[Stücktext]

[206] Auf jeder der drei weissen Wände ein gemalter rotbäckiger Riesenapfel in der Mitte.

Rechts ein Peluche-Sessel, links ein Peluche-Sessel im höheren Beamtengeschmack der Vergangenheit. In der Mitte eine Versenkung, von der anfänglich noch nichts zu sehen ist.

Rechts Mutter, links Tochter – beide weinend.

Der Vater tanzt von der einen zur anderen seinen Verzweiflungstanz.

In der Musik viel staccato.

Dann geht der Vater hinten schnell ab und kommt schnell wieder – und aus der Versenkung steigt der Bräutigam mit Cylinder, Frack, Bouquet und weissen Handschuhen heraus.

Ringwechsel. Segen.[206]

Doppelter Hochzeitswalzer.

Hinten rechts und links abwalzend. Dann erscheint die junge Frau aus der Versenkung heraus sitzend auf einer Fussbank – fünf Herren aus dem Hintergrunde – die fünf umtanzen die junge Frau.

Der Ehemann erscheint auch, ist aber furchtbar gemütlich und tanzt mit.

Dann veranlasst die Frau den Ehemann, sich auf die Fussbank zu stellen. Die fünf Herren gruppieren sich im Kreise um den Ehemann.

Die Frau umtanzt die sechs Herren, und die versinken dabei allmählich, sodass sies erst bemerken, als sie halb unten sind – sie wüten – die Dame lacht und setzt sich auf den linken Sessel.

Melancholische Erinnerungsmusik.

Der Jugendfreund mit blondem Vollbart in Sammetjoppe steigt aus der Versenkung langsam heraus –

Sie setzen sich zusammen vorne in der Mitte auf die zusammengestellten Sessel.

Da kommt der Ehemann hinter ihnen aus der Versenkung raus – reisst die Sessel aus einander. Der Ehemann hat einen Dolch in jeder Hand, reicht den einen dem Jugendfreunde – die Herren duellieren sich mit den Dolchen – die Frau wirft sich im entscheidenden Moment dazwischen und wird aus Versehen von beiden Duellanten erdolcht.

Kammerzofe mit Waschbecken – Arzt mit langen Handtüchern umwickelt die Verwundete, sodass sie bald wie ein Wickelkind oder wie eine Mumie aussieht.

Ehemann und Jugendfreund umarmen sich – erstrer gibt diesem seine Frau und segnet sie – und geht mit der Zofe ab.

Der Arzt ist ganz verblüfft – und will die Bezahlung – das können die beiden nicht – der Jugendfreund zeigt leeres Portemonnaie – die Frau kann infolge der Umwicklung nicht an ihre Taschen ran.

Glücklicher Weise kommen die Eltern und bezahlen und beglückwünschen[207] mit Kopfschütteln und Hintermohrkrauen das neue Paar.

Während die Eltern sich rechts und links in den Sessel fallen lassen und sich den Angstschweiss abwischen – umarmt sich das neue Ehepaar in der Mitte und sinkt langsam in die Versenkung – während der Vorhang auch sinkt.


Nach diesem »Schema Sophie« lassen sich die meisten Theaterstücke der Vergangenheit leicht in Pantomimen verwandeln, die – vollkommen verständlich – das Beachtenswerte in diesen Theaterstücken auch ohne Worte zum Ausdrucke bringen. Die Pantomimen dürften ihrer Kürze wegen in den meisten Fällen den Wortdramen vorzuziehen sein. Die Pantomimen rücken zudem das dramatische Element in eine neue Beleuchtung, sodass schon dieser wegen die alte Wortfassung in den meisten Fällen baldigst aufzugeben wäre.[208]

Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 206-209.
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