[Unser Reigen, theure Seele]

Unser Reigen, theure Seele,

Ist nur geistiger Natur;

Meide d'rum bei diesem Tanze

Stets des Hochmuth's fernste Spur.


Unser Reigen kennt den Dünkel,

Kennt die schnöde Selbstsucht nicht:

Männlich deinem Selbst entsagen

Sei darum dir strenge Pflicht.


Unser Reigen ist nicht Körpern,

Ist nicht Seelen unterthan;

Schwinge dich im Sphärenschwunge

Ueber aller Secten Wahn!


Unser Reigen ist Berauschung,

Liebe ohne Sinnentrug,

Und er gähret, gleich dem Weine,

In des Körpers ird'nem Krug.


Unser Reigen bannt die Bosheit,

Bannt den Hass aus jeder Brust,

Macht gar leicht dich frei vom Stolze,

Reinigt dich von wilder Lust.


Unser Reigen lässt der Seele

Wundervollen Garten schau'n;

Deines Grames Dornenfelder

Wandelt er in Rosenau'n.


Unser Reigen ist des Lebens,

Ist der Jugend ew'ger Quell:

Bist du Chiser, o so trinke

Von dem Lebenswasser schnell![165]


Unser Reigen ist ein Festtisch,

Wo Gott Köstliches vereint;

Wohl der glückbetheilten Seele,

Die dabei als Gast erscheint!


Unser Reigen ist ein selt'nes,

Wunderbares Unterpfand,

Das des Allerbarmers Gnade

Legte nur in Menschenhand.


Unserm Reigen bebt die Erde,

Wenn ihr Auge auf ihn fällt,

Und von Furcht und Angst erschüttert

Wird des Himmels Azurzelt.


Unser Reigen, Alle sprechen

Die da einmal ihn geseh'n:

»Nimmer haben wir die Kräfte

Jenen Tanz zu übersteh'n


Unser Reigen ist der Antheil,

Der in reinen Geistern wohnt,

So wie unsers Körpers Antheil,

Jener Geist der in ihm thront.


Unser Reigen ist voll Fürsten,

Herrschend in der Liebe Land:

Sieh, wie Einer stets dem Ander'n

Des Verdienstes Ball entwand!


Unser Reigen ist ein Pfandgut

Das der Schöpfer, huldbewegt,

In des dankerfüllten Adam's

Frohe Hände hat gelegt.[167]


Unser Reigen ist erhaben

Ueber jede Himmelsflur;

Unerforscht ist diess Geheimniss,

Und du prüfst es fruchtlos nur.


Unser Reigen ist die Wüste

Immerdar mit Blut gefüllt:

Horch, wie in der Wüste Mitte

Eine Schaar von Löwen brüllt!


Unser Reigen ist als männlich,

Ist als kriegerisch bekannt,

Weil er stets aus seinem Kreise

Alle Weiber hat verbannt.


Unser Reigen ist kein Wohnplatz

Für die nied're Dienerschaar:

Jeder ist darin ein König,

Ja ein Weltmonarch sogar!


Unser Reigen ist die Wonne

Gott von Angesicht zu schau'n;

Vor des Teufels schlauen Ränken

Darf darin uns nimmer grau'n.


Unser Reigen – wenn der Molla

Fromm in dessen Ringe weilt,

Wanket er und wird von Schrecken,

Und von banger Furcht ereilt.


Unser Reigen – setzt der Molla

Sich in dessen hehren Kreis,

Nahen Gottes fromme Männer

Diesem Kreise schaarenweis.[169]


Unser Reigen – zwar man übt ihn

Nur auf nied'rem Erdengrund,

Und doch macht er Sonnen kreisen,

Und der Sterne lichten Bund.


Unser Reigen ist ein Festtag,

Kennt nur Lust und keinen Schmerz,

Und kein Seufzen und kein Stöhnen

Presst er aus der Menschen Herz.


Unser Reigen ist das Leben,

Ist die Seele der Natur:

Ohne Seele ist die Erde

Wohl ein lächelnd' Feuer nur.


Unser Reigen ist ein Garten,

Huris weilen d'rin voll Huld;

Aber ach, du bist erblindet,

Und diess ist nicht meine Schuld.


Unser Reigen, ihn beschränket

Nicht des Himmels hehres Feld,

Denn an Höhe sind ihm Schranken,

Sind ihm Gränzen nicht gestellt.


Unser Reigen gleicht dem Schatze

Der mit Perlen ist gefüllt;

Tausend Meere, tausend Schachte

Hat er überall enthüllt.


Unser Reigen ist unschätzbar,

Ist der köstlichste Gewinn;

D'rum, o Sohn, gib nicht zu wohlfeil,

Gib um keinen Preis ihn hin!

Quelle:
Rumi, Ǧalal o’d-din: Auswahl aus den Diwanen. Wien 1838, S. 163-171.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon