[Heute ist der Tag der Freude]

Heute ist der Tag der Freude,

Heuer ist das Jahr der Rose;

Wohl ergeht's uns; d'rum ergeh' es

Wohl auch immerdar der Rose!

Sieh, des Freundes Rosenwange

Lieh der Rose ihre Hilfe:

Unser Auge wird nun nimmer

Schauen die Gefahr der Rose.

Trunken sind Narcissenaugen,

Und es lacht der Mund des Gartens,

Denn es zeigt die Pracht und Anmuth

Sich nun offenbar der Rose.

Liljen öffnen ihre Zungen,

Und vertrau'n Cipressen-Ohren

Jener Nachtigall Geheimniss,

Die die Freundin war der Rose.

Uns zu Liebe hat die Rose

Ihre Kleider nun zerrissen:

Gleiches thun wir bei der Hoffnung

Die die Lust gebar der Rose.

Jener Welt entspross die Rose;

Diese Welt erfasst sie nimmer;

In der Welt der Traumgebilde

Stellt kein Traum sich dar der Rose.

Eine Bothin ist die Rose,

Von der Seelenflur gesendet,

Und man wird den Brief der Schönheit

In dem Bild gewahr der Rose.

Lasst der Rose Saum uns haschen,

Lasst uns mit der Rose ziehen,

Tanzend mit dem Stamm und Zweige,

Jenem Stützenpaar der Rose:

Stamm und Zweig der Rose tränket

Mŭstāfā's erhab'ne Gnade,

Der zum Vollmond schafft den Neumond

In dem Bilde klar der Rose.[109]

Leben gebt ihr ihm, und schenket

Immerdar ihm neue Schwingen,

Mögt ihr noch so oft die Schwingen

Rauben jenem Aar der Rose.

Gleich dem Doppelpaar der Vögel,

Die einst Gottes Freund belebte,

Keimet, auf den Ruf des Lenzes,

Neu empor das Haar der Rose.

Theurer Lehrer! Schweig' und schliesse

Knospenähnlich deine Lippe:

Magst im Schatten heimlich lächeln,

Ruhend am Altar der Rose.

Quelle:
Rumi, Ǧalal o’d-din: Auswahl aus den Diwanen. Wien 1838, S. 107-111.
Lizenz:
Kategorien: