schauen's, Fräulein Wally? Nehmen's Ihnen d' Frau Posthalterin nur zum Muster.

FRAU WANNINGER. Jetzt muß i aber scho' recht unb'scheiden fragen. Frau Posthalterin! Was mag die Fahne wohl kost' haben?

POSTHALTERIN geschmeichelt. Davon soll ma' ja eigentlich net reden, weil's doch für so 'n hohen Zweck is.

FRAU WANNINGER. Nein, Sie haben ganz recht, man soll eigentlich net davon reden, aber natürlich, 's interessiert ein' halt doch! net wahr, Frau Spezialkassier?

FRAU SPECHT. Oh, freilich, interessiert 's ein'.

POSTHALTERIN. Im strengsten Vertrauen kann ich's ja sagen, die Fahne kommt uns auf rund zwölfhundert Mark.


Das Sonnenlicht vor der Verandatür läßt etwas nach. Es beginnt sehr allmählich zu dämmern, doch bleibt die Szene bis zum Auftragen der Lampen immer noch hell und genügend erleuchtet.
[721]

FRAU WANNINGER. Ja, gelt, Frau Spezialkassier?

FRAU SPECHT. Des is a schön's Geld, des will verdient sein, nun, ich mein aber auch die Leut hier müßten der Frau Posthalterin doch auch so dankbar sein, daß sie's ordentlich auf die Händ' tragen.


Alle setzen sich, Wally stellt sich hinter den Stuhl ihrer Mutter und zwar bald auf den rechten, bald auf den linken Fuß.


POSTHALTERIN. O mein, die Leut sind hier gar net so dankbar, gelten's, Fräul'n Marie? Wenn man net beständig den frommen Zweck im Aug hätt!

FRAU WANNINGER. Die Leut sind halt zu roh.

POSTHALTERIN. Das is 's ja! Von 'm G'fühl is da gar keine Red'.

FRAU SPECHT. Freilich, wenn man so was sieht, wie da vorhin.

POSTHALTERIN. Gelten's? Und was da außerdem noch für Sachen passieren!

FRAU WANNINGER. Was denn noch für Sachen?

POSTHALTERIN neigt sich näher heran. Es sind erst zwei Jahr her, daß wir von München da herausgezogen sind, aber was wir all's mit ang'sehn haben, da machen Sie sich gar keinen Begriff.

FRAU SPECHT sehr laut. Ah!

POSTHALTERIN. Sehen S' zum Beispiel nur das Mädel dort an, – Sie deutet verstohlen auf Burgl. – die is dem Burschen, der mit ihr red't, sei Geliebte.

FRAU WANNINGER. Brauchst net zuz'hören, Wally!


Wally schlenkert zum anderen Tisch hinüber.


POSTHALTERIN. I bitt um Entschuldigung, i hab ganz vergessen, aber sehen Sie, – Noch mehr in den Kreis gerückt. – die Person hat von dem Menschen drei Kinder.

FRAU WANNINGER. Ja, ich bitt Ihnen!

FRAU SPECHT. Hören S' auf!

POSTHALTERIN. Und so sind s' alle hier.

FRAU SPECHT. Ja, was haben denn dann die Leut hier für Grundsatz'?

POSTHALTERIN. Gar keine!

FRAU WANNINGER. Jetzt so was!

POSTHALTERIN. Drum sind wir eben auf die Idee gekommen, das Findelhaus zu bauen, um wenigstens etwas zu tun.

FRAU WANNINGER sehr weich. Oh, das ist sehr edel von Ihnen.

FRAU SPECHT. Wenn 's aber so zugeht, dann darf man sich freilich net wundern, wenn die Leut hierzuland kei G'fühl haben und gar kei Dankbarkeit kennen.


[722] Posthalter ist mit Rettinger und Beck während der letzten Worte rechts eingetreten. Er bleibt einen Augenblick stehen und gestikuliert heftig mit dem

ihm nachfolgenden Mohrenwirt. Ganz im Hintergrunde erscheinen noch Kederbauer und Mutzenbauer. Rettinger und Beck tragen elegante Touristenkostüme.


POSTHALTERIN hat die Eintretenden noch nicht bemerkt. Man verlangt ja schließlich kei Dankbarkeit, aber man sagt ja nur ...

FRAU WANNINGER, FRAU SPECHT zugleich. Natürlich, man sagt ja nur!

POSTHALTER kommt heftig nach vorne. Bedaure, Herr Moosreiner, bedaure!

POSTHALTERIN steht sehr schnell auf. Ach, unsere Herren! Sie rollt die Fahne mit Hilfe der Damen schnell zusammen und legt sie auf den hinteren Tisch.

MOHRENWIRT. Aber Sie können doch net ...

POSTHALTER. Ich hab' Ihnen dreimal mindestens g'sagt, daß ich mich um Ihren Einspruch gar nix kümmere. So! jetzt können Sie tun, was Sie wollen.

MOHRENWIRT. Dann muß ich mir eben anders zu helfen suchen.

POSTHALTER. Bitte! Ich möcht gern seh'n, ob Sie mir ein' Stein in Weg werfen können.

MOHRENWIRT. Aber, i will ja nur wissen, was Sie mit dem Platz anfangen.

POSTHALTER. So eine Zudringlichkeit!

MOHRENWIRT. Oho!

POSTHALTER. Ich sag Ihnen einfach gar nix und tu, was i will.

MOHRENWIRT. Gut, Posthalter, 's weitere werden wir sehen. Er dreht sich wütend um und begibt sich zu Kederbauer und Mutzenbauer, mit denen er sich noch einen Augenblick leise unterhält, um dann durch die Verandatüre schnell abzugehen.

POSTHALTER noch ziemlich erregt. I bitt um Entschuldigung, meine Damen, aber ...

FRAU SPECHT. So kleine Aufregungen!

POSTHALTER. Der Mensch muß sich immer ärgern.

FRAU WANNINGER. Wie das halt so geht ...

POSTHALTER. Natürlich! Aber jetzt darf ich die Herrschaften endlich bekannt machen: mein Freund, Herr Großhändler Rettinger, Herr von Beck, beide eben aus München zu Fuß angekommen, Frau Rentbeamte Wanninger, Fräulein Tochter, Frau Spezialkassier Specht, unsere werten Sommergäste.[723] Die Fräul'n Marie kennt die Herren ja ohnehin schon von früher.

FRÄULEIN SCHAITZACH nicht ohne Bedeutung. O ja!

FRAU WANNINGER nach einer Pause, während der man sich setzt. G'hört hab ich schon sehr viel vom Herrn Rettinger.

RETTINGER. Hoffentlich nur Gutes.

FRAU WANNINGER. Ja, was denn sonst? d' Frau Posthalterin kann ja net g'nug erzählen von Ihnen.

RETTINGER. So? Kleine Pause. Die Damen sind schon lange hier?

FRAU WANNINGER. Scho bald drei Wochen.


Rosl trägt auf einem Servierbrett drei Flaschen Weißwein mit mehreren Gläsern zur rechten Türe herein und entfernt sich wieder durch dieselbe.


POSTHALTER beginnt einzuschenken.

FRAU SPECHT. Müssen jetzt leider bald wieder 'nein in d' Stadt.

HERR VON BECK. Aber das Fest verschönern Sie doch noch durch Ihre Gegenwart.

FRAU SPECHT. Ja, ja.

FRAU WANNINGER. Das dürfen wir grad noch mitmachen.

RETTINGER zu Wally. Das hübsche Fräulein doch auch?

FRAU WANNINGER sehr angenehm berührt. Meine Tochter? Freilich, die bleibt immer bei mir.

HERR VON BECK. Aber sicher nicht fürs Leben, dazu ist das Fräulein viel zu reizend.

RETTINGER. Ja, entschieden.

WALLY lacht dumm.

FRAU WANNINGER lächelt glückselig. Oh! oh! oh!

POSTHALTERIN die etwas unruhig zugehört hat. Aber jetzt trinken wir einmal, meine Herrschaften.

RETTINGER. Jawohl. Trinken wir, uns schmeckt ein guter Schluck.

HERR VON BECK erhebt sein Glas. Unsere Huldigung zu Füßen der Damen, sie leben hoch, hoch, hoch!

POSTHALTER UND RETTINGER. Hoch, hoch, hoch!

FRAU WANNINGER anstoßend. Zu gütig, zu gütig von dem Herrn.

POSTHALTER. Ja, der Herr von Beck!

RETTINGER. Der ist unbezahlbar.

POSTHALTER. No, du könnt'st ihn am End scho noch einlösen! Mein Freund nämlich, der arme Mann, nimmt außerdem, daß er Großhändler und Reserveleutenant ist, auch noch die beneidenswerte Stell' von 'm Millionär ein.[724]

FRAU SPECHT. Von 'm Millionär?

RETTINGER erhebt sich ein bißchen vom Stuhle, wichtig. Ich muß bemerken, daß ich selbst nie mit so was renommieren würde.

FRAU WANNINGER. So jung und schon Millionär? Nun, da darf man sich freuen, daß das Geld amal in würdige Händ' gekommen ist.

RETTINGER geschmeichelt. Bitte, bitte.

FRAU WANNINGER. Die Frau Posthalterin hat mir schon oft erzählt, welch guten Gebrauch der Herr Rettinger von sei'm Geld macht.

RETTINGER. Die Frau Posthalter? So?

FRAU SPECHT. Ja, bei der gelten der Herr Rettinger schon alles, soviel ich merk.

FRAU WANNINGER. Und ob!

FRAU SPECHT. Wenn man kommt, immer is halt die Red' von dem liebenswürdigen Herrn Rettinger.

WALLY platzt heraus. Das kann sogar ich versichern.

RETTINGER. Wirklich, mein Fräulein? Nun, wenn es so schöne Lippen sagen ...

FRAU WANNINGER. Zu aufmerksam!

POSTHALTERIN sehr unruhig. Aber wo haben Sie denn 'nicht Herrn Aktuar lassen?

FRAU WANNINGER. 'n Herrn Götzensperger?

RETTINGER. Er kommt mit dem Abendzuge an.

HERR VON BECK sieht auf seine Uhr. Das kann nicht mehr lange dauern.

FRAU WANNINGER. Net wahr, des is der bekannte Dichter, der immer die netten Gebirgsstück' schreibt?

POSTHALTERIN. Freilich, derselbe!

POSTHALTER laut und wichtig. Ja, der hat's Gebirgsvolk erfaßt, wie noch nie einer!

FRAU WANNINGER. I hab scho amal von ihm im Viktoriatheater a Stück g'sehen, aber wie's g'heißen hat, weiß i nimmer.

RETTINGER. Vielleicht weiß es das Fräulein?

FRAU WANNINGER. Meine Tochter? Nein, die darf no net ins Theater, b'sonders net ins Viktoriatheater.

POSTHALTERIN. Vom Viktoriatheater bringt uns der Herr Aktuar heut auch drei Künstlerinnen mit, die morgen – Auf die Bühne deutend. – da beim Prolog auftreten.

FRAU SPECHT auf die Bühne deutend. Da droben?

POSTHALTER. Jawohl, unsere Mädeln sind ja dazu viel z'dumm.[725]

POSTHALTERIN. Der is so freundlich, der Herr Aktuar, der b'sorgt uns alles, sehen S', der Spruch da is auch von ihm.

FRAU WANNINGER. Was? Liest laut und langsam das Gedicht ab. Fast gerührt. Des is so schön, so einfach, so innig, des paßt so da herein, auf die Berg' und auf die ganze schöne Gegend.

KEDERBAUER hat sich mit seinem Bruder während dieser ganzen Szene am Eingang rechts gehalten. Während Frau Wanninger den Spruch liest, kommt er langsam nach vorne und knüpft sehr barsch an Frau Wanningers letztes Wort an. No, Posthalter, was is? Sollen wir no lang warten?

POSTHALTER halblaut, sehr ärgerlich über die Störung. Wer hat euch denn 's Warten g'schafft? Habt's ihr net g'hört, was i 'm Mohrenwirt g'sagt hab?

KEDERBAUER. Der Mohrenwirt geht uns nix an, wir wollen wissen, was mit der Gregoriwiesen wird.

POSTHALTER wie zuvor. 's ganze Dorf weiß scho', 's Findelhaus kommt hin.

KEDERBAUER. Sonst nix mehr?

POSTHALTER steht auf. Da is die Tür, jetzt hast höchste Zeit.

KEDERBAUER. I geh' no net fort.

MUTZENBAUER. Na ... na ... wir ... wir bleib'n no' da ... wir wollen unser Recht.

POSTHALTER. Was Recht? Wer red't da vom Recht?

MUTZENBAUER. Wir ... wir bleiben halt da.

POSTHALTER. So? Nacher laß i enk einfach naus ...

POSTHALTERIN fällt ihm ins Wort. Geh', Mann, i bitt' dich, die Herrschaften!

POSTHALTER. Pardon, meine Damen, aber eine solche Unverschämtheit is mir noch net passiert! Er läuft herum, Kederbauer und Mutzenbauer folgen ihm nach rückwärts.

FRAU WANNINGER. Was gibt 's denn?

POSTHALTERIN. Denken S' Ihnen nur, die Leut wollen net, daß wir a Findelhaus auf die wertlose Wiesen bauen.

FRAU WANNINGER. Jetzt, so was!

FRAU SPECHT. Des is nachher d' Dankbarkeit!

POSTHALTERIN. Die Gemeinde soll das Grundstück dazu abgeben und des wollen die Bauern im Dorf absolut net leiden.

FRAU WANNINGER. Ah, ah, ah!

POSTHALTERIN. Seit vierzehn Tag laufen jetzt fortwährend solche Kerl in unserm Haus 'rum und schikanieren mein' Mann.

FRAU WANNINGER. Nein?[726]

POSTHALTER kommt wieder nach vorne. Ich hab's euch zum letztenmal g'sagt, daß i mir nix einreden lass' und jetzt will i nimmer belästigt sein. So! Pause.

SEEHANSELE ist inzwischen nach vorne links getorkelt und lacht höhnisch den trotzig dastehenden Kederbauer an. Ha, ha, Freundl, bist schnell ferti wor'n?

KEDERBAUER. I bin no net ferti, und wenn i no alle Tag kommen müßt. Er geht wieder etwas zurück, Mutzenbauer folgt ihm.

SEEHANSELE ruft ihm nach. Bis wir di 'nauswerfen, daß d' n Mond für a Karussell anschaugst, ha? Alle lachen, ausgenommen Fräulein Schaitzach, die auch in den folgenden Szenen immer unbeweglich bleibt.

FRAU WANNINGER. Jetzt, so was! Wer is denn nur der lustige, alte Kerl?

RETTINGER. Ein famoser Tropf! Steht auf. Grüaß di Gott, Seehansele! Wie geht 's?

SEEHANSELE. Guat geht 's, bal i den da – Er deutet auf den im Hintergrund stehenden Kederbauer, der sich eben anschickt, mit seinem Bruder, in den er heftig hineinredet, durch die Verandatüre abzugehen. – derblecken darf! Alle lachen.

RETTINGER. Kannst ihn net leiden?

SEEHANSELE grimmig. Na, den möcht i amal umbringen.

FRAU WANNINGER. Um's Himmels willen!

FRAU SPECHT. Oh, mein Gott!

RETTINGER lachend. Oh, bitte, keine Gefahr!

POSTHALTER. Bewahre!

POSTHALTERIN. Wär net übel!

POSTHALTER. So blutige Absichten hat der Seehansele net.

RETTINGER gönnerhaft. Da geh her, Seehansele, trink ein Glas. Er gibt es ihm.

SEEHANSELE trinkt schnell aus. 'gelt's Gott!

FRAU WANNINGER. Segen 's Gott! Na, is der alte Mann nett!

POSTHALTER reicht ihm ein neues Glas hin. Da, trink bei mir a.

SEEHANSELE. I trink, wo ich 's find, – Trinkt aus. – denn – Singt. –


Trinka und singa und raufa und saufa,

Dös is ja mei' Freud, de ganz liabe Zeit.


FRAU WANNINGER. Jetzt wird er aber lusti!

POSTHALTER. O mei, der hat ja 'n Rausch, wenn er an Braumeister nur husten hört.[727]

POSTHALTERIN. D'rum leisten wir uns manchmal den Spaß und machen 'n ganz betrunken, weil er da gar so nett is.

RETTINGER gibt ihm wieder ein Glas. Da hast noch 'n Wein.

FRAU SPECHT. Zu originell is des!

SEEHANSELE trinkt und singt.


Bal mer hat a Geld

Feit si nix auf der Welt,

Und bal sie nix feit,

Hat ma alleweil a Freud!


ALLE lachen laut.

FRAU WANNINGER ganz entzückt. Na so was!

POSTHALTER. Aber ganz recht hat er.

HERR VON BECK. Meine Herrschaften, der Mann ist ein Philosoph, – Unbändiges Gelächter. – er soll leben hoch, hoch, hoch!

RETTINGER ruft mit und hält Seehansele ein neues Glas hin. Trink, trink!

FRAU WANNINGER. Na, is des lustig!

FRAU SPECHT. Wundernett, ganz wundernett!

SEEHANSELE nachdem er wieder getrunken hat.


Und dös sell woaß i g'wiß,

Daß dös schönste ja is,

A recht a stramms Madel

Mit sakrische Wadel!


Vereinzeltes Lachen.


HERR VON BECK. Psssst!

POSTHALTERIN. No aber!

POSTHALTER. So a Lied paßt sie net für an alten Kerl, der scho Großvater is.

FRAU SPECHT. Was? Großvater schon?

POSTHALTERIN. Freili, er is ja der Vater von dem Mädel.

FRAU WANNINGER. Nein?

SEEHANSELE wankt näher. Was geht enk der Großvater an? Ha?

POSTHALTER barsch. Führ di anständig auf, sing was, was man anhören darf.

SEEHANSELE glotzt ihn wie blödsinnig an, taumelt, das volle Glas in der Linken, hin und her und lacht höhnisch.

POSTHALTERIN. No, fang an!

RETTINGER. Aber was Fein's bitten wir uns aus.

SEEHANSELE singt.
[728]

Und bin i a scho alt,

I woaß, was ma g'fallt,

Im Bett bei der Nacht ...


POSTHALTERIN außer sich. Jetzt hörst auf! Herr Rettinger! i bitt Sie, geben S' ihm doch kein' Wein mehr!


Fräulein Schaitzach steht auf. Allgemeine Verlegenheit.


POSTHALTER. Meinst am End, du bist bei deine Bauern, unverschämter Mensch?

SEEHANSELE. nickt stumpfsinnig nach allen Seiten und bleibt noch eine Weile so stehen. Endlich läßt er sich auf einen Stuhl am linken Vordertische fallen. Die anderen Damen erheben sich ebenfalls und blicken unschlüssig, was sie jetzt tun sollen, herum. Peinliche Pause.

POSTHALTERIN. Nein, wie mir des z'wider is ...

FRÄULEIN SCHAITZACH spitzig. Ich hätt so grad gehen wollen.

POSTHALTERIN. Ach nein, Fräul'n Marie ...

FRÄULEIN SCHAITZACH. Ich muß zum Herrn Bruder heim.

POSTHALTERIN. Aber Frau Spezialkassier! Frau Rentbeamte!

FRAU WANNINGER immer noch unsicher. Ja, wenn d' Fräul'n Marie geht ...

FRÄULEIN SCHAITZACH sehr maliziös. Oh, bitte, wenn Sie noch gern hier bleiben –

FRAU SPECHT. Warum net gar!

FRAU WANNINGER. Wir gehen mit Ihnen.

RETTINGER. Aber wollen denn die Damen wirklich fort wegen dem betrunkenen Kerl?

POSTHALTER. Wegen dem Seehansele!


Ganz in der Ferne hört man eine juchzende Volksmenge, die langsam näher kommt.


HERR VON BECK. Das wäre doch zu schade!

POSTHALTERIN. Gehen's, Fräul'n Marie!

RETTINGER. Frau Rentbeamte!

POSTHALTER. Jetzt g'rad, wo die Prob' gleich ang'fangt hätt.


Rosl und Hies tragen eilig von rechts brennende Petroleumlampen herein.


ROSL geschäftig. Herr Posthalter, Herr Posthalter! Die Leut' kommen zu der Prob' und bringen 'n Herrn Aktuar von der Bahn.

HERR VON BECK. Nun dürfen die Damen unter keiner Bedingung mehr weg.[729]

RETTINGER. Nur über unsere Leichen!

FRÄULEIN SCHAITZACH. Bedauere, ich muß zum Herrn Bruder heim.

ROSL die eben neben ihr die Lampe befestigt. Fräul'n Marie, der Herr Pfarrer kommt ja selber mit 'm Herrn Amtsrichter grad 'n Weg rauf! Entfernt sich durch die Tapetentüre.

RETTINGER. Hurra, meine Damen! Was sagen Sie jetzt?

POSTHALTER. Jetzt wird nimmer fortgangen.


Alles eilt mit lautem »Guten Abend, Hochwürden!« zum Eingang rechts, wo eben der Pfarrer und der Amtsrichter erscheinen. Der stürmende Ring hält die Eingetretenen an der Türe fest. Man hört noch einige Begrüßungsrufe und Gelächter.

Posthalterin hat Rettinger einen stummen Wink gegeben, mit ihr nach links zu kommen, wo Seehansele immer noch am Tische kauert und blödsinnig dreinstiert. Sie stellen sich hinter dem Stuhl auf, auf dem Seehansele sitzt.


Sehr schnell.

POSTHALTERIN. Des hält' bald a schöne G'schicht geb'n mit deiner Dummheit.

RETTINGER. Da bin doch ich net dran schuld.

POSTHALTERIN. Wer denn sonst?

RETTINGER. Dein Mann hat ang'fangt.

POSTHALTERIN. Der is halt grad so läppisch, wie du. Schallendes Gelächter am Eingang.

RETTINGER. Du, gelt?

POSTHALTERIN. Sei still! Du hast auch an der Rentbeamtenstochter ganz unnötig rumpoussiert.

POSTHALTER hat beide beobachtet und geht unauffällig an ihnen vorbei. Pssst! Net so laut! Nehmt's euch in acht.

POSTHALTERIN. Nun, lassen wir's gut sein für heut, aber, gelt?

RETTINGER schiebt lachend seine Schulter kaum merklich an sie. Mußt net so eifersüchti sein! Damit wenden sich die beiden, denen Seehansele mit gläsernen Augen nachstiert, wieder zur Hauptgruppe, die sich eben unter lebhafter Bewegung auflöst. Die immer mehr angewachsene Volksmenge ist jetzt sehr nahe.

POSTHALTER schreit wie besessen. Der Herr Aktuar kommt!


Unter Juchzen und Brüllen eilen Burschen und Mädchen durch die rechte Türe in den Saal.


HERR VON BECK. Famos!

RETTINGER. Hurra, der Götzensperger!

ALLE. Hurra, hoch, hoch! Hurra![730]

GÖTZENSPERGER eilt rechts herein und betritt auf der Holztreppe das Podium, wo er lebhaft den Hut schwenkt. Ju, hu, hu, ju, ju, juhui!

ALLE antworten mit Juchzen, Schreien und Tücherschwenken.

GÖTZENSPERGER singt. Grüaß enk Gott, alle mit einander!

ALLE. Grüaß Gott, Grüaß Gott! Hurra!

GÖTZENSPERGER. Danke meine Herrschaften, danke für die freundliche Begrüßung!

POSTHALTER lachend. Bitte!

GÖTZENSPERGER. Nun gestatten Sie mir, daß ich Ihnen gleich von diesen weltbedeutenden Brettern aus unsere drei großen Künstlerinnen vorstelle, die sich unter meiner väterlichen Leitung ...

POSTHALTER. Alter Pascha! Allgemeines Gelächter.

GÖTZENSPERGER. In allen Ehren in das Gebirge begeben haben. Bitte, meine Damen, hierher. Er winkt den drei Choristinnen, die mit ihm den Saal betreten hatten, heraufzukommen.

FRAU WANNINGER. So, die sind's?

FRAU SPECHT mit Lorgnon. Die Schauspielerinnen!

FRAU WANNINGER. Jetzt gehen s' ja nauf, da sehen wir's no besser.

GÖTZENSPERGER. Erlaube mir vorzustellen, Fräulein Minna, Fräulein Hulda, Fräulein Flora, sämtlich vom Viktoriatheater in München.

DIE ZUHÖRER schreien durcheinander. Bravo, bravo, famos!

GÖTZENSPERGER. So, jetzt wollen die Herren galant sein und die Damen einstweilen hinabgeleiten, denn wir fangen sofort mit der Probe an. Posthalter, Amtsrichter und Herr von Beck geleiten die Choristinnen herab.

GÖTZENSPERGER. Aber a Bier möcht i haben zu meiner Arbeit! Er richtet sich auf der Bühne ein und nimmt von Hies einen Maßkrug entgegen. Hies rechts ab.

FRAU WANNINGER kommt mit Wally, der Posthalterin und Frau Specht wieder nach vorne. Nein, der Herr Aktuar, des is aber Mann!

FRAU SPECHT. Des Temperament!

FRAU WANNINGER. Glei fangt er z' proben an.

POSTHALTERIN. Gelt, jetzt reut Sie 's net, daß S' dablieben sind?


Spricht mit den Damen eifrig weiter.


AMTSRICHTER kommt mit Hulda, die fortwährend lacht, nach vorne links. Aber wirklich, mein Fräulein, ich besinne mich nicht mehr![731]

HULDA. Ausgezeichnet! Du, Flora, er kennt mi nimmer.

FLORA. Is wahr?

HULDA. Und i hab Ihnen glei kennt! Wissen S' nix mehr von der Kathi im Eberlbräu im ersten Stock, Rückgebäud?

AMTSRICHTER. Die Kellnerin? Das sind Sie?

HULDA. Freilich!

AMTSRICHTER. Famos!

HULDA. Erst war ich im Monachia Sängerin.

AMTSRICHTER. Und jetzt sind Sie beim Viktoriatheater?

FLORA. Da hat uns der Herr Aktuar entdeckt.

HULDA. Natürlich, wie wären wir denn sonst hieher kommen?

AMTSRICHTER. In das trostlose Nest!

PFARRER tritt gutmütig lächelnd näher. So, so? Die Herrschaften kennen sich schon?

HULDA knicksend. Freilich, Hochwürden.

FRÄULEIN SCHAITZACH ist nur mit schlecht verhaltenem Ärger geblieben. Jetzt rückt sie von rechts ihrem Bruder näher. Der Herr Bruder wird verzeihen. –

PFARRER. Was gibt 's?

FRÄULEIN SCHAITZACH. Soll ich noch länger bleiben?

PFARRER freundlich. Ja, ganz nach Belieben!

FRAU WANNINGER kommt ebenfalls näher. D' Fräul'n Marie hat eben g'meint wegen dene Mädeln ...

PFARRER. Welche Mädeln?

FRAU WANNINGER. Nun, wegen – Sie deutet auf die Choristinnen, die sich kichernd mit dem Amtsrichter unterhalten. – dene da, weil 's halt doch ...

FRAU SPECHT. Schauspielerinnen sind.


Lautes Gelächter um den Amtsrichter, weil er Hulda in die Wangen kneifen wollte.


POSTHALTERIN. Aber net wahr, Hochwürden, des macht doch nix?

PFARRER. Ach, bei so einem Fest, da geht's nicht so genau zusammen.

FRAU SPECHT. Ja, wenn Hochwürden meinen ... Neues Gelächter links.

GÖTZENSPERGER der inzwischen mit eifrigen Gebärden Anordnungen bald auf der Bühne, bald unten gegeben und in die Menge fortwährend lebhafte Bewegung gebracht hat, schreit mit Stentorstimme von der Bühne hinab in den Saal. Silentium! die Prob' fangt an! Er postiert sich auf einem Stuhl, unter[732] den er seinen Maßkrug stellt, auf der linken Seite des Podiums. Unten im Saal sucht sich alles Plätze und ordnet sich in möglichster Eile.

RETTINGER will Frau Wanninger Platz machen und rüttelt fest an der Lehne des Stuhles, auf dem Seehansele sitzt. Steh auf, du!

SEEHANSELE kommt zu sich. Oho, oho!

RETTINGER. B'soffener Kerl!

POSTHALTER. Der g'hört ja aufs Theater!

GÖTZENSPERGER. Jawohl! da 'rauf mit 'm Seehansele! Der muß sofort auftreten.

FRAU WANNINGER. Wird sich recht hart tun mit 'm Auftreten.

AMTSRICHTER. Der fängt ja gut an.

PFARRER. Ein schrecklicher Kerl.

POSTHALTER hat ihn wütend hinaufgezerrt. Da stellst di her und wartst, bis d' drankommst.

GÖTZENSPERGER. Nur kalt, den krieg i schon – Klatscht in die Hände. Also, los! Erste Szene!


Lorenz führt die als altes Weib gekleidete Rosl von links aus der Kulisse der kleinen Bühne auf das Podium. Neben ihr geht Burgl, die ein Wickelkind trägt. Die nun folgende Szene wird mit möglichster Sentimentalität gespielt.


ROSL. So is denn wahr? Muaßt wirkli fort in Kriag, mei liaba Bua?

LORENZ. Oh, mei liab's Muatterl, da hilft nix, mi ruaft mei Kini, mi ruaft 's Vaterland, jetzt kann i nix mehr arbeiten für di, aber der Himmel wird sorgen für di, mei liab's Muatterl, – Er deutet auf Seehansele. –, für di, mei liab's Vaterl, – Zu Burgl. – und für di, mei treu's Maderl.

FRAU WANNINGER laut weinend. Oh, is des schön!


Ein Zitherspieler, der an dem rechten Tischchen auf der kleinen Bühne Platz nahm, beginnt ein Melodram.


BURGL. I kann dir nur mei Herz mitgebn, Hansl, aber des schlagt dir treu unterm Brustlatz bis übers Grab 'naus.

LORENZ. I dank dir, Stasi! Jetzt gehst und trägst unser Kind, zu dem wir kommen san, wir wissen selbst net wie, zu dene braven, edlen Leut nunter, die des Findelhaus baut hab'n. Da is g'sorgt dafür. Zu Seehansele, vor dem er niederkniet. Und oes Vater, oes gebt's mir jetzt, eh i weg geh in Kriag, Euern väterlichen Segen!

SEEHANSELE glotzt ihn blödsinnig an.

POSTHALTER der oben rechts steht. Hast net g'hört? 'n Segen sollst eahm geben, dummer Kerl! Zitherspieler bricht ab.[733]

GÖTZENSPERGER halblaut soufflierend. »Halt di heldenhaft«, sollst sagen, »fürs Kind is ja g'sorgt im Findelhaus«.

SEEHANSELE stutzt. Was? 's Findelhaus? Auf der Gregoriwiesen? Wo der Posthalter 's Hotel hinbaut?


Bewegung unter den Zuschauern.


GÖTZENSPERGER halb zum Publikum. Der Kerl ruiniert mir 's ganze Stück.

POSTHALTER wütend. Jetzt sagst dei' Roll' auf, oder i helf dir! Du verkommener Bauer!

SEEHANSELE fährt furchtbar zusammen. Was? Verkommener Bauer?

POSTHALTER. Jawohl!

SEEHANSELE wie aus dem Rausche aufgeweckt. I steck dir den verkommenen Bauern. Mir warn meine Schulden a zahlt worn ... wenn mei' Frau a so an' reichen Liebhaber g'habt hätt' ... als wie – laut brüllend – 'n Herrn Rettinger?


Tumult im Saale. Alles rennt kreischend durcheinander.


Schlag auf Schlag.

POSTHALTER fährt auf Seehansele los. Was?

POSTHALTERIN läuft händeringend herum. O mein Gott, o mein Gott!

FRAU WANNINGER. Wally! Wally! Geh her zu mir.

FRAU SPECHT. Hilf Himmel! was is das? Ich bitt Sie, ich bitt Sie!

RETTINGER. Der elende Kerl!

HERR VON BECK. Hinaus damit!

AMTSRICHTER. Unerhörter Skandal!

GÖTZENSPERGER von der Bühne laut schreiend. Ruhe, meine Herrschaften!

FRAU WANNINGER. Des is was, des is was!

GÖTZENSPERGER. Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht.

POSTHALTER reißt Seehansele die Treppe herab. Wart du!

AMTSRICHTER tritt zu ihm und will ihm wehren. Herr Posthalter!

POSTHALTER. Herr Amtsrichter, ich bitt Sie, lassen' S 'n Gendarm kommen!

POSTHALTERIN stürzt weinend herbei. Jawohl, 'n Gendarm!

RETTINGER. Der infame Lügner gehört ins Loch.

GÖTZENSPERGER ist von der Bühne herabgesprungen. Das ist ja ein elender Tropf.

POSTHALTER. Ein erbärmlicher Verleumder!

POSTHALTERIN. Sperren S' 'n ein, Herr Amtsrichter, sperren S' 'n ein![734]

AMTSRICHTER. Bedaure, dazu hab ich vorerst kein Recht.

Wieder sehr schnell.

POSTHALTER. Was? Sie werden aber doch ...

RETTINGER. So einen Lumpen strafen!

POSTHALTERIN. Und 'm G'fängnis übergeben!

GÖTZENSPERGER. Dem g'hört nix anders!

AMTSRICHTER. Lassen Sie mich los!

POSTHALTERIN. Herr Amtsrichter!

POSTHALTER. Ich bitt Sie!

HIES drängt sich gewaltsam von rechts durch den tobenden Ring mit einem großen Zettel in der Hand herein. Sehr erregt. Herr Posthalter, Herr Posthalter, der Zettel, der Zettel, hat da ... da draußen an der Tür g'steckt!

POSTHALTER. Was willst denn du jetzt mit dem Zettel? Laß mi aus!

HIES. Ja, aber der Zettel ... schauen S' 'n näher an, 's is ja a Habererzettel! Ein furchtbarer Schrei geht durch die Menge.

POSTHALTER. A Habererzettel, was?

AMTSRICHTER. Wo ist dein Habererzettel? Her damit!

HERR VON BECK hat Hies den Zettel entrissen und liest unter allgemeiner Spannung. Dem Posthalter Schlegel, seiner Frau und seinen edlen, getreuen Freunden, die so tapfer zu ihm halten ...

Zugleich.

RETTINGER. Was!

AMTSRICHTER. Oho?

PFARRER. Wie?

HERR VON BECK.... kurz der ganzen Sippschaft ...

AMTSRICHTER UND PFARRER schreien. Hören Sie auf!

HERR VON BECK.... wird hiermit für die nächsten Tage ... das Haberfeldtreiben angekündigt.

ALLE schreien durcheinander. 's Haberfeldtreiben, 's Haberfeldtreiben! Habt's g'hört? 's Haberfeldtreiben!

WALLY nach verrauschtem Tumult, so laut, daß ihre Frage um so drolliger klingt. Mama, was ist denn des, 's Haberfeldtreiben?

FRAU WANNINGER gibt ihr mit einem wütenden Blicke zu verstehen, sie solle still sein.

SEEHANSELE von dem todbleichen Posthalter wieder losgelassen, taumelt nach vorne. Was dös is? ... hi, hi, hi ... Was dös is? ... dös werd' jetzt der Posthalter mit seiner Frau scho' sehgn! Unter allgemeiner Bewegung fallt der Vorhang sehr schnell.


Ende des ersten Aktes.


Quelle:
Dramen des deutschen Naturalismus. Herausgegeben von Roy C. Cowen, München 1981, S. 705-735.
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