86. Handlab.

[84] Handlab Wallfahrtskirche, 11/2 Stunde von Flintsbach, Ldg. Vilshofen in Niederbayern. – A. Müller u. B. Grueber der bayerische Wald S. 109.


In einer hohlen Eiche des Bannwaldes von Engelsberg hatte ein frommer Hirt das Bildniß der Himmelskönigin aufgestellt. Täglich in den Abendstunden fand sich dort die Burgfrau ein, um der Gottesmutter ihr Leid zu klagen. Anna, so hieß sie, lebte in unglücklicher Ehe, denn ihr Gatte war rauhen Gemüthes, über dem blutigen Waffenspiele und der wilden Lust der Jagd und des Trinkgelages die Pflege der häuslichen Freuden vernachlässigend. Wenn die arme Dulderin betete, kniete immer der Hirt ihr zur Seite; so wollte sie es, damit er sein Flehen mit dem ihrigen vereinige. Doch der Weltsinn faßt die Reinheit solcher Seelenverwandschaft nicht; er kann Mann und Weib sich nicht nähern sehen, ohne an Unerlaubtes zu denken. Ein Knappe im Schlosse, dem guten Hirten gram, flüsterte dem Eheherrn schlimmen Verdacht in's Herz. Dieser, dem falschen Buben nur zu willig Gehör leihend, eilt in den Wald hinaus, sieht das Paar an der Gnadenstätte knieen, reißt in blinder Zorneswuth das Schwert aus der Scheide und trennt mit gewaltigem Hiebe der Gattin die Hand vom Arme. Ohne einen Laut der Klage auszustoßen, hob Anna voll Vertrauen auf die mächtige Fürbitte Mariens, den blutigen Stumpf gegen Himmel, und im Augenblicke war die Hand wieder an ihrer Stelle. Nur ein rother Streifen, rings um das Handgelenk sich ziehend, blieb als Denkzeichen der gräßlichen Verwundung zurück. Der Ritter, dem das Walten der höhern Mächte so augenfällig sich kund gethan, ging in sich, änderte sein wildes Leben und war fortan ein frommer, christlicher Hausvater. Die Kirche, welche an der Wunderstätte errichtet wurde, nannte das Volk in seiner Sprachweise »Maria Handlab.«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 84-85.
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