[Stücktext]

[179] Eine geheimnisvolle Dame sitzt mitten auf der Bühne – aber möglichst weit nach vorne – – vor einem grossen Glastisch. Auf dem Glastisch liegen ein paar Dutzend farbige Glasstücke, die in verschiedenen Formen geschliffen sind und keine Wölbungen zeigen – nur glatte Flächen und scharfe Kanten, sodass die Glasstücke vielfach an- und aufeinander gelegt werden können. Die geheimnisvolle Dame schiebt nun auf der glatten Glasplatte des Glastisches die farbigen Glasstücke bald dahin und bald dorthin, legt sie auf einander und an einander. Bei diesem Spiele sind die sehr schönen langen Hände der Dame immerfort in ausdrucksvoller Bewegung; die Finger bewegen sich öfters so wie beim Klavierspiel – aber nicht so, dass es wie eine Nachahmung des Klavierspiels aussieht. Das Spiel soll eine ausdrucksvolle Hand-Pantomime werden, die noch dadurch zuweilen erhöht und bereichert wird, dass farbige Lichter aus der Tiefe durch die durchsichtige Glasplatte des Tisches durchlugen und Steine, Hände, Arme und Gesicht der Dame farbig beleuchten – wie beim Serpentintanz. Doch bei dieser Beleuchtung sind die prismatischen Effekte derart vorwiegend, dass ein Vergleich mit dem Serpentintanz nicht aufkommen kann – zumal grade die Hände am wenigsten beleuchtet werden dürfen, damit die Hand-Pantomime im Mittelpunkt[179] bleibt; das farbige Lichtspiel soll zu diesem nur den Rahmen bilden.

Vor dem Tische liegen schwarze Steine, die bis zum Rande der Platte hinaufreichen, sodass die Beleuchtungs-Apparate unter der gläsernen Tischplatte nicht sichtbar werden.

Eine zwei bis drei Meter hohe weisse ganz kahle Mauer geht ein gutes Stück rechts und eine ebensolche Mauer ein gutes Stück links vom Tische nach hinten; beide Mauern rechtwinklig zur vorderen Bühnenrampe. Hinten geht quer ebenfalls eine zwei bis drei Meter hohe Mauer, die an die beiden Seitenmauern hinten rechts und links rechtwinklig anstösst. In der hinteren Wand befinden sich rechts und links zwei rechtwinklige Türöffnungen, hinter denen es dunkel ist.

Der Raum zwischen der linken weissen Mauer und der linken Bühnenwand ist durch zwei bis drei Meter hohes Gestrüpp verdeckt, ebenso der Raum zwischen der rechten weissen Mauer und der rechten Bühnenwand. Dieses Gestrüpp ist aber bunt und korallenartig und erinnert durchaus nicht an Bäume und Sträucher; einzelne Korallenäste haben groteske menschenund tierähnliche Köpfe.

Was sich hinter dem Gestrüpp befindet, ist nur schwach beleuchtet und zeigt unbestimmte Formen, die aber durch seltsame Auswüchse das Phantastische des alten Wundergartens wirksam betonen.

Nun kommen durch die beiden hinteren Türeingänge ein paar fremdartige Fabelwesen mit goldenen Leitern, die sie an die rechte und linke weisse Mauer stellen und hinaufklettern. Wie die Fabelwesen hinüberblicken können, zeigen sie grosses Entzücken, ein paar Leitern werden hinübergehoben – und die Fabelwesen verschwinden hinter der Mauer, ohne die Dame zu beachten. Ein paar der Leitern bleiben auf der sichtbaren Seite der beiden Mauern stehen.

Dann kommen andere Fabelwesen und bemerken die Dame und wollen sie veranlassen, auch über die Mauern zu klettern. Die Dame will aber nicht und bleibt bei ihrem Glasspiel.

Da werden einzelne der Fabelwesen, deren Köpfe, Arme und[180] Beine ganz grotesk sind und mehr Ungeheuer ähnen, sehr heftig und binden der Dame die Hände auf dem Rücken zusammen. Die Dame starrt immerfort in ihren Glastisch hinein und bewegt den Kopf so ausdrucksvoll, das nun eine Kopf-Pantomime entsteht.

Da werden die Ungeheuer ganz wild und binden der Dame ein Tuch vor die Augen. Danach bricht die Dame sofort ohnmächtig zusammen.

Die Ungeheuer bemühen sich, die Ohnmächtige wieder zum Bewusstsein zu bringen. Es gelingt, und die Dame setzt gleich wieder ihr Spiel fort.

Da steigen die Ungeheuer wütend alle auf die Leitern und oben hinüber in den Garten; einzelne der Ungeheuer bleiben aber auf der Gartenmauer und auf den Leitern sitzen und zeigen ihr Entzücken in pantomimischer Form.

Die Köpfe der Ungeheuer haben keine Mäuler, wodurch ihre pantomimische Ausdrucksweise gerechtfertigt erscheint.

Der Garten hinter den drei Mauern wird nun mystisch beleuchtet, und ein paar Ungeheuer, die auf der Mauer sitzen, lassen sich ein paar bunte Scheinwerfer hinaufreichen und beleuchten mit diesen die Dame, um sie hinüberzulocken. Aber diese Scheinwerferbeleuchtung bringt die Dame in die grösste Ekstase, sodass sie jetzt mit erneutem Eifer die Glasstücke hin und her schiebt und sie zu kaleidoskopartigen Wirkungen zusammenstellt und in Bewegung bringt.

Da reisst den Ungeheuern auf der Mauer die Geduld, sie kommen hinunter und nehmen ihr alle Steine weg und steigen mit diesen über die Mauer und lassen die Scheinwerfer durch die Steine durchleuchten.

Die Dame ist erstaunt aufgestanden, sieht ihre Steine oben auf der Mauer und steigt nun hinauf, um sich die Steine wieder zurückzuholen. Alle verschwinden hinter den beiden Mauern.


Man sieht einige Zeit hindurch hinter allen drei Mauern grosse Flammenspiele und bengalische Beleuchtung und dann erscheint die Dame wieder auf der Mauerbrüstung und steigt[181] auf einer Leiter langsam hinunter, setzt sich wieder an ihren Glastisch, legt erst den Kopf in die Arme – und schnellt dann plötzlich empor und beginnt mit den Händen so zu spielen, als wären die Steine noch da.


Währenddem sind wieder ein paar Ungeheuer auf der Mauer sichtbar geworden und beleuchten die Dame mit den Scheinwerfern und mit den Glassteinen, sodass sie plötzlich sich umblickt, aufspringt, hoch überm Kopfe die Hände ringt und danach wieder ohnmächtig zusammenbricht.


Nach diesem zweiten Ohnmachtsanfall kommen die Ungeheuer mit allen Steinen wieder hinunter, bringen die Dame wieder zum Bewusstsein, setzen sie wieder an ihren Tisch, geben ihr mit komischen Verbeugungen die Steine zurück und steigen dann kopfschüttelnd über die Mauern und verschwinden da.


Und die Dame setzt ruhig ihr Spiel fort, während es hinter den Mauern geheimnisvoll aufleuchtet, wobei bunte Dampfwolken und flatternde glitzernde Glasvögel sichtbar werden.


Die Dame wird plötzlich sehr erregt und starrt voll Entsetzen in ihre Glasplatte und hebt die Hände dabei zitternd hoch auf.


Und dabei geht langsam der Vorhang runter.
[182]

Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 179-183.
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