Elfter Auftritt


[61] Rübezahl. Rüffel. Vorn links auf der grossen Leiter sitzend. Raxer und die drei Touristen stehend und trinkend.


RÜBEZAHL. Ihr drei Menschen seid von der Unermesslichkeit der Welt überzeugt – einen weiten Blick habt Ihr schon – das ist nicht zu bestreiten. Aber Ihr denkt noch garnicht daran, die unermessliche Welt grossartig zu finden – und denkt auch garnicht daran, dass diese grossartige Welt es wert sein könnte, durch ein bischen Unglück und Unbequemlichkeit umkrustet zu sein – zum Schutze – damit nicht jeder Hansnarr so ohne weiteres an das Grosse rankann. Ihr wagt es, ganz einfach zu verzweifeln. Ihr wagt es.

RAXER. Bei den Menschen entwickelt sich Alles sehr sehr langsam.[61]

RÜBEZAHL. Der weite Blick nutzt ihnen also noch nichts?

RAXER. Man merkt noch nicht viel vom Nutzen.

RÜFFEL. Wie willst Du da den Menschen helfen?

RAXER. Sie leben noch immer blos im Augenblick – und vergessen Alles so schnell wie die lieben Tiere auf der grünen Weide.

DRITTER TOURIST. Meine Herren, wir verstehen Sie garnicht.

RÜFFEL. Das merkt man. Die drei Geister lachen, plötzlich aber steht Rübezahl auf und geht in die Mitte des Bühnenraumes – in die Mitte des Landweges.

RAXER. Der Lebensrausch wirkt bei Ihnen immer blos so wie ein Kognak, nicht wahr?


Giesst noch ein Mal für die Drei ein.


RÜFFEL auch aufstehend. Meine Herren, Sie begreifen also immer noch nicht, dass alles Unglück und alles Unbequeme nur ein Segen für Sie sein soll?

RAXER. Sie begreifen schliesslich wohl Alles – aber sie können nichts damit anfangen.

RÜFFEL. Dann fehlt ihnen die Praxis.

RÜBEZAHL. Raxer! Rüffel! Stellt Euch neben mich! Es geschieht und die Touristen kommen in den Vordergrund mit dem Rücken gegen das Publikum. Ihr drei Menschen, Ihr seid es garnicht wert, dass ich Euch helfe. Und die ganze Menschheit ist es nicht wert, dass ich mich um sie bekümmere!

RAXER. Die Menschen sind zu weit ab.


Es wird ziemlich dunkel; die roten Wolken hinter den Bäumen sind schon vorher verschwunden.


RÜFFEL freudig erregt. Rübezahl! Mein Rübezahl! Berührt leise seine Schulter.

RÜBEZAHL. Jetzt will ich Euch aber zeigen, wie erbärmlich Ihr seid! Kniet nieder! Wir werden Euch totschiessen. Die drei Geister legen die Flinten an und bleiben in dieser Stellung. Kniet nieder! Kein Wort! Die drei Menschen sinken zitternd rechts links und in der Mitte auf beide Kniee – mit dem Rücken gegen das Publikum. Wisst Ihr, wozu Ihr so oft eine furchtbare Traurigkeit empfindet, ohne zu wissen, wie's kam? Es sollte[62] auch in Eurer Brust ein Weltleben entstehen. Ihr aber seid es nicht wert – und noch zu unreif dazu. Und deshalb sollt Ihr sterben. Die drei Menschen heben ängstlich die Arme auf. Ja – jetzt – sehen wir – dass Ihr Euch nicht aufraffen könnt! Aber ich – ich will Euch – nicht mehr helfen. Erde! Erde! Heilige Erde! Tu Dich auf! Sehr laut. Feuer! Flammen schlagen rings um die drei Geister aus dem Erdboden, und die drei Geister versinken sehr schnell. Die drei Menschen springen erschrocken auf, während die Flammen hoch emporlodern.


Vorhang.


Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 61-63.
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