[596] Die Quikkoïaner zeigen, daß sie außerordentlich lustige kleine Leute sind und für die Turmidee in sehr energischer Weise eintreten können. Lesabéndio spricht zu den Quikkoïanern von der Bedeutung des Kopfsystems.
Und dann führt Dex den Lesabéndio auf den großen Nuse-Turm, wo Nuse und Sofanti auch voll Begeisterung für die große Turmidee sind und sofortige Abstimmung verlangen. Alle Pallasianer – mit Ausnahme Lesabéndios – stimmen hierauf, auf dem Modellturm sitzend, für den Bau des großen Turms; Lesabéndio kommt zu spät.
Und es ward überall Licht gemacht – buntes Licht.
Die Quikkoïaner sahen das Licht, und sie machten ihre Augen zu langen Fühlhörnern und blickten umher; dabei bemerkten sie, daß die Pallasianer garnicht wußten, was sie vor Verlegenheit sagen sollten.
Da lachten plötzlich alle zehn Quikkoïaner hell auf, und der Nax, der gewöhnlich für die neun andern sprach, sagte lachend:
»Ist es denn wirklich möglich, Euch so furchtbar viel weiszumachen? Seid Ihr so leichtgläubig, daß man Euch auch den allerdicksten Spaß aufreden kann? Glaubt Ihr wirklich, daß Euch Jemand böse sein kann? Glaubt Ihr wirklich, wir könnten Euch böse sein? Glaubt Ihr, es wäre überhaupt möglich, uns als Spielzeug zu behandeln? Glaubt Ihr, Tränen seien immer ein Zeichen des Schmerzes?«
Da mußten auch die Pallasianer lachen.
Aber der Nax sagte gleich:
»Wir lassen uns aber das Verschenktwerden gern gefallen und gehören nun für alle Zeit dem tatenfreudigen[596] Dex. Der gefällt uns über alle Maßen; warum sollen wir ihm nicht angehören? Und das ist ja auch nicht schmerzhaft. Dex, sag uns schnell, wer sich der Turmbauidee widersetzt, damit wir uns an seinen Hals hängen und ihn überreden.«
Dex war vergnügt für sechs und sagte, während alle seine vielen Gesichtsfalten mächtig glitzerten:
»Besonders müßt Ihr den Peka mit seinen Freunden überreden. Und dann ist auch der Labu sehr lau, und der Manesi möchte sich auch gerne drücken – der redet in letzter Zeit immer mehr davon, daß die meisten Rankenpflanzen die dünnere Luft der höheren Atmosphäre nicht vertragen.«
Na – die Quikkoïaner taten das ihrige.
Lesabéndio setzte ihnen noch die Ergebenheitsgeschichte auseinander.
»Es ist ja die größte Torheit«, sagte er, »daß jeder der Pallasianer in ganz besonderer Art den Stern Pallas ausbauen will. Das ist schon unendlich lange Zeiten so gegangen, und dabei ist nichts rausgekommen. Dabei konnte doch garnichts rauskommen. Wir können den Stern doch nur dann ausbauen, wenn wir uns in einem Plane vereinigen. Anders gehts doch nicht. Bleibt Jeder immer eigensinnig bei seinem eigenen Einfall, ohne den Einfall des Nachbarn zu berücksichtigen, so kann doch an die Ausführung eines Planes nie gedacht werden. Wir müssen eben unsre Gedanken einem größeren Gedanken – oder dem Gedanken eines Größeren unterordnen. Dadurch, daß wir das tun, brauchen wir unsre eigenen Gedanken noch nicht fallen zu lassen; bei dem großen Nordtrichterturm können ja noch unzählige Stein-, Haut-, Licht- und andere Pläne zur Ausführung gelangen. Aber das Wichtigste bleibt doch immer, daß Alles einem größeren Plane untergeordnet wird. Da wir nun wissen, daß der Stern Pallas ein Kopfsystem hoch über seiner Atmosphäre besitzt, so ist es doch der natürlichste Gedanke, dieses Kopfsystem[597] mit dem Trichtertonnensysteme zu verbinden. Eine derartige Verbindung ist aber doch nur denkbar durch Erbauung eines Turmes; wir müssen erst durch den Turm zur Nähe des Kopfsystems hingelangen. Wie wir dann später den Turm mit dem Kopfsystem in Wirklichkeit verbinden – das können wir natürlich erst dann wissen, wenn wir dieses oben näher kennen gelernt haben. Kennen lernen müssen wir aber dieses Kopfsystem; erst wenn wir es kennen gelernt haben, können wir einen einheitlichen Faden in unsre Sternumbaugedanken hineinbringen. Der Turm muß gebaut werden; ohne den Turm haben wir gar keine nähere Vorstellung von dem Kopfsystem. In diesem sitzt unser Führer, der uns höher hinaufbringt. Durch ihn sollen wir höher hinaufwachsen in eine noch feinere geistigere kompliziertere Weltsphäre. Da nach oben hinaufzukommen – das muß unser nächstes Ziel sein. Und daher müssen wir uns alle um den großen Turmbau konzentrieren – ihm uns ergeben – dadurch ergeben wir uns gleich unsrem großen Führer – dem Größeren, der mehr kann als wir. Und wir müssen selig sein, daß wir jetzt alle wissen, wo wir den Größeren finden können. Dort oben über uns – da ist der Größere.«
Lesabéndio reckte sich fünfzig Meter hoch auf und hob alle seine Arme empor und auch seine Rückenflügel. Und sein ganzer Oberkörper begann mächtig zu leuchten, sodaß alle, die es sahen, still wurden und sich danach vom Nächsten erzählen ließen, was der große Lesabéndio gesagt hatte.
Und die Quikkoïaner ließen sich zu Manesi und Labu und zu Peka und seinen Freunden bringen, denen sie eifrig erzählten, was sie gehört hatten – und auch das, was sie vom Kopfsystem des Pallas – vom Stern Quikko aus gesehen hatten.
Dex aber führte den Lesabéndio zum Nuse-Turm, auf dem sich auch der Sofanti aufhielt.
Nuse empfing die Drei hoch oben auf seinem eine Meile hohen Lichtturm.[598]
Und er sagte gleich zum Lesabéndio:
»Sofanti und ich sind durch Dex vollkommen für die Turmidee gewonnen worden. Das ist dem Dex nicht schwer gefallen, uns zu überreden, denn es ist ja selbstverständlich, daß die fünfzig schiefen Stahltürme, auf denen der erste Ring ruhen soll, auch gleichzeitig Lichttürme werden müssen. Und die übrigen höheren Stahltürme werden auch gleichzeitig Lichttürme sein. Ich also bin mit ganzer Seele dabei. Und dem Sofanti geht es nicht anders, denn er wird die Stahltürme oben mit Häuten zuschließen müssen, damit sie lampionartig zu Lichttürmen werden können. Außerdem wird der Sofanti auch im oberen Teile des ganzen Turmes womöglich diesen auf allen Seiten mit Häuten schließen müssen, da ja anders ein Schutz gegen die Spinngewebewolke nicht denkbar ist. Nun scheint mir aber der Moment gekommen zu sein, die Entscheidung herbeizuführen. Wir müssen noch in dieser Nacht alle Pallasianer im Nordtrichter zusammenrufen, und sie müssen sich dann erklären, ob sie den Turm bauen wollen oder nicht. Fast sämtliche der Frischgeknackten sind auf unsrer Seite – und das sind fast vierhunderttausend Pallasianer – und von den alten Pallasianern sind die Hälfte auch auf unsrer Seite. Wir hätten danach höchstens fünfzigtausend gegen uns, und die könnten jetzt durch die Ankunft und Anwesenheit der zehn Quikkoïaner im Handumdrehen umgestimmt werden.«
Lesabéndio freute sich so sehr, daß er zitterte.
Er sah ganz berauscht nach unten in den zwanzig Meilen tiefen Trichter, in dem die unzähligen Scheinwerfer sich bewegten und die Zeit anzeigten. Und dann sah er auf den Trichterwänden das Flimmern, das von den vielen Pallasianern herrührte, die leuchtend auf den Bandbahnen herumfuhren, um die neuesten Nachrichten vom Stern Quikko und vom Kopfsystem des Pallas zu vernehmen und weiter zu verbreiten.
Und dann bat der Dex, doch die Versammlung aller[599] Pallasianer unten auf dem Modellturm zu veranlassen. Lesabéndio wollte oben bleiben und erst nachher kommen.
Da fuhren denn die Drei auf Kneifzangen mit den Seilbahnen zum Centralloch und ließen dort alle Pallasianer bitten, auf dem Modellturm zusammenzukommen. Dieser war zehn Etagen bereits hoch und konnte sämtliche Pallasianer tragen.
Und da setzten sich denn alle Pallasianer sehr bald, nachdem die Centralmusik in den Sofanti-Häuten verklungen war, auf die zehn mächtigen Eisenringe, sodaß sie mit dem Kopfe ins Innere des Turmmodells schauten, während sie sich mit ihrem Körper um den Ring geschlungen hatten.
Und nun wurden zunächst von einigen jüngeren Pallasianern die zehn Quikkoïaner im Innern des Modellturms herumgezeigt; in jedem Ringe wurde einer der Quikkoïaner gezeigt.
Und diese kleinen Kerle redeten mit ihrer hellen lauten Stimme ungefähr so:
»Pallasianer, wenn Ihr jetzt Euch nicht entschließt, den Turm zu bauen, so seid Ihr schön dumm. Wir haben das Kopfsystem Eures Sterns gesehen. Ihr müßt das auch sehen. Wenn Ihr Euch jetzt nicht alle zusammentut und den Turm baut, so werdet Ihr nie dazu kommen, das Wesentlichste auf Eurem Stern kennen zu lernen. Glaubt doch ja nicht, daß es auf allen Sternen so leicht ist, sich dem Kopfe des Ganzen zu nähern. Auf unserm Stern Quikko befand sich das Kopfsystem mitten im Innersten des Quallenflügelsterns. Und in dieses Innere konnten wir nie hineingelangen, es leuchtete uns immer nur mit karminroter Glut entgegen – aber wir mußten ihm fernbleiben. Wir konnten uns dem Kopfsystem unsres Sterns nicht nähern. Ihr aber könnt Euch dem Kopfsystem Eures Sterns nähern, wenn Ihr den großen Turm baut. Wie Ihr da noch eine Stunde zögern könnt, ist uns unbegreiflich.«
So sprachen alle Zehn immerzu und immer weiter, sodaß[600] dem Dex ganz komisch zumute wurde, da er garnicht zu Worte kam – auch garnicht nötig hatte, zu Worte zu kommen.
Er dankte im Innern dem Lesabéndio für die Turmfreunde vom Stern Quikko unzählige Male und war schon ganz ungeduldig.
Lesabéndio stand währenddem hoch oben auf dem Nuse-Turm immer noch ganz allein, und er bemerkte plötzlich, daß das Flimmern in den Wänden des Nordtrichters gänzlich verschwunden war.
»Ach so«, flüsterte er, »die Pallasianer sind schon unten versammelt. Da muß ich ja auch hin.«
Und er sprang von der Turmspitze wieder hoch empor in die dunkle Nachtluft hinauf und schoß dann im großen Bogen hinunter; wieder warf er den rausgestreckten Körper hinten rum und befestigte wieder den Saugfuß am Hinterkopfe, sodaß seine ganze Gestalt wie ein Ring aussah. Und dann ließ er wieder bald den einen Flügel und bald den andern Flügel aufgespannt zur Seite herausragen, daß sein Körper in großen, fein gewundenen, nach unten runtergezogenen Spiralkurven ganz langsam dem Trichtergrunde zuschwebte, auf dem der Modellturm erbaut war, der jetzt alle Pallasianer mit Ausnahme des Lesabéndio in seinen zehn Ringen vereinigte; selbst der kranke Biba hatte sich auf dem untersten Ringe niedergelassen; man hatte den Biba festgebunden, da sein Bein noch nicht zugeheilt war; die Pflaster lagen ja erst ein paar Stunden auf der großen Wunde.
Lesabéndio schwebte in Spiralkurven langsam zur Tiefe und dachte nur an seine Ergebenheitstheorie. –
»Und wenn man«, sagte er leise zu sich, »auch keine Einigung erzielt, so wirds ja wohl auch so gut werden. Wenn der große Geist, der uns führt – und den ich ganz bestimmt hoch über unserm Nordtrichter als ein großes Wesen fühle – wenn dieser große Geist nicht will, daß wir uns ihm nähern – wenn er nicht will, daß wir uns ihm[601] nähern – dann wird es ja wohl auch so gut sein. Wir haben ja getan, was wir konnten. Mehr können wir nicht tun. Wenn jetzt Peka und seine Freunde sich abwenden von dem Turmplan, wenn sie uns weiterhin widerstreben, so können wir ja vielleicht auch ohne sie den großen Bau beginnen. Aber der Peka hat sehr viele Freunde und sehr viele Maschinen, die wir alle gebrauchen werden. Und – es ist nicht gut, wenn die Pallasianer solch ein großes Werk beginnen, ohne sich vorher geeinigt zu haben. Aber das wird ja alles so kommen, wie es kommen muß. Wir haben getan, was wir tun konnten. Mehr können wir nicht tun. Und wir wollen uns in der Ergebenheit üben. Und wir wollen mit allem zufrieden sein – wies auch kommt.«
Da hörte der Lesabéndio in der Tiefe ein großes Geschrei – und dann einen ungeheuren, glockenhellen, lang gezogenen Ton.
»Ist das«, fragte Lesabéndio, »Sofanti-Musik? Nein! so hats noch nie geklungen. Es müßte denn grade der Ton durch eine neue Erfindung des Sofanti hervorgerufen sein. Aber das glaub ich nicht. Ich glaube, das waren alle Pallasianerstimmen zusammen. Nun werden sie vielleicht alle ihre Stimmen für und wider den Turm abgeben, nur ich allein werde fehlen. Schließlich baut man noch den Turm ohne meine Einwilligung. Das wäre sehr seltsam und sehr lustig. Es ist nur gut, daß alle aufgeregten Augenblicke des Lebens auch immer ein drolliges Element in sich haben. Aber ich bin jetzt sehr neugierig, wie die Geschichte abgelaufen ist. Ich muß schneller fliegen.«
Er löste vorsichtig seinen Saugfuß von seiner Kopfhaut los und schoß jetzt fünfzig Meter ausgestreckt mit eingezogenen Flügeln und grade wie ein Stock den Kopf nach unten zur Tiefe.
Und er hörte nochmals das Geschrei und dann wieder den lang gezogenen, dumpfen Glockenton.
Und danach hörte er den lang gezogenen, dumpfen Glockenton zum dritten Male.[602]
Und dann sah er die zehn Etagen des Modellturms mit seinen Teleskopaugen ganz deutlich – und er sah auch alle Pallasianer.
Und dann kam er nach unten und schoß von oben mitten ins Innere des Modellturms hinein.
Und da riefen alle:
»Lesabéndio!«
Und dann lachten alle.
Und dann sagte der Dex:
»Nun haben alle Pallasianer einstimmig – einstimmig – einstimmig – dreimal einstimmig beschlossen, Deinen Turm zu bauen. Du aber, Lesabéndio, hast Deine Stimme nicht abgegeben.«[603]
Ausgewählte Ausgaben von
Lesabéndio. Ein Asteroiden-Roman
|
Buchempfehlung
Nach Caesars Ermordung macht Cleopatra Marcus Antonius zur ihrem Geliebten um ihre Macht im Ptolemäerreichs zu erhalten. Als der jedoch die Seeschlacht bei Actium verliert und die römischen Truppen des Octavius unaufhaltsam vordrängen verleitet sie Antonius zum Selbstmord.
212 Seiten, 10.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro