[Liebte ich ihn nicht so innig]

Liebte ich ihn nicht so innig,

Suchte ich sein Dorf wohl auf?

Lechzt' ich nicht nach seinem Wasser,

Folgt' ich seines Flusses Lauf?

Was mich an den Thoren fesselt?

Lächerlich bin ich fürwahr;

Er erkennt ja keine Kette,

Als sein kettengleiches Haar!

Raube mir Vernunft und Sinne;

Wolle sind sie mir im Ohr:

Ist die Wolle aus dem Ohre,

Dringt des Lieblings Stimme vor.

Bei mir selbst hab' ich's beschlossen

– Spricht mein Herz in Liebesgluth –

Nie nach ander'm Wein zu dürsten,

Als nach seiner Feinde Blut.

Er erfüllt mein Herz mit Blute,

Und mein Haupt mit Mohn und Wein,

Und mein Herz soll seine Schale,

Und mein Haupt sein Becher seyn.

Mond und Venus müssen weichen,

Zeigt er hold sein Angesicht,

Und so süss wie sein Benehmen

Ist Hălvā und Kandel nicht.

Wesshalb weinst du? Ach, aus Sehnsucht

Nach des Freundes Zucker nur.

Wesshalb bist du gelb? Sein Antlitz

Gleicht ja einer Tulpenflur.

Immer treibst du mit Gewalt mich

Zu Tebrisens Sonne hin:

Sag', o Herz, in's Ohr mir leise,

Welche Zauber hin dich zieh'n?

Quelle:
Rumi, Ǧalal o’d-din: Auswahl aus den Diwanen. Wien 1838, S. 193-195.
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