[Du schenkst mir deine Liebe]

Du schenkst mir deine Liebe;

Doch ich will dich versehren – d'rum horch!

Erhebe keine Bauten,

Denn ich will sie verheeren – d'rum horch!

Baust du zweihundert Häuser,

Ameisen gleich und Bienen,

Ich heisse doch Verwandte

Und Freunde dich entbehren – d'rum horch!

Du trachtest stets die Männer

Und Weiber zu berauschen,

Doch ich will dein Erstaunen

Und deinen Rausch vermehren – d'rum horch!

Durchschreite kühn das Feuer,

Wie's Gottes Freund durchschritten:

Zu hundert Rosenauen

Will ich die Gluth verklären – d'rum horch!

Wenn Armuth dich, gleich Mühlen,

Im raschen Schwünge drehte,

Will ich empor dich heben

Hoch zu des Himmels Sphären – d'rum horch!

Und wärst du auch an Weisheit

Ein Lokman oder Plato,

Will ich mit Einem Blicke

Dich ganz und gar bethören – d'rum horch!

Du liegst in meinen Händen,

Wie ein erlegter Vogel:

Ich, Jäger, will für Vögel

Dich in ein Netz verkehren – d'rum horch!

Du schläfst, gleich einer Schlange,

Beim reichen Schatz, o Wächter!

Ich krümme dich, o Schlange:

Du wirst umsonst dich wehren – d'rum horch!

O Muschel, traure nimmer,

Da dich mein Meer umfangen:

Als Muschel soll dein Busen

Die hellsten Perlen nähren – d'rum horch![191]

Es können nimmer Schwerter

Dir an die Seele dringen,

Wirst du dich mir als Opfer,

Gleich Ismail, bewähren – d'rum horch

Und ward dein Saum beflecket,

So greif' nach meinem Saume:

Ich will dir einen Lichtsaum,

Dem Monde gleich, bescheren – d'rum horch

Ich bin der Vogel Huma,

Voll Huld dein Haupt beschattend:

Ich will man soll als Sultan,

Als Feridun dich ehren – d'rum horch!

Ich warne: »Lese nimmer,

Sei stumm stets und geduldig;

Ich will die wahre Lesung

Des heil'gen Buch's dich lehren – d'rum horch!«

Quelle:
Rumi, Ǧalal o’d-din: Auswahl aus den Diwanen. Wien 1838, S. 189-193.
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