783. Hessenthal.

[301] Von J. B. Goßmann.


Sechs Tage sind genug für eitle Plage,

Der Sonntag sei geweiht zum Ruhetage!

O laß an dem durch kein Geschäft dich stören,

Wie sehr dich auch des Lebens Sorge quält,

Das Wort des Herrn mit Andacht anzuhören,

Und merke, was die Sage dir erzählt.


Im Spessart ist ein altes Dorf gelegen,

Von Wäldern eingeschlossen, Hessenthal.

Es lebte dort vor langer Zeit einmal

Ein gottlos Weib, das trotzig und verwegen

Entgegenstrebte Gottes Gnadenstrahl,

Doch nun dafür erduldet lange Qual.


Das hehre Pfingstfest war herangekommen,

Zum Gotteshause hat den Weg genommen

Im ganzen Dörflein Alles, Jung und Alt,

Eh noch der letzte Glockenton verhallt,

Auf daß ein Jeder mit den Hausgenossen

Des großen Heiles auch theilhaftig werde,

Das heute sich vom Himmel hat ergossen

In Flammenzungen auf den Ball der Erde.

Sie aber stand verstockt an ihrem Herde,

Und kocht' im Wasser aus dem nahen Bronnen

Das Garn, das emsig ihre Hand gesponnen.

Schon hat das Hochamt feierlich begonnen,

In herzerhebendem Gesange preis't

Die fromme Heerde Gott den heil'gen Geist,

Den Sohn und Vater. Still wird's wiederum –

Der Priester singt das Evangelium,

Die Glocke ruft's hinaus mit lautem Ton,

Erschüttert wird die Arge nicht davon,

Die mit dem Bösen schon sich hat verschwistert,

Ihr Kessel brodelt, ihre Flamme knistert,

Von Neuem schürt sie. – Und von Neuem drang

Zu Ohren ihr der hellen Glocke Klang,

Verkündigt Wald und Flur die heil'ge Handlung,

Des Brods und Weines wundervolle Wandlung;[302]

Sie kniet nicht nieder, klopft nicht schuldbewußt

Um Gnade flehend an die sünd'ge Brust,

Bekreuzt sich nicht an Stirne, Herz und Mund,

Sie betet nicht – da braus't es plötzlich – und –

Sie sinkt mit ihrem Kessel in den Grund.


Wie nun die Kirchengänger heimgekommen,

Da haben sie die Höhle wahrgenommen,

Die heute noch daselbst ein Jeder sieht

Der durch das Dörflein seines Weges zieht,

Und haben ob des Kochens sich verwundert,

Das aus der Höhle kam, und dauern mag,

Bis daß erscheinen wird der jüngste Tag,

Weil's schon gedauert mehr als ein Jahrhundert.

Gar mancher Taube, der hinüber eilt',

Und gläubig betend an der Höhle weilt',

Am heil'gen Pfingstfest – wurde schon geheilt. –


Sechs Tage sind genug für eitle Plage,

Der Sonntag sei geweiht zum Ruhetage!

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 301-303.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Platen, August von

Gedichte. Ausgabe 1834

Gedichte. Ausgabe 1834

Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.

242 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon