Zweiter Auftritt


[51] Rübezahl. Rüffel. Raxer. Ein Schornsteinfeger mit seinem Sohne. Jeder von diesen Beiden mit einer Leiter – der Sohn mit einer kleineren. Der Alte trägt einen Zylinder und raucht eine Zigarre.


DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER lacht, erschrickt und steht still. Vater, da steht ein Räuber!

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER. Dummer Junge, uns werden sie nichts nehmen. Guten Abend, Herr Hauptmann! Zigarre gefällig?


Reicht dem Rübezahl eine Zigarre.


RÜBEZAHL. Nehmt lieber von meinen und gebt mir Feuer.


Beides geschieht.


RAXER. Und verkauft uns Eure Leitern.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER. Vater, das sind garkeine Räuber!

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER. Naseweiser Schlingel, wirst Du wohl still sein. Gib Deine Leiter her.


Nimmt beide Leitern zusammen und gibt sie dem Raxer.


RAXER gibt ihm zwei Goldstücke und legt die grosse Leiter über die Baumstümpfe und dann Decken darauf, während die kleine Leiter rechts liegen bleibt. So, mein lieber Rübezahl, jetzt setz Dich.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER herumspringend und Beine schwenkend. Siehst Du, Vater! Ich hab doch recht. Das ist der alte Rübezahl.

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER während die drei Geister lachen. Mein Sohn, wenn Du jetzt nicht still bist, so gibts was.

RÜBEZAHL sitzend, während Raxer und Rüffel auf dem Landwege nach beiden Seiten mit der Hand über den Augen hinausblicken. Alter Schornsteinfeger, gehörst Du zu den Leuten, die einen weiten Blick haben?

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER. Ih! Ihr wollt wohl wissen, ob ich andern Leuten in den Geldschrank sehen kann.


Raucht hastig.
[51]

RÜBEZAHL. Nein – ich meine, ob Ihr einen Blick habt, der über alles Unglück und über alles Leiden hinwegblicken kann.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER. Das kann der Vater.

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER gibt dem jungen eine Maulschelle. Das ist der naseweise Schornsteinfeger, mich nennt man den weisen – und ich habe wohl den Blick, von dem Ihr sprecht.

RÜBEZAHL. Was denkt Ihr Euch dabei?

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER. Ich denke, wenn ich Unglück sehe oder selber habe, an den alten Sensenmann. Der alte Herr, der kein Fleisch hat und zuletzt kommt, macht Alles wieder gut. Und das tröstet mich.

RÜBEZAHL. Und weiter seht Ihr nicht?

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER. Wozu weitersehen wollen, wenn man getröstet ist!

RÜBEZAHL. Ich möchte Euch aber so gerne weiter – helfen.

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER. Sie mir helfen? Sie? Was wissen sie denn von dem, was nach dem Tode kommt? Komm, mein Sohn! Gib mir Deine Hand. Der junge Schornsteinfeger tut es. Der Herr will sich über uns lustig machen. Dazu suchen Sie sich nur einen Andern, mein lieber Herr! Ich brauche Sie nicht. Ab mit Sohn links.


Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 51-52.
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