§. 73. Verlassene Strassen.

[459] Dem aufmerksamen Wanderer, welcher nicht auf der Landstrasse bleibt, sondern die Fußwege sucht, entgehen jene Furchen nicht, welche durch dichte Wälder sich ziehen, in Felsen haushohe Hohlgassen bilden und gewöhnlich von Osten nach Westen sich wenden. Es sind die Spuren alter Wege, welche weit in graue Urzeit zurückreichen, vielleicht noch über die Einwanderung der Germanen zurück, und einem Volke angehören, von welchem wir nicht gehört, welches aber gleichwohl regen Verkehr muß unterhalten haben.

Bey Neuenhammer finden sich links und rechts von Böhmen her über bedeutende, lang gestreckte Anhöhen solche alte Wege, mit Geleisen bis zu doppelter Mannsgrösse, da, wo jetzt hoher Wald steht, und das nicht einzeln, sondern zu dreyssig und vierzig nebeneinander. Wenn man sieht, wie das Landvolk heute noch gleichsam im Urzustande sich seine Wege bildet, indem der folgende Wagen, sich genau innerhalb dem Geleise des frühern hält, und diese Spur nur verläßt, um eine neue daneben anzulegen, so sie ihm zu ausgefahren und zu beschwerlich erscheint; wenn man dann dabey bedenkt, daß ein Zeitraum von fünfzig Jahren nicht wohl ausreicht, ein tiefes Geleise in solcher Weise zu graben, so mag man ohne Uebertreibung zwey bis drey Jahrtausende[459] zurückgehen, um die Anfänge der ersten Spur zu suchen. Es ist unerklärlich, warum ganze Berge, in nächster Nähe aneinander, mit diesen alten Wegspuren bedeckt wurden, warum sie dort in weiter Ausdehnung neben einander und in ungemessener Länge – ich habe sie von der böhmischen Gränze bis Weiden verfolgt und auf der andern Seite bis Leuchtenberg hin angetroffen – sich fortziehen. So wird das Sprichwort Würdigung finden, wenn es heißt, daß der Böhmerwald – der im frühen Mittelalter bis über die Naab sich erstreckt haben muß – schon neunmal Wald und neunmal Feld gewesen sey.

Nimmt man hiezu noch die weitverbreiteten Hochäcker in Mitte von Urwald, die Spuren ehemaliger Felder auf hohen, nun bewaldeten Bergen, wie um Reichenstein, deren Beeten gleich den heutigen oberpfälzischen Bifängen sind, und die Höhe der Feldköpfe oder Abwand an manchen Aeckern, so muß man auf eine Zeit der Kultur schliessen, welche weit hinter die unsrige zurückgeht, und auf eine Bevölkerung, welche dichter war als die heutige.

Vorerst will ich dieses nur angedeutet haben, um die Aufmerksamkeit derer, denen daran liegt, hierauf zu lenken.[460]

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 3, Augsburg 1857/58/59.
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